Rätselhafte Hitzewelle Warum ist der Nordatlantik so ungewöhnlich warm?


Vor allem im nordöstlichen Atlantik weichen die Temperaturen deutlich von den Durchschnittswerten der vergangenen Jahrzehnte ab - dargestellt durch die rötliche Färbung.
(Foto: National Oceanic and Atmospheric Administration )
Mit dem Klimawandel steigt auch die Temperatur in den Weltmeeren. Dennoch ist die derzeitige Erwärmung des nördlichen Atlantiks aus Sicht von Forschern ungewöhnlich stark. Die genauen Gründe für das Phänomen sind unbekannt. Experten haben jedoch mögliche Ursachen im Verdacht.
Irgendetwas geht vor im Nordatlantik. Der Ozean ist so warm wie noch nie um diese Jahreszeit - jedenfalls seit Beginn der Satellitenmessungen vor 40 Jahren. Die Meeresregion war zuletzt um rund ein Grad wärmer als im Schnitt des Vergleichszeitraums 1982 bis 2011, wie aus Daten der US-Klimabehörde NOAA hervorgeht. Besonders ausgeprägt ist die Erwärmung im nordöstlichen Atlantik vor den Küsten Europas und Afrikas. Was ist der Grund? Und welche Folgen hat das?
Wenngleich die Erderwärmung die Hauptursache für die steigende Meerestemperatur ist, geben die derzeitigen Temperaturen im Atlantik dennoch Anlass zu Verwunderung. "Die Hitzewelle im Nordatlantik ist außergewöhnlich stark", sagt etwa Nicolas Gruber, Professor für Umweltphysik an der ETH Zürich. Das Phänomen ähnele dem sogenannten "Blob" im Nord-Pazifik mit ebenfalls außergewöhnlich hohen Temperaturen.
Warum ein ähnliches Phänomen nun auch im Atlantik auftritt, kann niemand mit Sicherheit sagen. Doch Forscher haben eine Reihe von möglichen Faktoren im Verdacht:
Weniger Schwefelaerosole aus Schiffen: Eine Überlegung ist, dass ausgerechnet eine Umweltschutzmaßnahme das Meer wärmer werden lässt. Seit Anfang 2020 darf der Anteil von Schwefel im Treibstoff von Schiffen nur noch 0,5 statt zuvor 3,5 Prozent betragen. Allerdings reflektieren die bei der Verbrennung freigesetzten kleinen Partikel, die Schwefelaerosole, das Sonnenlicht. Damit tragen sie zu einer Abkühlung der Erde bei. Verringert sich ihre Konzentration in der Luft, kommen mehr Sonnenstrahlen bis an die Meeresoberfläche durch, die sich stärker als zuvor erwärmt.
Weniger Saharastaub: Das Ausbleiben von Saharastaub über dem Atlantik wird von Forschern ebenfalls als mögliche Ursache für den ungewöhnlich warmen Nordatlantik genannt. Wie bei den Schwefelaerosolen reflektieren die feinen Körnchen aus der Wüste Nordafrikas das Sonnenlicht. Grund für den Mangel an Saharastaub über dem Ozean könnten die aktuell schwachen Passatwinde sein, wodurch weniger Staub aus der Wüste hinaus aufs Meer gelangt.
Gebremste Meeresströmungen: Auch in diesem Fall könnten abgeschwächte Passatwinde über dem Nordatlantik eine Rolle spielen. Denn diese sorgen für einen Austausch von Wassermassen im Atlantik, in dem sie den gewaltigen atlantischen Subtropenwirbel antreiben. Dieser transportiert kühles Wasser aus dem östlichen Atlantik nach Süden zum Äquator und dann wieder nach Nordwesten in die Karibik. "Schwächt sich der Subtropenwirbel ab, werden diese Meeresregionen wärmer", sagt Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Dazu würde auch passen, dass die Westseite des Nordatlantiks, wo der Subtropenwirbel als warmes Wasser wieder nach Norden strömt, derzeit eher kalt sei.
Rückkopplungseffekte: Die Erwärmung der Meere selbst könnte sich in einem sogenanntem Rückkopplungseffekt beschleunigen. So sei bekannt, dass eine starke Sonneneinstrahlung und die daraus folgende Erwärmung der Oberfläche dazu führe, dass die obersten Schichten des Meerwassers stärker geschichtet seien, sagt Gruber. "Das begünstigt wiederum die Erwärmung, da die stärkere Schichtung verhindert, dass die Wärme nach unten gemischt werden kann."
Und was ist mit El Niño? Auch im Pazifik sind die Temperaturen ungewöhnlich hoch, was Forscher mit dem beginnenden Phänomen El Niño in Verbindung bringen. "Es gibt Thesen, die sagen, dass diese Hitzewelle mit dem El Niño verbunden ist - zum Beispiel als Folge der abschwächenden Passatwinde", sagt Gruber. Er sehe dies jedoch skeptisch. Hinzu komme, dass die Temperatur im Pazifik gerade erst beginnt zu steigen. Die Hitzewelle im Nordatlantik besteht jedoch schon seit Monaten.
Welche Folgen hat der warme Nordatlantik?
Für den weiteren Verlauf der Hitzewelle im Nordatlantik sind Prognosen schwierig. Gruber glaubt, dass der "Atlantik-Blob" wahrscheinlich noch eine paar Monate bleiben werde. "Danach ist alles möglich." Die Auswirkungen des ungewöhnlich warmen Meerwassers könnten allerdings weitreichend sein: "Marine Hitzewellen sind oft sehr schädlich für marine Ökosysteme", warnt der Umweltphysiker. Zudem förderten die hohen Temperaturen die Entstehung von mehr und intensiveren Hurrikans.
Auch für den Sommer in Europa werden Auswirkungen befürchtet: Die hohen Temperaturen im Nordatlantik haben laut Gruber eine Tendenz, Wetterlagen mit einem stabilen Hochdruckgebiet in Europa zu verstärken. "Das würde für Europa einen heißen und trockenen Sommer bedeuten."
Beschert der warme Atlantik Europa also einen Hitzesommer? Johanna Baehr vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Uni Hamburg betont, dass konkrete Vorhersagen zu Hitzewellen mit Vorsicht zu betrachten seien: Deren Zuverlässigkeit sei erheblichen Schwankungen unterworfen. Dennoch deuteten die jüngsten Vorhersagen darauf hin, dass die Temperaturen für den gesamten Sommer in ganz Europa überdurchschnittlich hoch sein können, so Baehr. "Dabei ist die Zuverlässigkeit dieser Vorhersagen für die zentralen und westlichen Regionen Europas am höchsten."
Fast sicher scheint: Der warme Atlantik und Pazifik werden zu einer noch stärkeren Erwärmung der Temperaturen auf den Kontinenten führen, so Dietmar Dommenget von der School of Earth, Atmosphere and Environment im australischen Melbourne. Mögliche Folge: "Es wird wahrscheinlich eines der global wärmsten Jahre seit Beginn der Temperaturmessung werden."
Quelle: ntv.de