Rechtsmediziner über Corona "Wir können Infektionen nicht verhindern"
08.04.2020, 19:37 Uhr
Klaus Püschel untersucht immer wieder infektiöse Leichen. Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus hat er nicht.
(Foto: picture alliance / Christian Cha)
An der Hamburger Uniklinik obduziert Rechtsmediziner Klaus Püschel mit dem Coronavirus infizierte Tote. Im Interview mit ntv erklärt er, was die Leichen über die neuartige Krankheit preisgeben und warum Panik nicht nötig ist.
ntv: Herr Püschel, wie kann man das Coronavirus bei Leichen nachweisen?
Klaus Püschel: Für den Virus-Nachweis sind die Virologen zuständig. Die bekommen von uns dafür das entsprechende Gewebe und die Abstriche übersandt.
Wenn eine Leiche positiv auf das Coronavirus getestet wurde, inwiefern ist das Virus dann noch gefährlich? Könnten Sie oder Ihre Kollegen sich anstecken?
Das ist prinzipiell eine Situation, wie wir sie von sehr vielen anderen Krankheiten kennen. Es wird immer wieder das Thema Grippe in diesen Zusammenhang gebracht, wir haben hier natürlich auch Grippe-Tote zu untersuchen, die einen Virus im Körper haben. Es gibt aber auch Viren, die deutlich gefährlicher sind und chronische Krankheiten auslösen, zum Beispiel Hepatitis, oder auch Bakterien, die Tuberkulose oder eine Hirnhautentzündung hervorrufen. Wir müssen bei jedem Toten, den wir untersuchen, davon ausgehen, dass er potenziell infektiös ist.
Hat sich Ihre alltägliche Arbeit durch das Coronavirus verändert?
Für uns ist das jetzt eine sehr wichtige und besondere Situation, es ist ja eine Virusinfektion, die uns bisher nicht richtig bekannt ist, ein neues Virus. In diesem Zusammenhang stellen sich natürlich sehr viele Fragen. Einerseits für die Rechtsmedizin, zum Beispiel nach der Todesursache, aber auch für viele andere Fachgebiete. Die Virologen wollen wissen, in welchen Geweben man das Virus überall nachweisen kann. In den Atemwegen und der Lunge, da denkt jeder dran, aber zum Beispiel auch Herzmuskel, Gehirn oder innere Organe wie die Niere. Da besteht ein großes Interesse, den Virusnachweis zu führen, zu sehen wie weit dort auch möglicherweise ein Virus-Reservoir ist. Ob im Organsystem das Krankheitsgeschehen unterschiedlich abläuft. Und ob die Immunantwort - die es ja im Wesentlichen ist, die unsere Organe und Gewebe geben - regional unterschiedlich ausgeprägt ist. Und ob dadurch auch der unterschiedliche Verlauf der Erkrankung erklärbar ist.
Was konnten Sie schon für Erkenntnisse daraus ziehen? Was haben Sie von den Leichen gelernt?
Das Credo, nach dem wir arbeiten, ist, dass wir vor allem für die Lebenden lernen. Die erste Frage, die immer wieder gestellt wird, ist: Woran sterben die eigentlich, die sogenannten Corona-Sterbefälle? Da muss man sagen, dass Corona keine Diagnose ist - es heißt ja nur, wir haben das Coronavirus nachgewiesen. Welche Krankheitserscheinungen hervorgerufen werden, weiß man damit noch nicht. Es kommt sehr auf den Organismus an, auf den das Coronavirus trifft: Ob er schon viele andere Krankheiten hat, ob bestimmte Organsysteme mehr oder weniger stark vorgeschädigt sind, sodass sie dann auch eher dekompensieren. Was wir bis jetzt sagen können, ist, dass sich die Coronavirus-Infektion in der Tat zunächst in den Atemwegen und in der Lunge abspielt. Vergleichsweise neu ist, dass die Virusinfektion offensichtlich auch starke Auswirkungen auf die Gefäßinnenhäute und auf die Blutgerinnung hat, sodass es vergleichsweise häufig zu Thrombosen und Embolien kommt.
