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Kennzahl steigt auf fast 3 Hoher R-Wert - geht es jetzt wieder los?

Allein in Gütersloh gab es in den vergangenen Tagen in einem Schlachtbetrieb mehr als 1300 Neuinfektionen.

Allein in Gütersloh gab es in den vergangenen Tagen in einem Schlachtbetrieb mehr als 1300 Neuinfektionen.

(Foto: imago images/Noah Wedel)

Eine viel beachtete Kennzahl der Coronavirus-Pandemie steigt zuletzt rapide an: der R-Wert. Laut dem RKI klettert die Reproduktionszahl zuletzt auf fast 3 - dabei sollte sie im besten Fall unter 1 liegen. Ist das bereits Anlass zur Sorge? Nicht zwangsläufig.

Die ganze Nation, wenn nicht sogar die ganze Welt blickt während der Corona-Pandemie auf Zahlen. Zunächst waren es die Fallzahlen, dann die Zahl der täglichen Neuinfektionen oder die Verdopplungszeit. Prominenz erlangte ab Mitte April eine zuvor noch wenig bekannte Kennzahl: die Reproduktionszahl. Sie wird auch als R-Wert wiedergegeben und soll eine einfache Einschätzung zum Trend der Pandemie ermöglichen. Bis heute ist der R-Wert in der Berichterstattung präsent: zuletzt durch seinen steilen Anstieg auf 2,88. Doch ist das ein Grund, sich Sorgen zu machen?

Was der R-Wert aussagt: Er ist eine Schätzung, wie viele Menschen im Durchschnitt von einem mit Sars-CoV-2 Infizierten angesteckt werden. Liegt der R-Wert bei 1, bleibt die Zahl der akut Infizierten konstant. Liegt er höher, nimmt sie zu. Bei einem R-Wert von 2,88 etwa stecken 100 Infizierte im Schnitt 288 Menschen an. Liegt der R-Wert unter 1, sinkt die Zahl der Infizierten und die Pandemie läuft mit der Zeit aus.

Um den R-Wert zu ermitteln, wird - vereinfacht gesagt - die Zahl der gemeldeten Corona-Fälle aus zwei aufeinanderfolgenden Zeiträumen miteinander verglichen. Beim "4-Tage-R" sind das vier Tage, beim ausgeglicheneren "7-Tage-R" ist es eine Woche. Der R-Wert bildet dabei das Infektionsgeschehen vor einer bis zwei Wochen ab.

In der Hochphase einer Pandemie kam dem R-Wert eine wesentliche Bedeutung zu. Denn schon kleine Veränderungen im Nachkommabereich konnten beträchtliche Auswirkungen haben, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel im April öffentlich vorrechnete: Aus damaliger Sicht konnte ein R-Wert von 1,2 oder 1,3 den Unterschied machen, ob das Gesundheitssystem Deutschlands im Juli oder schon im Juni überlastet sein wird. Doch mittlerweile sind Katastrophen-Szenarien wie dieses kein Thema mehr. Aktuell wird vor allem diskutiert, wie der Weg zurück zum Normalzustand, quasi den Status quo ante Pandemie, vollzogen werden könnte. Gleichzeitig schießt das "4-Tage-R" auf 2,88 und das "7-Tage-R" auf 2,03. Also deutlich über jenen Werten, vor denen Merkel im April gewarnt hatte. Wie passt das zusammen?

R-Wert alleine sagt wenig aus

Dazu muss gesagt werden: Die Situation jetzt ist mit dem April nicht mehr vergleichbar. Denn es sind viel weniger Menschen akut mit dem Coronavirus infiziert. Derzeit sind es rund 7000 - im April waren es zum Teil deutlich über 60.000. Die Höhe des R-Werts wirkt sich derzeit daher bei Weitem nicht so dramatisch aus. Allerdings könnte ein über mehrere Tage anhaltend hoher R-Wert die Situation ändern. Wenn es tatsächlich zu einer zweiten Welle kommen sollte, ist das aber nicht alleine am R-Wert erkennbar - vielmehr muss dieser immer in Verbindung mit anderen Kennzahlen betrachtet werden, wie etwa der Zahl der Neuinfektionen. Nur wenn diese ebenfalls kontinuierlich ansteigt, kann dies auf eine neue Infektionswelle hindeuten.

Und tatsächlich: Bei der Zahl der täglich gemeldeten Neuinfektionen lässt sich im Mittel der vergangenen sieben Tage ein klarer Anstieg erkennen. Der täglich neu berechnete Durchschnittswert legt zuletzt tatsächlich zu auf 528 - ein höherer 7-Tage-Schnitt war zuletzt am 24. Mai 2020 verzeichnet worden, also vor vier Wochen. Doch der jüngste Anstieg der 7-Tages-Inzidenz hängt wohl mit einigen schweren, aber lokal begrenzten Ausbrüchen zusammen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) berichtete etwa von einer hohen Zahl an Neuinfektionen in den Landkreisen Gütersloh und Warendorf sowie in Magdeburg und dem Berliner Stadtteil Neukölln. Allein in Gütersloh wurden bei dem Ausbruch in einem Schlachtbetrieb von Tönnies mehr als 1300 Mitarbeiter positiv getestet. Und derartige Ereignisse können auch den R-Wert schnell in die Höhe treiben.

Am Samstag hatte das RKI aber erklärt, ein bundesweiter Anstieg der Fallzahlen sei daraus bisher nicht abzuleiten. Das Institut schaut sich bei der Beurteilung der Lage eben nicht nur den R-Wert an. Wichtig seien auch die Zahl der Neuinfektionen im Tagesvergleich, die Zahl positiv ausgefallener Tests sowie die Be- und Auslastung des Gesundheitswesens, hieß es. Dennoch betonte das RKI: "Die weitere Entwicklung muss in den nächsten Tagen beobachtet werden." Insbesondere in Bezug auf die Frage, ob es auch außerhalb der lokalen Ausbrüche zu einem überregionalen Anstieg der Fallzahlen kommt.

Quelle: ntv.de

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