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Rasant, aber chaotisch Drohnenkrieg wird in der Ukraine ständig neu erfunden

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Günstige, aber leicht zu bedienende und effektive Drohnen kommen an der ukrainischen Front bevorzugt zum Einsatz.

Günstige, aber leicht zu bedienende und effektive Drohnen kommen an der ukrainischen Front bevorzugt zum Einsatz.

(Foto: AP)

Flugdrohnen spielen an der ukrainischen Front eine entscheidende Rolle, noch nie wurden in einem Krieg mehr eingesetzt. Auf einer Konferenz besprechen Piloten, Hersteller und Politikvertreter die aktuelle Entwicklung und werfen einen Blick in die Zukunft. Auch die kritische Rolle Chinas ist ein Thema.

Flugdrohnen sind an der ukrainischen Front allgegenwärtig. Wie viele es sind, kann man nur schätzen. The Royal United Services Institute (RUSI) schätzte im Mai, dass die Ukraine pro Monat rund 10.000 der Copter verliert. Das gebe einen ungefähren Eindruck über die Anzahl, schreibt Militärexpertin Ulrike Franke in einem Beitrag für das European Council on Foreign Relations. Noch nie seien so viele Drohnen in einem militärischen Konflikt eingesetzt worden.

Der Umgang mit den Fluggeräten ist schnell gelernt.

Der Umgang mit den Fluggeräten ist schnell gelernt.

(Foto: AP)

Die Fluggeräte ändern die Art der Kriegsführung, und die Entwicklung geht enorm schnell voran. Was der Stand der Dinge speziell aus ukrainischer Perspektive ist, besprachen Drohnenpiloten, Hersteller sowie Verteidigungspolitiker und  -experten in Warschau. Organisiert wurde die Veranstaltung von US Defence Innovation Unit und Brave1, die für die Regierungen der Ukraine und der USA an der militärischen Umsetzung kommerzieller Innovationen arbeiten. Die Ergebnisse der Konferenz hat das Center for Security and Emerging Technology (CSET) zusammengetragen.

Günstige FPV-Drohnen im Fokus

In der Ukraine sind viele verschiedene Drohnen zu Lande, zu Wasser und in der Luft im Einsatz. Die Konferenz konzentrierte sich allerdings auf die Quadro- und Multicopter, die über Kameras in Egoperspektive (First Person View: FPV) gesteuert werden. Das hat einen triftigen Grund: Sie sind klein, leicht, günstig und relativ einfach zu bedienen.

Drohnen spielen bei Aufklärung und Überwachung in der Ukraine eine zentrale Rolle. Oft dienen sie dazu, Artilleriefeuer zu steuern. Zunehmend "jagen" sie aber auch gegnerische Ziele, indem sie einfache Bomben abwerfen oder mit Sprengsätzen an der Spitze "Kamikazeangriffe" durchführen.

DJI-Mavic-Drohnen schwirren massenweise über der ukrainischen Front.

DJI-Mavic-Drohnen schwirren massenweise über der ukrainischen Front.

(Foto: AP)

Eine typische FPV-Drohne "wiegt bis zu einem Kilogramm, verfügt über vier kleine Motoren, eine Batterie, einen Rahmen und eine Kamera, die drahtlos mit einer Schutzbrille verbunden ist, die ein Pilot trägt, der es fernsteuert. Sie kann bis zu 2,5 Kilogramm Sprengstoff tragen und ein Ziel mit einer Geschwindigkeit von bis zu 150 Kilometern pro Stunde treffen", zitiert "Politico" Pawlo Tsybenko, Direktor der Militärakademie Dronarium bei Kiew.

Jeder kann es schnell lernen

Für "Kamikazeangriffe" werden selten hochwertige kommerziellen Drohnen, wie die etwa 3000 Euro teure DJI Mavic 3, eingesetzt. Stattdessen kommen dafür laut einem Blogeintrag des Kennan Institute einfachste Copter zum Einsatz, die nicht mehr als 500 Euro kosten. Trotzdem können sie einen Panzer oder anderes Militärgerät im Millionenwert zerstören.

