Für 95 Prozent keine Therapie Menschen mit seltenen Erkrankungen wollen kein Mitleid
28.02.2023, 07:12 Uhr
Nadine Großmann an ihrem Arbeitsplatz in einem Labor an der Freien Universität - sie leidet am Gendefekt FOP und forscht an ihrer eigenen seltenen Krankheit.
(Foto: picture alliance/dpa)
Wenn nur maximal 5 von 10.000 Menschen an einer bestimmten Erkrankung leiden, gilt sie als selten - und für fast keine davon gibt es eine wirksame Therapie. Wer darunter leidet, stößt oft auf Mitleid und fühlt sich dann erst recht ausgestoßen. Was würde den Betroffenen eher helfen?
Menschen mit seltenen Erkrankungen wünschen sich weniger Stigmatisierung und mehr Akzeptanz in der Gesellschaft. "Andere Menschen reagieren oft mit peinlichem Schweigen oder sprechen von einer "furchtbaren" oder "schrecklichen" Krankheit, sagte Nadine Großmann vom Vorstand des Vereins Loudrare im Vorfeld des Tages der seltenen Erkrankungen am 28. Februar. "Wir wollen aber kein Mitleid", so die Berlinerin. Der Verein will Betroffenen eine Stimme geben und mit der Kampagne #wiedu in verschiedenen deutschen Städten deutlich machen, dass sie Menschen wie andere auch sind.

Großmann hat sich ein Tattoo stechen lassen, auf dem der seltene Gendefekt FOP dargestellt ist - und der Hashtag #cureFOP.
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Viele Reaktionen kämen aus Unwissenheit, seien unbedacht und nicht böse gemeint. "Ja, es ist nicht leicht, mit meiner Erkrankung zu leben. Sie führt zu vielen Mobilitätseinschränkungen. Aber ich möchte nicht ständig mit negativen Begriffen assoziiert werden. Die Krankheit ist ein Teil von mir und ich kann sie nicht einfach wegzaubern", sagt die 31-Jährige mit dem seltenen Gendefekt Fibrodysplasia Ossificans Progressiva (FOP), auch Münchmeyer-Syndrom genannt. FOP beschreibt die krankhafte, fortschreitende Verknöcherung des Binde- und Stützgewebes des menschlichen Körpers.
Nur 45 Menschen in Deutschland mit FOP
Gerade einmal 45 Menschen seien in Deutschland mit dieser Diagnose bekannt. Bei der Wundheilung bildet sich kein Narbengewebe, sondern Knochen. Selbst kleine Verletzungen können dazu führen, dass Gelenke plötzlich unbeweglich werden und sich der Körper langsam versteift. "Die Knochen entstehen dort, wo sie nicht hingehören", so die Biochemikerin der Freien Universität Berlin, die momentan in Philadelphia an ihrer eigenen Krankheit forscht.
"Wenn uns immer wieder jemand sagt, die Krankheit sei furchtbar, müssen wir es immer wieder von neuem verarbeiten und uns damit auseinandersetzen", so Großmann. Dies könne immer wieder Wunden aufreißen. "Das ist für uns am schlimmsten", sagt sie. Dabei seien die Erkrankungen gar nicht unbedingt immer furchtbar. "Wir arrangieren uns damit. Man findet seinen Weg", so die Forscherin.
Neutral oder echt interessiert wäre besser
"Es würde uns viel mehr helfen, wenn die Menschen neutral reagieren oder echtes Interesse zeigen. Dann kann man auch offen in ein Gespräch gehen", so Großmann. Auch mehr Inklusion in Kitas und Schulen würde aus ihrer Sicht helfen, das Seltene eher als normal zu betrachten.
In der Kampagne stellt der Verein neben Großmann fünf weitere Menschen mit seltenen Erkrankungen vor. In Deutschland gelten demnach rund 8000 Erkrankungen als selten, für 95 Prozent gibt es laut Verein keine zugelassene Therapie. Etwa vier Millionen Patienten sind demnach in Deutschland von einer seltenen Erkrankung betroffen. In der EU gilt eine Erkrankung als selten, wenn höchstens 5 von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind.
Quelle: ntv.de, abe/dpa