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Wirbel um Schwebe-Video Angeblicher Supraleiter LK-99 - Durchbruch oder Sommerloch?

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Eine Seite des Stücks LK-99 schwebt in einem Video der Forscher über einem Magneten - Hinweis auf seine supraleitende Eigenschaft?

Eine Seite des Stücks LK-99 schwebt in einem Video der Forscher über einem Magneten - Hinweis auf seine supraleitende Eigenschaft?

(Foto: Sukbae Lee, Jihoon Kim, Hyun-Tak Kim, Sungyeon Im, SooMin An, Keun Ho Auh)

Ein vermeintlicher Durchbruch bei vielversprechenden Supraleitern sorgt für Aufsehen: Das Material LK-99 soll bereits bei Raumtemperatur funktionieren. Doch handelt es sich wirklich um einen Supraleiter? Experten äußern sich zurückhaltend - doch die Frage scheint noch nicht entschieden.

Ist es zu schön, um wahr zu sein? Die Rede ist von einem vermeintlichen Supraleiter, der bereits bei Raumtemperatur funktioniert. LK-99 ist sein Name, der derzeit für viel Aufsehen sorgt. Denn etwas Derartiges galt bisher als unmöglich, es wäre der Heilige Gral der Materialwissenschaften. Vergangene Woche nährten zwei auf Servern hochgeladene Preprints jedoch die Hoffnung, der Traum vom Raumtemperatur-Supraleiter könnte wahr geworden sein.

In den sozialen Netzwerken überschlugen sich die Kommentare, viele Medien berichteten über den vermeintlichen Durchbruch. Experten in dem Feld äußerten sich zunächst zurückhaltend bis kritisch. Neuere Arbeiten anderer Forscher scheinen die Behauptung wiederum in Teilen zu stützen. Damit steht die Frage im Raum: Ist der Raumtemperatur-Supraleiter ein Durchbruch oder ein wissenschaftliches Sommerloch-Thema?

Was ist ein Supraleiter?

Ein Supraleiter ist ein Material, das imstande ist, elektrischen Strom ohne Widerstand und somit ohne Energieverluste zu leiten, wenn es unter eine bestimmte kritische Temperatur abgekühlt wird. Bisher ist diese kritische Temperatur sehr niedrig und liegt üblicherweise bei etwa minus 140 Grad. Die höchste bisher erreichte Temperatur war minus 23 Grad, allerdings gelang das nur unter sehr hohem Druck. Bisher sind rund 30 Elemente und mehr als 1000 Legierungen bekannt, die unterhalb einer gewissen Temperatur zu Supraleitern werden.

Warum wäre ein Raumtemperatur-Supraleiter eine so große Sache?

Weil Supraleiter bisher nur bei sehr niedrigen Temperaturen oder hohem Druck funktionieren, müssen sie aufwendig gekühlt werden, was teuer ist. Sollten sie hingegen kostengünstiger bei Raumtemperatur einsetzbar sein, würde das wohl so ziemlich alles verbessern, was mit Elektromagnetismus zu tun hat: Stromnetze, Magnetschwebebahnen, Supercomputer, neuartige Energiespeicher und hochpräzise Magnetresonanztomografie (MRT) in der Medizin sind einige Beispiele. "Es ist schwer, die Auswirkungen auf unser tägliches Leben zu überschätzen", kommentierte Supraleiter-Forscher Christoph Heil von der TU Graz auf Anfrage der "Süddeutschen Zeitung".

Was wurde zu LK-99 veröffentlicht?

Vorvergangene Woche erschien zunächst ein erstes, dann ein zweites Preprint zu LK-99: Der Supraleiter soll noch bei plus 127 Grad Celsius widerstandsfrei leiten, so die Forscher. Das ist ein enormer Unterschied zu den tiefen Minusgraden, bei denen Supraleiter bisher funktionieren. Die Arbeiten sind jedoch noch nicht von unabhängigen Experten geprüft worden, also noch nicht durch einen Peer-Review gelaufen. Sie stammen von einem Team aus Südkorea um die Forscher Sukbae Lee vom Quantum Energy Research Centre in Seoul und Hyun-Tak Kim vom College of William & Mary in Virginia.