Und praktisch jeder kann lernen, wie es funktioniert. "Die Grundausbildung zum Drohnenpiloten dauert fünf Tage. Zu lernen, wie man eine Kamikazedrohne steuert, dauert mehr als 20 Tage", sagt Tsybenko. Eine Ein-Mann-Operation ist der Einsatz von FPV-Drohnen allerdings nie. Bei der einfachsten Weise steuert ein Pilot mit Unterstützung eines kleinen Teams einen einzelnen Copter. CSET zufolge war auf der Konferenz von bis zu 3000 ukrainischen Drohneneinheiten die Rede.

Teamarbeit

Zu einem Team können neben dem FPV-Piloten ein Beobachter (Spotter) gehören, der Blickkontakt zur Drohne hält, ein höher fliegender Copter, der den Überblick behält und eine Aufklärer-Drohne samt Personal zur Zielbestimmung. Je größer das Team ist, desto wichtiger ist die Kommunikation. Im einfachsten Fall kann sie laut CSET über verschlüsselte Messenger-Nachrichten ablaufen. Ansonsten kommen ukrainische Systeme zur Überwachung des Schlachtfelds in Echtzeit zum Einsatz: Kropyva oder das komplexere Delta.

Laut CSET haben die ukrainischen Streitkräfte auch begonnen, Drohnenverbände einzusetzen, wobei jeder Copter einen eigenen Piloten hat. Das kann einerseits psychologisch auf die Feinde wirken, die beim Geräusch der nahenden Fluggeräte panisch in Deckung gehen. Andererseits sollen so Abwehrmaßnahmen des Feindes verwirrt oder überwältigt werden. Gelegentlich haben die Drohnen eines Verbandes auch unterschiedliche Fähigkeiten, unter anderem Infrarotkameras oder optoelektronisches Equipment.

Hohe Verluste durch Eigenbeschuss

Die Copter werfen oft selbst gebastelte Bomben ab.

Die Copter werfen oft selbst gebastelte Bomben ab.

(Foto: picture alliance / AA)

Neue Fähigkeiten sind auch gefragt, um die elektronische Kriegsführung (Electronic Warfare: EW) zu umgehen. Dazu sucht das ukrainische Militär unter anderem verstärkt nach Drohnen mit optischer oder Trägheitsnavigation. Sie sind weitgehend immun gegen elektromagnetische Strahlung von Störsendern (Jammern).

Die Drohnen-Verluste sind den Konferenzteilnehmern zufolge allerdings auch aus anderen Gründen als EW hoch. Unerfahrene Piloten verlören oft die Kontrolle und Billig-Copter verfügten über nahezu keinen Störungsschutz und seien daher leichte Ziele. Um sie überhaupt nutzen zu können, müsse ihre Software manipuliert werden, um Updates des Herstellers zu verhindern, die sie unbrauchbar machten. Dazu explodierten die Akkus von Billig-Drohnen recht häufig und die Geräte seien so laut, dass sie leicht entdeckt würden.

Interessant ist, dass ein Konferenzteilnehmer schätzte, dass die Hälfte der Drohnen von den eigenen Truppen vom Himmel geholt wird. Bei den massenhaft von beiden eingesetzten Coptern sei es schwierig, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Laut Kennan Institute soll eine Drohne an der Front durchschnittlich nur drei Tage überleben.

Rasante, aber chaotische Entwicklung

In vielen kleinen Werkstätten werden FPV-Drohnen gebaut und um- oder ausgerüstet.

In vielen kleinen Werkstätten werden FPV-Drohnen gebaut und um- oder ausgerüstet.

(Foto: AP)

Die Entwicklung schreite so rasch voran, dass Drohnen, die noch vor drei Monaten auf dem Schlachtfeld funktionierten, jetzt nicht mehr einsetzbar seien, sagten mehrere Konferenzteilnehmer. Innerhalb eines Jahres soll die Anzahl inländischer Hersteller von sieben auf 200 angewachsen sei, Dutzende Firmen hätten Verträge mit der Regierung in Kiew abgeschlossen.

Dabei fänden Entwicklung und Erprobung der Drohnen durch die Hersteller oft direkt an der Front statt, schreibt CSET. Firmenvertreter sagten, die so gewonnenen Erkenntnisse seien essenziell. Offenbar an ausländische Hersteller gerichtet, sagte ein Redner: "Es wird Jahre dauern, bis Sie in Ihrem Land testen können. Wir schaffen in drei Tagen, was die NATO in drei Monaten oder drei Jahren schafft."

