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Angriffe vor Küste Südafrikas Orcas terrorisieren Weiße Haie - mit dramatischen Folgen

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Vor der Küste Südafrikas sind diese beiden Orcas berühmt-berüchtigt: Port und Starboard.

Vor der Küste Südafrikas sind diese beiden Orcas berühmt-berüchtigt: Port und Starboard.

(Foto: EstherJacobs1/Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)

In Südafrikas Buchten gibt es kaum noch Weiße Haie. Das hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Nahrungskette und biologische Vielfalt im Atlantik, wie ein Forschungsteam herausfindet. Doch warum sind die Spitzenprädatoren verschwunden? Die Ursache könnte ein anderes Raubtier sein.

Zwei Killerwale machen vor der Küste Südafrikas ihrem Namen alle Ehre: Port und Starboard, wie die beiden Orcas (Orcinus orca) genannt werden, jagen seit Jahren Weiße Haie (Carcharodon carcharias) und weiden sie aus, um an ihre Leber zu kommen. Immer weniger Weiße Haie trauen sich daher noch in die Buchten - mancherorts sind sie gänzlich verschwunden. Das hat weitreichende Konsequenzen für das gesamte Ökosystem des Meeres. Doch wie kam es dazu?

Anfang 2017 tauchte in Gansbaai am Westkap der erste Kadaver eines Weißen Hais auf. Der 2,6 Meter lange Körper habe weder Haken- noch Netzspuren aufgewiesen, was eine Beteiligung des Menschen ausschließt, erinnert sich Meeresbiologin Alison Towner von der Rhodes-Universität im "Guardian". Was auch immer das Tier getötet hatte, war weg. Das Gleiche galt für alle anderen Weißen Haie. Sie kehrten erst Monate später wieder zurück. Als der nächste ausgeweidete Kadaver angeschwemmt wurde, blieben die Haie noch länger fort. Dieser Trend verstärkte sich im Laufe der Jahre.

Gansbaai hatte laut Towner in den 2010er Jahren eine Population von 800 bis 1000 Weißen Haien, aber mit jedem getöteten Tier flohen die Haie aus der Bucht für längere Zeit und kehrten in geringerer Zahl zurück. Schon früh vermuteten die Forschenden, dass Schwertwale für die toten Tiere verantwortlich sein könnten. Dringend tatverdächtig waren zwei männliche Orcas, die 2015 in Gansbaai aufgetaucht waren. Ein örtlicher Zoologe taufte sie Port und Starboard, was auf Deutsch Backbord und Steuerbord bedeutet, wegen ihrer charakteristischen Rückenflossen, die jeweils nach links oder rechts abklappen.

Doch beobachten konnten die Meeresforscher einen solchen Angriff nicht - bis Mai 2022: Eine Drohne über Mossel Bay, etwa 300 Kilometer östlich von Gansbaai, filmte Orcas, die einen drei Meter langen Weißen Hai angriffen. Sie bissen ihm zwischen die Brustflossen und rissen ihm die Leber heraus. Einer der Orcas war Starboard.

Orca-Paar vertreibt Weiße Haie

"Es war herzzerreißend zu sehen, wie eines der größten Raubtiere der Ozeane so leicht besiegt wurde", sagt Esther Jacobs der Zeitung. Die Gründerin der Meeresschutzorganisation Keep Fin Alive war eine der Ersten, die die Aufnahmen zu sehen bekam. Heute sind die Weißen Haie in Mossel Bay so gut wie verschwunden. "Seit 2023 sind sie nicht mehr in nennenswerter Weise zurückgekehrt", sagt Jacobs. "Soweit ich weiß, gab es im vergangenen Jahr weniger als zehn bestätigte Beobachtungen."

Und nicht nur dort. Auch in der Bucht False Bay gibt es keine Weißen Haie mehr, wie ein Forschungsteam in der Fachzeitschrift "Frontiers in Marine Science" jetzt berichtet. Über zwei Jahrzehnte untersuchte die Gruppe der US-amerikanischen Universität von Miami die Rolle des Weißen Hais in der im Atlantischen Ozean liegenden Bucht, die an die Touristenmetropole Kapstadt grenzt.

Einst kam der Meeresräuber in False Bay häufig vor. Doch seit 2015 erlebt die Region nach Angaben der Forschenden einen dramatischen Rückgang der Tiere. Seit August 2018 sei kein einziger Weißer Hai mehr in der Bucht gesichtet worden. Einerseits machen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die zum Schutz von Badegästen im Meer aufgespannten Netze verantwortlich, in denen sich die Haie verfangen. Aber das Team vermutet auch, dass die tödlichen Angriffe durch Schwertwale einen Großteil der Tiere vertrieben haben.

Wenn die "Ärzte der Ozeane" fehlen

Was passiert, wenn Haie aus den Nahrungsketten verschwinden, zeigt sich in beiden Buchten mittlerweile auf dramatische Weise. Weiße Haie werden oft als "Ärzte der Ozeane" bezeichnet, um ihre wichtige Rolle im Ökosystem des Meeres zu beschreiben. Sie erhalten das Gleichgewicht aufrecht, indem sie kranke und schwache Tiere jagen. Dadurch tragen sie zur Gesundheit der Fischpopulationen und des gesamten marinen Ökosystems bei. Ihre Anwesenheit beeinflusst zudem das Verhalten anderer Arten und fördert somit die Biodiversität.

In Südafrika nehmen Weiße Haie diese wichtige Rolle nun nicht mehr ein. "Der Verlust dieses ikonischen Spitzenprädators hat zu einer Zunahme der Sichtungen von Kap-Pelzrobben und Siebenkiemerhaien geführt, was wiederum mit einem Rückgang der Arten einherging, auf die sie als Nahrung angewiesen sind", sagte der Meeresökologe und Hauptautor der aktuellen Studie, Neil Hammerschlag.

Die Meeresbiologin Towner stellt unterdessen fest, dass die Robben, die nicht mehr bedroht sind, "mutiger werden - und einige von ihnen sogar die vom Aussterben bedrohten afrikanischen Pinguine jagen". Das Fehlen von Haien kann der Expertin zufolge auch Krankheitsausbrüche begünstigen: Im Juni 2024 haben sich Robben in der Provinz Westkap mit Tollwut infiziert, eine Epidemie, die im Juli Mossel Bay erreichte. "Wahrscheinlich hätten die Weißen Haie, wenn sie ihre frühere Population erreicht hätten, dazu beitragen können, die Tollwutsituation zu entschärfen, da tollwütige Robben wahrscheinlich leichtere Ziele wären", sagt Towner.

Quelle: ntv.de

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