USA erwägen Lieferung an Ukraine Was ist Streumunition und warum ist sie so gefährlich?


Entschärfte Bomblets aus einer Streumunitions-Rakete vom Typ MLRS-M26.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die USA erwägen die Lieferung von Streumunition an die Ukraine. Diese Art von Waffe gilt als effektiv im Krieg, ist aufgrund ihrer potenziellen Folgen für die Zivilbevölkerung aber politisch geächtet. Was genau ist Streumunition und warum ist sie so umstritten?
Was ist Streumunition?
Streumunition wird durch Artillerie, Raketen, Flugkörper oder Flugzeuge verschossen. Das Besondere an ihr ist, dass sie über dem Ziel in der Luft zerbricht und Submunitionen, auch Bomblets genannt, über einem großen Gebiet verteilt. Das macht Streumunition zu einer effektiven, aber ungerichteten Waffe.
Eine einzige Streubombe kann je nach Modell zwischen wenigen Dutzend bis zu mehreren Hundert Submunitionen enthalten. Der Streuradius kann je nach Höhe der Detonation und Art der Streumunition stark variieren, üblicherweise liegt er jedoch im Bereich von einigen Hundert Metern. Streumunition wird oft verwendet, um feindliche Truppenbewegungen zu hemmen, Landebahnen unbrauchbar zu machen oder Fahrzeugkonvois zu zerstören.
Worum handelt es sich bei DPICM?
Bei den von den USA erwogenen Lieferungen handelt es sich um Artilleriegeschosse vom Kaliber 155 Millimeter, sogenannte Dual-Purpose Improved Conventional Munitions (DPICM). Sie beinhalten zwei Varianten von Bomblets gegen zwei unterschiedliche Arten von Zielen (daher "Dual-Purpose", auf Deutsch: "Doppelfunktion"). Die eine Art richtet sich gegen gepanzerte Fahrzeuge, die andere gegen weiche Ziele wie ungepanzerte Fahrzeuge und Soldaten.
Die beiden wichtigsten 155-Millimeter-DPICM-Granaten im Bestand der US-Streitkräfte sind die M483 und die M864. Erstere enthält 88 Bomblets, Letztere nur 72 Bomblets, hat aber eine größere Reichweite. Unklar ist, welche Version für Kiew in Betracht gezogen wird.
Wie kann Streumunition der Ukraine helfen?
Die von den USA in Aussicht gestellte Streumunition könne "großflächig gegen Truppenkonzentrationen eingesetzt werden", sagt der österreichische Militärexperte Oberst Markus Reisner zu ntv.de. Damit sei die Ukraine in der Lage, das Heranführen von russischen Reserven zu verhindern oder diese gezielt zu bekämpfen. "Dies führt zu einer Isolierung möglicher geplanter Durchbruchstellen", so Reisner. Zudem sei es den Ukrainern mit Streumunition möglich, gezielt russische Stellungen an der Durchbruchstelle selbst zu bekämpfen.
Bereits seit Monaten fordert die Ukraine die Lieferung von Streumunition von westlichen Partnern. Gewünscht wurde zum einen Artillerie-Streumunition für Haubitzen mit dem Kaliber 155 Millimeter, wie sie nun im Gespräch ist. Laut einem Reuters-Bericht hatte Kiew aber auch MK-20 angefordert, aus der Luft abgeworfene Streubomben, auch bekannt als CBU-100s. Sie enthalten mehr als 240 pfeilartige Bomblets, die gepanzerte Fahrzeuge zerstören sollen. Ukrainische Truppen wollen laut dem Bericht ihre Drohnen mit einzelnen Bomblets bestücken, um damit russische Panzer anzugreifen.
Wo wurde Streumunition bisher eingesetzt?
Streumunition wurde bereits im Zweiten Weltkrieg entwickelt und eingesetzt. Allerdings nahm ihre Verwendung erst während des Vietnamkriegs deutlich zu. In den folgenden Jahrzehnten wurde die Technologie immer weiter verfeinert, was zu einer erhöhten Effektivität, aber auch zu einer zunehmenden Kontroverse führte. Die USA haben Streumunition das letzte Mal 2003 im Irak-Krieg eingesetzt.
Auch im Ukraine-Krieg wurde Streumunition von beiden Seite eingesetzt, wie aus einem Bericht von Human Rights Watch hervorgeht. Dadurch soll es zu Hunderten Opfern unter der Zivilbevölkerung gekommen sein. Zudem wurden zivile Einrichtungen wie Häuser, Krankenhäuser und Schulen beschädigt. Große Aufmerksamkeit erregte der russische Streumunitionsangriff auf einen Bahnhof in Kramatorsk am 8. April 2022. Dabei wurden mindestens 58 Zivilisten getötet und 100 weitere verletzt.
Streumunition wurde laut Human Rights Watch auch von ukrainischer Seite eingesetzt. Das Land habe nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einen großen Bestand an Streumunition geerbt - rund zwei Millionen Tonnen. Im April 2022 berichtete die "New York Times" über einen ukrainischen Einsatz von Streumunition in dem Ort Husarivka in der Region Charkiw. Dabei seien Uragan-Streumunitionsraketen sowjetischer Bauart eingesetzt worden.
Was ist das große Problem mit Streumunition?
Trotz ihrer Effektivität auf dem Schlachtfeld ist Streumunition äußerst umstritten. Ein Problem: Die Submunitionen sind in der Regel ungelenkt und fallen frei zu Boden. Faktoren wie etwa unsachgemäßer Einsatz und Wind können dazu führen, dass die kleinen Bomben weit außerhalb des vorgesehenen Zielgebiets landen.
Hauptkritikpunkt ist jedoch, dass ein erheblicher Prozentsatz der Sprengkörper oft beim Aufschlag nicht detoniert. Diese Blindgänger bleiben vor Ort und stellen eine dauerhafte Gefahr für die Zivilbevölkerung dar. Die noch scharfen Bomblets nach Ende eines Konflikts zu beseitigen, ist zudem gefährlich und aufwendig. "Die Präsenz dieser Waffen macht die Landwirtschaft zu einer gefährlichen Tätigkeit und behindert den Wiederaufbau und die Entwicklung lebenswichtiger Infrastrukturen wie Straßen, Eisenbahnen und Kraftwerke", warnt das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK).
Einige Länder haben schon seit Jahrzehnten mit nicht explodierter Submunition zu kämpfen. In Laos, das seit dem Vietnamkrieg am stärksten von Streumunition betroffen ist, sind immer noch mehrere Millionen nicht explodierter Bomblets verstreut. Bisher wurden laut Reuters weniger als 400.000 davon geräumt und mindestens 11.000 Menschen getötet.
Das UN-Menschenrechtsbüro in Genf reagierte auf Berichte über die mögliche Lieferung von Streumunition aus den USA an die Ukraine mit einer Warnung: "Solche Munition tötet und verstümmelt Menschen lange nach dem Ende eines Konflikts", sagte eine Sprecherin. "Deshalb sollte der Einsatz umgehend gestoppt werden." Das Büro rief Russland und die Ukraine auf, dem Übereinkommen über Streumunition beizutreten, das den Einsatz sowie die Herstellung und Weitergabe von bestimmten Typen von konventioneller Streumunition verbietet.
Ein 2010 in Kraft getretenes internationales Abkommen - das sogenannte Oslo-Übereinkommen - verbietet Herstellung, Lagerung, Einsatz und Weitergabe von Streumunition. Allerdings sind weder die USA, noch die Ukraine dem Abkommen beigetreten, ebenso wenig wie beispielsweise Russland und China.
Quelle: ntv.de