Diese Entwicklung läuft bisher jedoch kaum koordiniert ab, was man unter anderem an zahlreichen privat organisierten Spendenaktionen zum Kauf von Drohnen für einzelne ukrainische Einheiten sehen kann. Dagegen geht man davon aus, dass die russischen Streitkräfte ihre Drohnen über digitale Plattformen verbunden einsetzen, so CSET. Das mache die feindlichen Systeme schneller und weniger anfällig für menschliches Versagen. Brave1 sei vermutlich ins Leben gerufen worden, um den Drohneneinsatz von Entwicklung, Einkauf und Herstellung bis zum Einsatz an der Front effizienter zu gestalten.

Alle wollen DJI-Drohnen

Ein Konferenzteilnehmer gab an, die Ukraine habe 25 Prozent ihres Kriegsbudgets für Flugdrohnen ausgegeben. Dabei ging es aber offenbar um höher entwickelte Systeme und nicht um günstige Copter, die laut CSET bevorzugt verwendet werden. Speziell handelt es sich demnach um Drohnen von DJI.

Das liege einerseits daran, dass der chinesische Hersteller technisch hervorragende, aber leicht zu bedienende Modelle für weniger als 10.000 Dollar anbiete. Obendrein seien Verträge mit DJI innerhalb weniger Tage abgeschlossen, während dies bei europäischen Anbietern Monate dauern könne, sagten Konferenzteilnehmer.

Handelsbeschränkungen, fehlende Standards, Bürokratie

Umgekehrt beklagten sich US-Unternehmen auf der Konferenz über Bürokratie, fehlende alliierte Standards und einen mangelnden Schutz geistigen Eigentums. Beispielsweise gab ein Vertreter an, fast ein halbes Jahr auf einen Vertrag gewartet zu haben. Als man dann innerhalb weniger Wochen geliefert habe, hätte sich die ukrainische Seite über den verspäteten Erhalt der Drohnen beschwert. Die Auftraggeber hätten nichts über den verzögerten Vertragsabschluss gewusst.

Auf alliierter Seite stellt unter anderem die US-Einstufung von Drohnen als "Dual-Use" ein Problem dar. Dabei handelt es sich um Güter, die sowohl zivil als auch militärisch eingesetzt werden können und daher Handelsbeschränkungen ausgesetzt sind. Unternehmen müssten auch fürchten, Investitionen in den Sand zu setzen, da es keine Garantie dafür gäbe, dass für die Ukraine entwickelten Drohnen wegen fehlender Standards in anderen NATO-Staaten vermarktbar sein werden, schreibt CSET. Testeten sie Copter an der Front, müssten sie zudem fürchten, dass technische Geheimnisse offengelegt werden.

China beherrscht den Markt

Daraus entsteht eine gefährliche Abhängigkeit von China. Erschwert wird der Import von Drohnen und Komponenten durch von Peking erlassene Handelsbeschränkungen. Unter anderem ist seit dem 1. September der Export ziviler Drohnen für den militärischen Einsatz untersagt.

Unmöglich macht dies den Einkauf nicht, jedoch komplizierter. Chinesische Firmen verlangten etwa die Nutzung komplizierter Vermittlernetzwerke, ähnlich denen, die Russland zur Umgehung amerikanischer und europäischer Exportkontrollen genutzt habe, schreibt die "New York Times".

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Aber auch schon bisher musste die Ukraine über europäische Zwischenhändler einkaufen, während Russland direkt bedient wurde. DJI, das mit einem Anteil von rund 70 Prozent den Weltmarkt dominiert, beschränkte seinen Verkauf an die Kriegsparteien schon im April 2022. Daher werden die besonders beliebten und massenhaft eingesetzten Mavic-Drohnen schon seitdem vor allem durch private Aktionen beschafft.

Ähnliche Probleme gibt es bei der Beschaffung von Komponenten. "Selbst wenn man auf einem Bauteil Etiketten wie 'Amerika' oder 'Australien' sieht, wird alles immer noch in China hergestellt", sagt der ukrainische Drohnenunternehmer Oleksii Kolesnyk der "New York Times". "Es ist nahezu unmöglich, etwas zu schaffen, das China effektiv ersetzen könnte." Und der Bedarf ist enorm, bis zu 30.000 FPV-Drohnen soll die Ukraine pro Monat benötigen.

Quelle: ntv.de

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