Inside Wall Street Leichtgewicht schwingt Moralkeule
21.03.2012, 06:00 Uhr
Jede Rede wird genau analysiert: Der US-Wahlkampf ist auch ein mediales Großereignis.
(Foto: AP)
Der US-Vorwahlkampf erreicht die heiße Phase: Die Wall Street wirft skeptische Blicke auf die Wirtschaftskompetenz der Herausforderer. Haben die Kandidaten der Republikaner bessere Ansätze als Barack Obama? n-tv Börsenkorrespondent Lars Halter ist enttäuscht.

"Familie und Glauben sind ein wichtiger Teil einer freien Wirtschaft": Rick Santorum.
(Foto: REUTERS)
Im absurden Theater des amerikanischen Vorwahlkampfes gibt es eine sensationelle Wendung. " ist ein wirtschaftspolitisches Leichtgewicht", spöttelte dieser Tage der Multimillionär . Damit brachte er die Diskussion nach wochenlanger Debatte um Schwulen-Ehe, Verhütung, Abtreibung und letztlich Pornographie auf ein Thema zurück, das die meisten Wähler wirklich interessiert: die amerikanische Wirtschaft, die sich nur langsam aus der Krise schiebt.
"Ein Leichtgewicht sei er gerne", gab Santorum in den Talkshows am Wochenende zurück. Mitt Romney sei eher das Schwergewicht, das für massive Eingriffe der Regierung in den Markt stehe. Er zog über die Gesundheitsreform her, die Romney in seiner Zeit als Gouverneur von Massachusetts durchsetzte und die der Reform von Präsident Barack Obama ähnelt. Und er sagte – wie schon oft – dass Wirtschaft und Moral zusammengehören. "Wenn die Leute nicht moralisch anständig leben, wächst der Regierungsapparat. Deshalb sage ich: Familie und Glauben sind ein wichtiger Teil einer freien Wirtschaft."
Zur Profilierung gezwungen
Womit Santorum dann auch wieder bei seinem Lieblingsthema war: der strenggläubige Katholik spielt sich seit Monaten als Sittenhüter der Nation aus und vertritt Positionen, die außerhalb des "Bible Belt" im Süden der USA nur Hohn und Spott hervorrufen. Das hat einen guten Grund: Santorum ist wirtschaftlich tatsächlich inkompetent und kann auf dem Gebiet nicht punkten. Sein Wirtschaftsprogramm wurde jüngst sogar von Marketwatch zerrissen, der wirtschaftskonservativen Webseite, die überwiegend an der Wall Street goutiert wird.
Die Experten kommen nicht darüber hinweg, dass Santorums Programm zum größten Teil aus Wahlkampffloskeln besteht, die einer näheren Prüfung nicht standhalten. Dominiert wird das Konzept beispielsweise vom republikanischen Dauer-Motto: Steuern senken und weniger Regulierung. Beides behindere amerikanische Unternehmen, sagt der Kandidat ohne irgendwelche Beweise vorzulegen.
In einer Zeit, in der sich die US-Konjunktur stetig erholt – wenn auch langsam – sind diese natürlich auch schwer aufzutreiben. Fakt ist: Zahlreiche Branchen sind in den USA weniger reguliert als in anderen Ländern, und die Mär von 35-prozentigen Horrorsteuern zieht langsam nicht einmal mehr im rechten Lager. Bei 35 Prozent liegt zwar der Spitzensteuersatz für amerikanische Unternehmen, zahlen tut den aber keiner. Ein ganzes Labyrinth von Schlupflöchern erlaubt es den Firmen, ihre Steuern auf lächerliche Niveaus zu drücken. kommt für die gesamten letzten zehn Jahre auf einen Steuersatz von rund 1 Prozent, bei den Banken fällt die Abrechnung ähnlich aus.
