
Damit es im Wartezimmer von Arztpraxen im Winter nicht zu voll wird, sollen Fieberambulanzen eingerichtet werden.
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Gesundheitsminister Spahn plant die Einrichtung von Fieberambulanzen, um im Winter einen Andrang auf Arztpraxen zu verhindern. Das Coronavirus solle so von anderen Patienten ferngehalten werden. Doch nicht jeder ist von der Notwendigkeit der Ambulanzen überzeugt. Auch die Umsetzung wirft einige Fragen auf.
Die Corona-Fallzahlen in Deutschland steigen wieder, während die Grippesaison immer näher rückt. Gesundheitsminister Jens Spahn drängt deshalb auf eine neue Herbst-Strategie im Kampf gegen das Coronavirus. Damit Patienten sich nicht im Wartezimmer von Arztpraxen mit Covid-19 anstecken, regt er die Einrichtung von Fieberambulanzen an. Patienten mit Atemwegssymptomen sollen dorthin gehen, um eine Infektion mit dem Coronavirus von der Grippe oder einem heftigen Infekt zu unterscheiden. Dadurch soll auch der Ansturm auf Hausärzte abgefedert werden, da sich die Ambulanzen dem Plan zufolge mehrheitlich außerhalb der Praxen befinden.
Im Grunde sind Fieberambulanzen keine neue Idee. Seit Beginn der Pandemie gibt es sie bereits, nur unter einem anderen Namen: "Üblicherweise heißen sie Corona-Testzentren und diese sind damit auch gemeint", sagt der Vorstandsprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH), Peter Walger ntv.de. Der Name Fieberambulanzen suggeriere, dass es ein einheitliches Konzept ist. "Das ist es aber nicht", sagt der Infektiologe. Die Umsetzung sei regional verschieden. "Fieberambulanzen gibt es in allen möglichen Variationen. Das können Nebengebäude eines Krankenhauses, Container, Zelte oder andere Räumlichkeiten in der Nähe von Arztpraxen sein."
Wie beispielsweise in Berlin: Dort existieren bereits 30 Fieberambulanzen, sagt die Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung, Dörthe Arnold, ntv.de. Diese Praxen gebe es schon seit dem Frühjahr, nur habe sich der Begriff "Covid-19-Praxen" statt Fieberambulanzen durchgesetzt. Sie erfüllten aber die gleichen Voraussetzungen: Möglichst drei Behandlungsräume, einen separaten Hauseingang und ausreichende räumliche Möglichkeiten, damit Patienten genug Abstand zueinander halten können. Die Arztpraxen seien so aufgebaut, dass sich Patienten untereinander nicht gefährden.
Nach Spahns Vorstellung sollen Fieberambulanzen nun flächendeckend in Deutschland eingerichtet und intensiviert genutzt werden. Dabei gehe es letztlich um das Risikomanagement, sagt Walger. Entscheidend bei den einzelnen Ambulanzen sei, dass Patienten mit Covid-19-Symptomen getrennt von anderen Patienten behandelt werden. "Das ist durchaus sinnvoll, denn sowohl Arztpraxen als auch Krankenhäuser haben zu Beginn der Pandemie das Problem der Trennung gehabt." Primär gehe es in den Fieberambulanzen um die Diagnostik und nicht um die Behandlung. Patienten mit Covid-19-Symptomen sollen zunächst auf das Virus getestet werden, um dann in einem zweiten Schritt entscheiden zu können, welche Behandlung für sie sinnvoll ist.
Personal für Ambulanzen fehlt
Die Reaktionen auf den Vorschlag fallen unterschiedlich aus. Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund bezeichnet die Fieberambulanzen als "sehr sinnvoll". Es könnte verhindern, dass Patienten mit anderen Erkrankungen aus Angst vor einer Coronavirus-Ansteckung den Gang zum Arzt oder in die Klinik meiden. Auch die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek hält die vorgeschlagenen Fieberambulanzen für "eine gute Idee für den Herbst und den Winter". Solche spezielle Einrichtungen verringerten die Ansteckungsgefahr für andere Patienten im Wartezimmer, sagte sie am Dienstag im NDR-Podcast Coronavirus-Update. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz unterstützt Spahns Vorschlag ebenfalls, warnt aber vor akuten Personallücken in Heimen. "Es darf sich nicht wiederholen, dass infizierte Pflegekräfte weiterarbeiten, nur weil es keinen Ersatz gibt."
