Studie an Klinik in Mailand Syphilis trotz Pandemie auf dem Vormarsch?
03.11.2020, 11:50 Uhr
Syphilis kann durch ungeschützten Oral-, Vaginal- oder Analverkehr übertragen werden.
(Foto: picture alliance/dpa)
Clubs und Bars zu, Kontaktverbot, Ausgangsperre: Mailand steht Anfang des Jahres unter einem strengen Lockdown. Dass sich nicht alle an die Regeln gehalten haben, finden nun Forscher heraus. Denn Syphilis-Infektionen sind entgegen allen Erwartungen in der Zeit sogar gestiegen, zumindest an einer Klinik.
Anfang des Jahres wird der Norden Italiens hart von der Corona-Pandemie getroffen. Die Regierung verhängt im Kampf gegen das Virus strikte Kontaktverbote und Ausgangssperren. Doch trotz des strengen Lockdowns steigen offenbar die Fälle von sexuell übertragbaren Krankheiten (STI) in einer Klinik in Mailand, finden Wissenschaftler nun in einer kleinen Studie heraus.
Im März und April verzeichneten die Ärzte dort 44 Fälle von Syphilis. 2019 gab es hingegen im gleichen Zeitraum nur 32 Fälle. Laut den Wissenschaftlern deutet das darauf hin, dass jüngere Menschen die Bedrohung durch Covid-19 nicht ernst genommen haben und trotz strikter Pandemie-Maßnahmen weiterhin ungeschützten Sex mit wechselnden Partnern hatten.
"Bislang wurde angenommen, dass der Lockdown die Möglichkeiten für sexuelle Begegnungen und Geschlechtskrankheiten verringern würde", sagte Hauptautor Marco Cusini vom Nationalen Krebsinstitut der IRCCS-Stiftung in Mailand. Daher habe ihn die Anzahl neuer akuter Infektionen in dieser kurzen Zeitspanne überrascht.
STI ist die Abkürzung für sexually transmitted infections, also alle sexuell übertragbaren Infektionen. Mit STI werden Krankheiten bezeichnet, die auch oder hauptsächlich durch Geschlechtsverkehr oder andere sexuelle Spielarten übertragen werden.
Als Geschlechtskrankheiten dagegen werden nur jene bezeichnet, für die es eine gesetzliche Meldepflicht an die Behörden durch den behandelnden Arzt gibt oder gab.
Fachärzte für Haut- und Geschlechtskrankheiten, aber auch Urologen oder Gynäkologen sind die richtigen Anlaufstellen für Betroffene.
Als klassische sexuell übertragbare Infektionen werden Syphilis, Gonorrhoe, Ulcus Molle und Lymphogranuloma venereum eingestuft. Zu den neueren STI gehören HIV und AIDS, Hepatitis B, Herpes genitalis, Chlamydien, Trichomanden, Filzläuse und Krätze oder auch die Infektion mit Humanen Papillomaviren (HPV).
"Gonorrhöe und Syphilis treten typischerweise bei Menschen um die 30 häufiger auf", erklärte Cusini. Da ältere Menschen viel stärker vom Coronavirus betroffen gewesen seien, hätten sich Jüngere sicher gefühlt und risikoreicher verhalten. Das könnte laut Studie eine Erklärung für den Anstieg der Infektionen Anfang des Jahres sein.
Es sei zwar unrealistisch, Menschen während der Pandemie am ungeschützten Geschlechtsverkehr zu hindern, sagte Cusini. "Die Ergebnisse zeigen allerdings, wie wichtig ein kontinuierliches Screening auf sexuell übertragbare Krankheiten ist." Somit müsste diese Art von Diensten auch in außergewöhnlichen Zeiten wie der Corona-Pandemie stets verfügbar und leicht zugänglich sein.
STI-Fälle weltweit rückläufig
Tatsächlich betrachteten Cusini und seine Kollegen jedoch nur eine einzige Klinik in Mailand. Somit trifft der beobachtete Anstieg von Syphilis-Fällen möglicherweise nicht auf die gesamte Stadt zu. Bei der Studie scheint es sich auch international betrachtet um einen Ausreißer zu handeln. Denn die Zahlen aus den meisten anderen Ländern deuten eher auf eine gegenteilige Entwicklung hin: Die Geschlechtskrankheiten gehen vielerorts aufgrund der Pandemie zurück.
Wie zum Beispiel in Großbritannien: Dort ist die Zahl der Diagnosen seit der Abriegelung im März auf etwa 20 Prozent des normalen Niveaus gesunken. Der Präsident der British Association for Sexual Health and HIV hatte sogar erklärt, dass die Krise eine "einmalige Gelegenheit" sein könnte, die Kette sexuell übertragbarer Krankheiten im Vereinigten Königreich ein für alle Mal zu durchbrechen.
Ähnliche Trends wurden in Irland, den USA und Australien beobachtet. In Australien ist die Chlamydienrate auf einem historischen Tiefstand. Und auch in Irland sind Ansteckungen mit Chlamydien um etwa ein Fünftel zurückgegangen.
Und auch für Deutschland gehen Experten von einer ähnlichen Entwicklung zu Anfang der Pandemie aus: "Ich glaube, dass die sexuell übertragbaren Infektionen in der Zeit geringer waren, wahrscheinlich haben sich zu Beginn fast alle Menschen an die Regeln des Social Distancing gehalten", sagt Norbert Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft zur Förderung der Sexuellen Gesundheit, anlässlich des Welttages Sexuelle Gesundheit am 4. September. Laut des Robert-Koch-Instituts (RKI) gab es von Januar bis Juli bundesweit einen Rückgang der Syphilis-Infektionen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von rund 3400 auf rund 3200 Infektionen.
Quelle: ntv.de, hny