Muss man Panik vor diesem Virus haben?
Nein, ausdrücklich nicht. Persönliche Ängste sind eigentlich völlig überflüssig, das ist eine Virusinfektion wie viele andere. Ich habe keine Angst vor einer Corona-Infektion, selbst wenn ich sie jetzt bekommen würde bei der Arbeit, weil ich davon ausgehe, dass diese Infektion bei mir harmlos verläuft. In Deutschland wurde relativ frühzeitig und umfassend reagiert, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern und dafür zu sorgen, dass die Krankenhäuser nicht überlastet werden. Es ging jetzt darum, die Kurve flacher zu gestalten, das ist auch richtig, aber ansonsten müssen wir möglichst schnell zu einem normalen Leben zurückkommen. Wir können Infektionen nicht verhindern. Ehrlich gesagt ist es mir lieber, wenn ich das Virus jetzt bekomme, dann habe ich es hinter mir, wenn in drei Monaten wieder die Lokale offen sind. Alle, die diese Infektion im Moment nicht haben, werden sie in den nächsten ein, zwei Jahren sowieso bekommen, bis wir eine Herdenimmunität haben.
Wo befinden wir uns gerade - sind wir am Anfang der Epidemie, in der Mitte oder haben wir den Höhepunkt schon erreicht?
Das ist nicht mein Feld, das ist die Aufgabe der Epidemiologen und Virologen. Wir stellen bei den Toten aber fest, dass wir jeden Tag mehr zu obduzieren haben, wir befinden uns deutlich im ansteigenden Bereich. Man muss also in Deutschland sicher damit rechnen, dass wir noch viele sogenannte Corona-Sterbefälle haben werden, den Gipfel haben wir noch deutlich nicht erreicht.
Sind das tatsächlich Fälle, die nachweislich am Coronavirus gestorben sind - oder sind sie nur mit dem Coronavirus gestorben?
Es gibt beides und der Anteil von Corona am tödlichen Ausgang ist unterschiedlich. Bei einigen macht es zehn Prozent am tödlichen Mechanismus aus, bei anderen 90 Prozent, je nach Ausmaß der Vorkrankheiten und nach Intensität der Infektion. Was man für Hamburg sagen kann ist, dass wir bisher nur Todesfälle bei Personen haben, die in der Regel mehrere Vorerkrankungen hatten und ein Durchschnittsalter deutlich jenseits der 70. Es sind eher mehr Männer betroffen als Frauen. Auf jeden Fall kann man davon sprechen, dass diese Personen überwiegend multimorbide, also krank waren. Auch bei Fällen, bei denen man in der Bevölkerung sagt, "der war 52, der war doch kerngesund", würde ich sagen, dass er vielleicht nicht wusste, dass er erhebliche Vorerkrankungen hatte. Das ist durchaus möglich, weil viele von uns Krankheiten in sich tragen, von denen sie Einzelheiten gar nicht wissen. Gesunde Menschen werden die Infektion als vergleichsweise harmlose Virusinfektion innerhalb von eins bis zwei Wochen durchmachen und schnell wieder vergessen.
Glauben Sie, wir könnten hierzulande Zustände wie in Italien oder in den USA erreichen?
Nein, das halte ich für ausgeschlossen. Ich finde, das haben die Politiker gut geregelt. In unserem Land leben 100 Millionen Menschen [sic], davon sind jetzt 100.000 infiziert. Am Ende werden wir aber mehrere Millionen Infizierte haben. Wir schieben das Problem ein bisschen vor uns her. Die Hoffnung ist, dass man das mit einem Impfstoff später abmildern kann, aber wir können der Krankheit nicht entrinnen. Wir können die Infektion an vielen Stellen bekommen - und das ist ja auch nicht schlimm. Die beste Medizin, die wir haben, ist unser Immunsystem. Das wird in aller Regel damit fertig, wenn es intakt und nicht durch Vorerkrankungen geschwächt ist.
Quelle: ntv.de