Rick Santorum fordert dennoch niedrigere Steuern für alle Firmen und einen Steuersatz von 0 Prozent – kein Witz: steuerfrei! – für das produzierende Gewerbe. Diesen Vorschlag finden sogar die Insider in der schwer konservativen Tax Foundation unsinnig. William McBride, Analyst der Tax Foundation, fürchtet etwa, dass sich alle möglichen Unternehmen als "Produzenten" klassifizieren würden, um ihre Steuern nicht zahlen zu müssen. Schlupflöcher dafür wären schnell geschaffen.
Soweit zu Steuern für Unternehmen, doch auch Familien will Santorum entlasten. So verspricht der Kandidat etwa, die Freibeträge für Kinder zu verdreifachen – das würde die Zahl der Steuerzahler deutlich senken, obwohl die Republikaner diese eigentlich erhöhen wollen. Diese und andere vorgeschlagene Maßnahmen würden zudem die Staatseinnahmen über zehn Jahre um fast 5 Billionen Dollar senken. Das will Santorum durch Einsparungen auf breiter Ebene ausgleichen – in welchen Bereichen er genau kürzen will, hat der ehemalige Senator aus Pennsylvanien aber noch nicht entschieden.
Überhaupt: Wenn die Republikaner jüngst bei Debatten über Einsparungen gestritten haben, lief es meist auf die staatliche Kulturförderung und die Entwicklungshilfe hinaus. In diesen Bereichen sind die Budgets allerdings dermaßen klein, dass sich auch bei einer totalen Aufhebung der Programme keine nennenswerten Beträge einsparen ließen.
Geplänkel auf Nebenkriegsschauplätzen
Weitere Ideen Santorums nimmt etwa Marketwatch Stück für Stück auseinander: Die von Barack Obama rückgängig machen? Das dürfte drei Jahre nach der Einführung und Umsetzung enorm schwierig sein. Bessere bilaterale Handelsabkommen schließen? Das widerspreche der Idee von bestehenden multilateralen Abkommen, die langfristig wichtiger sind. Fannie Mae und Freddie Mac abschaffen? Unklar, wie das die Ebbe am Immobilienmarkt kurieren könnte.
Ein weiterer Punkt, der bei Republikanern die Runde macht, ist der Arbeitsmarkt, denn man im Moment ganz populistisch mit der verbindet. Obama habe mit dem Veto zur geplanten transkontinentalen die Chance vertan "hunderttausende von Arbeitsplätzen" zu schaffen, wirft man ihm vor. Unabhängige Studien haben längst errechnet, dass die umweltpolitisch höchst umstrittene Leitung höchstens 5000 Jobs geschafft hätte, die meisten dafür nur für die Dauer des Pipeline-Baus.
Apropos Öl: Mit der Pipeline hätte Obama auch die Chance gehabt, den astronomischen Benzinpreis zu senken, schimpfen die Republikaner. Das ist Unsinn. Noch zu George W. Bushs Zeiten wusste und bekräftigte die Partei immer wieder, dass der Präsident auf die steigenden Benzinpreise keinen Einfluss habe – jetzt ist alles anders, obwohl alle Fakten für und nicht gegen Obama sprechen.
In dessen aktueller Regierungsperiode fördert Amerika mehr Öl als je zuvor. Die hohen Öl- und Benzinpreise sind dem Wachstum in China, Indien und anderen Märkten zuzuschreiben. Zudem hätte die Pipeline Öl aus Kanada nicht für den eigenen Verbrauch zur Verfügung gestellt, sondern den Rohstoff direkt in die Häfen im Golf von Mexiko befördert – zum Export.
Die Republikaner sehen im Vorwahlkampf ihre Felle davon schwimmen. Solange die Wirtschaft schwächelte, glaubte man an einen Sieg gegen Barack Obama. Dass sich die Konjunktur aus ihrer – von Bush und der republikanischen Doktrin verschuldeten – Rezession befreit, passt der Partei nichts ins Programm. Man hat der Entwicklung auch nichts gegenzusetzen. Mitt Romney nicht, und Rick Santorum schon gar nicht.
Quelle: ntv.de