Woraus besteht der Supraleiter?

LK-99 ist laut den südkoreanischen Forschern eine Legierung aus Blei, Kupfer, Phosphor und Sauerstoff. Auch der erste, 1986 entdeckte Hochtemperatur-Supraleiter, der nicht bis zum absoluten Nullpunkt gekühlt werden musste, bestand hauptsächlich aus Kupfer und Sauerstoff.

Was hat es mit dem Schweben auf sich?

Die Forscher hatten auch ein Video zu ihrer Arbeit veröffentlicht. Es soll zeigen, wie ein Stückchen LK-99 über einem Magneten schwebt - allerdings nicht ganz, eine Seite berührt den Magneten. Hintergrund: Supraleiter können auf Magneten schweben, da deren Magnetfeld ein weiteres Magnetfeld im Supraleiter erzeugt, welches sich vom Magneten abstößt. Man spricht vom Meißner-Ochsenfeld-Effekt. Allerdings beweist das Schweben eines Materials alleine noch gar nichts. Denn es gibt auch andere magnetische Effekte, welche nicht-supraleitende Materialien - und sogar Frösche - über Magneten schweben lassen.

Was sagen Experten zu der angeblichen Sensation?

Viele Experten äußerten sich zurückhaltend bis kritisch zu den Preprints der Südkoreaner. Aus Sicht von Bernhard Keimer, Direktor am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart, ist die Arbeit aus mehreren Gründen nicht überzeugend, wie er der "Zeit" sagte. So seien sowohl die Hauptautoren als auch ihre Institutionen in dem Forschungsfeld bisher "völlig unbekannt".

Zudem seien beide Artikel nicht besonders sorgfältig ausgearbeitet, bemängelte Keimer. Die hohe Temperatur (Sprungtemperatur) von 127 Grad, unterhalb der LK-99 angeblich in den supraleitenden Zustand übergeht, sei mit herkömmlichen Theorien über Supraleitung nicht erklärbar. Dennoch will Keimer nicht ausschließen, dass sich der neue Supraleiter als real herausstellt. "Es gibt jedenfalls kein bekanntes physikalisches Prinzip, das dagegen spricht." Die Wahrscheinlichkeit hält er angesichts der bisher bekannten Indizien jedoch für gering.

"Um zu belegen, dass man einen Supraleiter vorliegen hat, muss man zwei Eigenschaften beweisen", so Christoph Heil gegenüber der "Süddeutschen Zeitung". Die eine sei die widerstandsfreie Leitung des Stroms, die andere die Verdrängung des Magnetfelds. Zu beidem würden in den Preprints zwar Messdaten präsentiert - allerdings gebe es Unklarheiten bezüglich Messung, Messaufbau und Datenverarbeitung, meint Heil.

Konnte das Experiment bisher wiederholt werden?

Bisher konnten andere Forscher das Experiment der Südkoreaner nicht replizieren. Ein Team der Huazhong University of Science and Technology in China konnte zwar ebenfalls LK-99 herstellen, das über einem Magneten schwebte, wie in einem Video zu sehen sein soll. Allerdings betonte ein Forscher der Hochschule gegenüber dem Magazin "Time", dass dies noch kein Beleg für eine supraleitende Eigenschaft sei. Damit steht der Beweis noch aus, dass es sich bei LK-99 wirklich um einen Raumtemperatur-Supraleiter handelt.

Allerdings wurden zuletzt zwei noch nicht unabhängig begutachtete Preprints veröffentlicht, welche die Veröffentlichungen in anderer Hinsicht untermauern: Das eine stammt von einem Team am Shenyang National Laboratory for Materials Science in China, das andere von der Physikerin Sinéad Griffin vom Lawrence Berkeley National Laboratory, Kalifornien. Das Erstaunliche daran: Beide Arbeiten gehen davon aus, dass LK-99 vom Aufbau her tatsächlich ein Supraleiter sein könnte.

Quelle: ntv.de

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