Die Frage nach dem zusätzlich benötigten Personal in den Ambulanzen sieht auch der Berufsverband der HNO-Ärzte kritisch. Grundsätzlich sei es zwar sinnvoll, die Corona-Strategien für die kommende Erkältungsperiode genauer in den Blick zu nehmen, erklärt ihr Präsident, Dirk Heinrich. Allerdings habe man in der Vergangenheit ein unnötiges Personalaufkommen in Corona-Testzentren beobachtet. Dort sei das Patientenaufkommen weitaus niedriger gewesen, als zunächst angenommen. Diese Gefahr sieht Heinrich auch für Fieberambulanzen. "Die Kolleginnen und Kollegen, die dort freiwillig und in der Regel zusätzlich zur regulären Sprechstundenzeit über Wochen Dienst geschoben haben, sollten im Winter besser in der eigenen Praxis zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zur Verfügung stehen."
Angst vor Ansteckung in Wartezimmern unbegründet?
Auch Infektiologe Walger gibt zu, dass die Personalfrage von Fieberambulanzen eine der "regionalen Herausforderungen" wird. Allerdings habe man aus den Erfahrungen der Anfangsphase in Corona-Testzentren gelernt und könnte das Wissen nun in das Management der neuen Ambulanzen einfließen lassen. Der HNO-Verband warf dagegen ein, dass Arztpraxen auf eine doppelte Infektionswelle vorbereitet seien und auch in der Vergangenheit Corona-Verdachtspatienten ambulant versorgt haben. In den meisten HNO-Praxen gebe es funktionierende Abläufe zum Umgang mit Corona-Verdachtsfällen. Darauf könne sich der Minister auch im Winter verlassen. "Kein Patient muss aus Angst vor Corona wegen einer anderweitigen Erkrankung zu Hause bleiben", sagt Heinrich. Menschen mit Covid-19-Symptomen sollten sich daher vor dem Arztbesuch darüber informieren, welche Arztpraxis eine gesonderte Sprechstunde für Infektionspatienten anbietet und wann.
Irreführend sei zudem der Name Fieberambulanzen, sagt Virologin Ciesek im NDR-Podcast Corona-Update. Der sei "nicht so gelungen". Er könne dazu führen, dass nur Menschen mit Fieber diese Ambulanzen aufsuchten, aber nicht jeder Patient mit Covid-19 entwickle Fieber. Das könnte zu Verwirrung führen, sagt die Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt. Falsch findet Ciesek den Vorschlag, in den Ambulanzen einen Antigentest anzubieten. Diese Art Test liefert ein Ergebnis zwar schon nach wenigen Minuten, der aussagekräftigere PCR-Test dauert mehrere Stunden. "Bei symptomatischen Patienten sollte man möglichst die richtige Diagnose mit einem sensitiven Test, also der PCR, haben".
Für Kinder gelten aber nach wie vor andere Regeln. Bei Husten, Schnupfen und Fieber soll weiterhin der Kinderarzt aufgesucht werden, sagt Wagler. Das könnte im Herbst und Winter zwar ebenfalls zu einer Überlastung in den Wartezimmern führen. Für das Pandemie-Geschehen spielen Kinder aber weiterhin eine unbedeutendere Rolle. Ihr Krankheitsverlauf ist in der Regel nicht schwerwiegend und die Ansteckungsgefahr nicht besonders hoch.
Fraglich bleibt, wie Hygienekonzepte der Fieberambulanzen außerhalb von Arztpraxen aussehen sollen. Um die Ansteckungsgefahr auch innerhalb der Ambulanzen gering zu halten, müssten noch strengere Hygiene-Maßnahmen gelten als ohnehin schon. "Das Personal muss spezielle Schutzkleidung tragen und die Wege für Patienten so organisiert sein, dass sie sich nicht treffen", sagt Walger. Das sei aber nur eine Frage der Logistik. Wer die Organisation der Fieberambulanzen allerdings übernehmen soll, ist noch unklar. In der Vergangenheit waren das die Kassenärztlichen Vereinigungen. Doch Bayern hat in einer Stellungnahme bereits deutlich gemacht, dass sie von Spahns Vorstoß "überrascht" worden seien und bereits funktionierende Strukturen habe, die eine "Versorgung von symptomatischer Patienten gewährleisten". Auch stelle sich die Frage, wer die Kosten übernehmen soll. Am Ende müsse das regional und in enger Abstimmung mit der Personal-Lage entschieden werden, sagt Wagler. Ab Mitte Oktober soll Spahns neue Strategie in Kraft treten.
Quelle: ntv.de