
Gipfel-Optimismus? Das war einmal.
(Foto: IMAGO/Bernd Elmenthaler)
Wer dieser Tage auf die deutsche Wirtschaft blickt, sieht kein Land im Aufbruch. Kanzler Merz ist so unbeliebt wie nie. Seine Rhetorik stimmt. Aber den Worten müssen Taten folgen.
Die Hoffnung stirbt zuletzt - mit diesem Mantra hielten sich Unternehmer und Top-Manager in Deutschland monatelang halbwegs bei Laune. Doch was einst nach Zuversicht klang, ist inzwischen eine leere Phrase. Ernüchterung macht sich breit.
Rückschau. Davos, im Januar. Donald Trump, gerade zum zweiten Mal als US-Präsident vereidigt, sorgte in seiner Video-Schalte zum Weltwirtschaftsforum mit seiner aggressiven "America first"-Rede für Aufsehen. Für die auf Exportgeschäfte getrimmten deutschen Top-Manager war das ein erster Schock-Moment.
München, im Februar. Trump-Vize JD Vance verstärkte durch seine Abrechnung mit Europa auf der Münchner Sicherheitskonferenz das Misstrauen - auch bei Wirtschaftsführern. Spätestens da war klar: Florierende Exporte in Richtung USA können die miesen Rahmenbedingungen in Deutschland nicht mehr ausgleichen.
Berlin, im Mai. Friedrich Merz wurde vom Bundestag zum Kanzler gewählt. Die Wahl hatte die Union schon knapp drei Monate vorher gewonnen. Die Stimmung in den Top-Etagen hellte sich spürbar auf. Hoffnung machte sich breit. Der neue Kanzler verstehe die Wirtschaftsführer. Jetzt werde das endlich etwas mit dem Aufschwung.
Berlin, im Juli. Ein weiteres Mal wurde die Zuversicht befeuert. Die Spitzen der deutschen Wirtschaft feierten sich, öffentlichkeitswirksam verpackt als Investitionsgipfel "Made for Germany" im Kanzleramt - inklusive Gruppenfoto auf einer Showtreppe. Das Versprechen der 61 vertretenden Firmen: 631 Milliarden Euro bis zum Jahr 2028 in Deutschland zu investieren.
Miserable Werte für Merz
Und jetzt? Enttäuschung. Bis zuletzt hielten sich die Bosse zurück mit Kritik. Es brauche einfach noch Zeit. Bis zum Jahresende - so sagten mehrere Manager, die bei dem Kanzler-Gipfel waren - wolle man stillhalten. Wenn bis dahin nichts passiere, könne man immer noch Druck machen.
Von wegen! Am Montag gab es einen weiteren Gipfel in der Schaltzentrale des Kanzlers. Ohne Gruppenfoto. Diskreter - und ernster. Die Präsidenten Deutschlands führender Wirtschaftsverbände BDI, BDA, DIHK und ZDH schauten vorbei. Und forderten mehr Tempo beim Bürokratieabbau, bei Sozial- und Krankenkassenreformen und mehr Gegenwind bei überzogenen Auflagen aus Brüssel. Die Heftigkeit der Kritik hat selbst die Spitzenpolitik überrascht.
Doch nicht nur die Wirtschaft verliert die Geduld - auch die Bevölkerung. Merz ist dem aktuellen "Trendbarometer" zufolge so unbeliebt wie nie, 70 Prozent der Menschen sind unzufrieden mit ihm. Gleichzeitig zieht die AfD mit einem Allzeit-Hoch von 27 Prozent klar an der Union vorbei.
Die Angst wächst: 64 Prozent der Bürger fürchten eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, ebenfalls ein Negativrekord seit Zeiten der Ampel. Und 74 Prozent glauben nicht daran, dass die Regierung den Sozialstaat reformieren kann. Das Fundament für Vertrauen bröckelt.
Die Antwort der Regierung: Man möge Geduld haben. Das Versprechen: "Volldampf". Doch "Volldampf" bleibt ein Schlagwort, solange Strukturen blockieren, Entscheidungswege Jahre dauern - und solange die Politik glaubt, dass neue Personalien den fehlenden Fortschritt kaschieren können.
Kampf mit der Bürokratie
Statt wirklicher Reformen setzt sie aktuell auf Schaufenster-Personalien. Der frühere Commerzbank-Chef und UBS-Vorstand Martin Blessing soll als "Chief Investment Officer" mehr Investitionen nach Deutschland locken. Und bei der Bahn wird mit Evelyn Palla eine neue Chefin präsentiert. Als ob ein Ex-Banker mehr Vertrauen schaffen könnte als solide wirtschaftliche Rahmendaten, verlässliche Energiepreise und schnelle Genehmigungen. Und als ob ein Chefwechsel bei der Bahn über Nacht einen Sanierungsfall kurieren könne eines Unternehmens, das jahrzehntelang vernachlässigt wurde - auch von der Politik.
Weder ein "Investment-Botschafter" noch eine neue Bahnchefin ersetzen fehlende Standortstrategie. Wer Probleme mit Köpfen statt Konzepten lösen will, verwechselt Führung mit Show. Wenig Strukturreformen, viel Aktionismus - so wirkt das. Eine Beruhigungspille für die Öffentlichkeit - aber kein Heilmittel für die Krankheiten des Standorts D.
Die Liste der Aufgaben ist lang. Die Bundesregierung will die Bürokratiekosten der Wirtschaft um 16 Milliarden Euro senken und bis 2030 80 Prozent der Verwaltungsleistungen digitalisieren. Der aktuelle Stand lag zuletzt laut eines Berichts der Bundesregierung bei 16 Prozent.
Das mutet nicht an wie ein Modernisierungspfad. Eher wie ein Rückstand, der täglich spürbar ist. Unternehmen, die längst KI und Automatisierung einsetzen könnten, kämpfen weiter mit Formularbergen. Mittelständler verwenden, so sagt es eine aktuelle KfW-Studie, im Schnitt sieben Prozent ihrer Arbeitszeit, rund 32 Stunden im Monat, ausschließlich für Bürokratie. Das summiert sich auf 1,5 Milliarden Stunden pro Jahr - und Kosten von 61 Milliarden Euro. Der Löwenanteil entfällt auf steuerliche Pflichten, Dokumentationen und Rechnungswesen. Prozesse, die anderswo längst digitalisiert sind, fressen hierzulande Produktivität und Innovationskraft.
Deutschland steht an einem Scheideweg. Kapital, Know-how und Chancen sind da - aber all das wird erdrückt von Papierbergen, Genehmigungshürden und politischen Verzögerungen. Die Bitte um Geduld ersetzt keine Strategie. Sie ist die Vorstufe zur Resignation.
Quelle: ntv.de