
Auf der Verpackung dieses Ivermectin-Medikaments steht: Nur zur oralen Anwendung bei Pferden.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
In der Pandemie wird Ivermectin nachgesagt, das Wundermittel gegen Covid zu sein. Auch wenn Studien diese Annahme längst widerlegt haben, hält sich das Gerücht weiterhin hartnäckig. Mehr noch: Viele US-Amerikaner glauben sogar, dass das Wurm-Medikament für Pferde sogar alle möglichen Krankheiten heilen kann - mit fatalen Folgen.
Migräne, Erbrechen, Ausschlag, Schmerzen in den Knochen: Was klingt wie eine schwere Krankheit, sind Nebenwirkungen des Entwurmungsmittels Ivermectin, das angeblich alle möglichen Beschwerden heilen soll. Davon sind zumindest Zehntausende US-Amerikaner überzeugt, die sich in einer Telegram-Gruppe zusammengefunden haben, um dort Erfahrungen und Tipps zu dem Medikament auszutauschen. Gegründet wurde die Gruppe 2021 von Danny Lemoi. Fast täglich warb er für Ivermectin und veröffentlichte Anleitungen zur Einnahme - auch für Kinder. Nun ist er mit nur 50 Jahren plötzlich verstorben. Hat das Parasiten-Mittel etwas damit zu tun?
Ivermectin kommt aus der Tiermedizin und wird in der Regel als Wurmmittel für Pferde, Rinder und Schafe eingesetzt. In bestimmten Fällen ist es auch für Menschen zugelassen, um beispielsweise Fadenwürmer und Krätzmilben zu bekämpfen. Nach Wundermittel klingt das zunächst nicht. In der Corona-Pandemie verhelfen jedoch Impfgegner dem Medikament zu seinem großen Durchbruch. Sie preisen es als Heilmittel gegen Covid-19 an und verweisen auf unseriöse Internetseiten und vermeintlich vielversprechende Ergebnisse vor allem kleinerer Studien.
"Sie sind kein Pferd"
Bis heute gibt es allerdings keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass Ivermectin bei einer Corona-Infektion hilft oder ihr gar vorbeugen kann. Studien, die die Wirksamkeit des Mittels nachgewiesen haben wollen, enthalten Experten zufolge entweder schwerwiegende Fehler oder basieren schlichtweg auf Falschbehauptungen. Dennoch halten diese Erkenntnisse viele Menschen nicht davon ab, Ivermectin auf eigene Faust einzunehmen. Zeitweise ist das Wurmmittel sogar ausverkauft. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA sieht sich damals gezwungen, zu twittern: "Sie sind kein Pferd. Sie sind keine Kuh. Ernsthaft, jetzt mal Schluss damit."
Denn harmlos, wie viele Befürworter behaupten, ist das Wurmmittel bei weitem nicht. Laut FDA kann eine Überdosierung zu Übelkeit, Erbrechen und Durchfall bis hin zu Krampfanfällen, Koma und sogar zum Tod führen. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO, das Robert-Koch-Institut (RKI) und die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) sprechen sich gegen das Medikament in der Pandemie aus: Bei falscher Dosierung könne das Mittel hochgiftig sein.
Und tatsächlich klagen auch Lemois Follower in der Telegram-Gruppe über teils drastische Nebenwirkungen, wie das Nachrichtenportal Vice berichtet. Demnach schreibt ein Nutzer über "Migräne, Erbrechen und starke Magenschmerzen". Ein anderer berichtet von heftigen Schmerzen von der Taille abwärts, offenbar ausgelöst von Ivermectin - und fasst seine Erfahrung so zusammen: "Ich nehme es seit vier Monaten und es ist die Hölle." Eine Nutzerin verabreicht das Mittel nach Lemois Anleitung sogar ihrer Enkelin. Diese klage seitdem über "sporadisch verschwommenes Sehen und manchmal über Kopfschmerzen".
Herxing statt Nebenwirkungen?
Für die meisten sind die beschriebenen Symptome dabei keine Alarmzeichen. Im Gegenteil: "Blutungen oder Schleim oder Erbrechen oder Durchfall oder Akne oder Schmerzen oder Hitzewallungen und Schwitzen sind alles gute Anzeichen dafür, dass der Körper gereinigt wird", heißt es in einem Post. "Das ist Heilung, weiter so."
Auch Lemoi selbst berichtete vor seinem plötzlichen Tod über gesundheitliche Probleme, führte sie jedoch auf das sogenannte Herxing zurück. Als Herxheimer-Reaktion wird die Reaktion des Körpers auf Bakteriengifte bezeichnet, die durch den therapiebedingten Zerfall einer großen Menge von Erregern entstehen. Dies führt dann zur Freisetzung von Entzündungsbotenstoffen, wie zum Beispiel bei einer Antibiotika-Behandlung. Diese Reaktion sollte allerdings nur kurze Zeit anhalten. Und die Voraussetzung dafür ist natürlich auch, dass es im Körper überhaupt Bakterien gibt, die abgetötet werden müssen. Bei vielen, die sich selbst mit Ivermectin medikamentieren, ist das jedoch durchaus fraglich.
Längst wird Ivermectin in Impfgegner-Kreisen nicht mehr nur als Corona-"Wunderwaffe" gesehen. Es gilt inzwischen als eine Art Heilmittel gegen alles Mögliche, angeblich auch Autismus und Krebs. So glaubte Lemoi, das Parasiten-Medikament habe ihn von seiner Lyme-Borreliose geheilt und sein Herz regeneriert. Nach eigenen Angaben hatte er in den letzten zehn Jahren täglich eine Dosis des Mittels eingenommen. Andere animierte er, es ihm gleichzutun.
Viele glauben weiter an die Wirkung
Jetzt ist er tot. Woran er genau gestorben ist, ist offiziell nicht bekannt. In seiner Telegram-Gruppe heißt es, Lemoi sei "eines natürlichen Todes gestorben". Er habe unter einer vererbten Herzkrankheit gelitten, die sich durch chronischen Stress verschlimmert hätte. Anfragen von US-Medien ließen die Administratoren des Telegram-Kanals unbeantwortet.
Die meisten seiner Follower sind überzeugt, dass Ivermectin nichts mit seinem Tod zu tun hatte. Einige wenige führten laut Vice aber auch Zweifel an. Gruppenmitglieder warfen ihnen daraufhin vor, Fehlinformationen zu verbreiten. Auch die Administratoren machen weiter Werbung für das Mittel. "Niemand kann mich davon überzeugen, dass er wegen Ivermectin gestorben ist", heißt es in einem Post. "Er ist letztendlich wegen unserer gescheiterten westlichen Medizin gestorben, die sich nur um den Profit und nicht um die Heilung kümmert."
Quelle: ntv.de