Fußball

Ist der Fußball bereit für sein Coming-out? Hitzlspergers Pass ins Ungewisse

Freie Liebe für alle? So weit ist der deutsche Fußball wohl noch nicht.

Freie Liebe für alle? So weit ist der deutsche Fußball wohl noch nicht.

(Foto: imago sportfotodienst)

Das Coming-out von Thomas Hitzlsperger lässt Optimisten auf einen toleranteren Fußball hoffen. Doch bis es keine Rolle mehr spielt, ob ein Spieler Männer liebt, ist es ein weiter Weg. Vereine und Verbände tun sich schwer mit echter Aufklärungsarbeit.

imago12128732h.jpg

Denken Sie, dass sich aktive Sportler nun outen können?

"Dass er sich öffentlich bekennt, verdient Anerkennung und Respekt. Ich begrüße diesen Schritt, wir werden ihm alle Unterstützung zukommen lassen, damit er seinen mutigen Weg weitergehen kann." Das sagte Oliver Bierhoff, Teammanger der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, zum Coming-out von Thomas Hitzlsperger, der von 2004 bis 2010 52 mal für die deutsche Nationalmannschaft spielte. - "Ich finde es schade und ärgerlich, dass die Prominenz der Nationalelf missbraucht wird, um irgendein Thema zu entwickeln. Das sehe ich immer auch als Angriff auf meine Familie - die Familie der Nationalelf." Das sagte Oliver Bierhoff 2011 nach einem "Tatort", in dem es um homosexuelle Fußballer ging. Einer von ihnen sagt in dem TV-Krimi: "Wissen Sie, die halbe Nationalmannschaft ist angeblich schwul, einschließlich Trainerstab." Bierhoff empfand diesen Satz eines fiktiven Charakters also als "Angriff", zu dem er sich auch noch öffentlich äußern musste.

Was ist in den fast drei Jahren zwischen diesen beiden Aussagen Bierhoffs passiert? Ist der Fußball lockerer, toleranter geworden? Es sieht nicht danach aus. "Ich möchte gern eine öffentliche Diskussion voranbringen", sagte Hitzlsperger in seinem Interview mit der "Zeit". Das hat er geschafft, mit einer im deutschen Fußball beispiellosen Courage. Viele schreiben deswegen schon von einem Zeitenwandel im Fußball. Aber das scheint verfrüht, wenn man sich die Politik von Vereinen und Verbänden anschaut. Die zeigen viel guten Willen – aber das war es meist auch schon.

Die alte Geschichte mit der Seife

Der Deutsche Fußball-Verband weist auf seiner Internetseite auf die Infobroschüre "Fußball und Homosexualität" hin, die im Sommer 2013 veröffentlicht wurde. "Nicht erst seit Hitzlspergers Coming Out" sei Homosexualität ein Thema. Tatsächlich bezeichnete Lars Wessel von den "Queer Football Fans" die 28 Seiten als "sinnvollen Schritt zur Information, Aufklärung und für den Erstkontakt aller in Vereinen und Verbänden." Nur: Wer sie überhaupt liest, ist unklar. Der DFB wollte die Broschüre allen Landesverbänden und allen 26.000 Vereinen "an die Hand geben". Das heißt aber nicht, dass gedruckte Versionen verschickt wurden - wie der DFB n-tv.de im Sommer sagte, seien auf Anfrage Links zu den Broschüren verschickt worden. Aufklärungsarbeit per E-Mail. 

Zieht man die "Menschenfeindlichkeits"-Studie des Bielefelder Forschers Wilhelm Heitmeyer von 2011 heran, ist Homophobie in der deutschen Gesellschaft nach wie vor weit verbreitet. Jeder Vierte findet es "ekelhaft, wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssen". Jeder siebte meint, Homosexualität sei "unmoralisch". Landläufig wird angenommen, der Fußball sei noch rückständiger - eine letzte Bastion der chauvinistischen Männerwelt eben. Tatsächlich deutet eine Studie aus Neuseeland darauf hin, dass männliche Sportler schwulenfeindlicher sind als Nicht-Sportler.

Wie deutsche Fußballer aus unteren Ligen über Schwule und Lesben denken, zeigt eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu Homophobie, Rassismus und Sexismus im Fußball aus dem Jahr 2011. Dort wurden Dorfmannschaften in Gruppendiskussionen befragt. "Mit einem Analritter dusch' ich nicht", sagt einer der Teilnehmer, andere diskutieren über die Seife, die man nicht fallen lassen dürfe. Die Verfasser der Studie interpretieren diese Scherze übrigens als nicht unbedingt abwertend - tatsächlich versuchten die Männer oft nur, ihre eigene Unsicherheit zu kaschieren.

"Was machen wir?"

Fast zeitgleich mit der Infobroschüre des DFB startete die Magnus-Hirschfeld-Stiftung im vergangenen Sommer ihr Bildungsprojekt "Fußball für Vielfalt". Es soll diese Unsicherheit bekämpfen, und Aufklärungsarbeit mit und in den Vereinen leisten. Der Vorsitzende der Stiftung, Jörg Litwinschuh, stellt das Bildungskonzept noch in diesem Monat der Deutschen Fußball-Liga und dem DFB vor: "Wir wollen und wir müssen den DFB und die Liga mitnehmen. Aber die Signale stehen auf Grün." Über das Coming Out von Thomas Hitzlsperger ist er glücklich: "Jetzt ist klar, dass ein Aufklärungsbedarf besteht. Die Vereine müssen sich überlegen: Was machen wir, wenn ein Spieler sein Coming-out hat?"

Teil des Projektes der Hirschfeld-Stiftung ist die "Berliner Erklärung"- eine nette Geste, nicht mehr, nicht weniger. "Wir setzen uns für ein aktives Vorgehen gegen Homophobie auf allen Ebenen des Sportes ein", heißt es in dem Text. Wer würde das nicht unterschreiben? Nun: elf Vereine der ersten Fußball-Bundesliga und zehn Vereine der zweiten Fußball-Bundesliga - obwohl die Hirschfeld-Stiftung alle Profi-Klubs mehrfach angeschrieben hat. Litwinschuh wirbt auch im persönlichen Gespräch um die Unterstützung der Vereine: "Es bestehen aber noch Berührungsängste. Die müssen wir ernst nehmen, statt sie zu verteufeln." Seine Stiftung will auf die Vereine zugehen, ihnen Bildungsveranstaltungen für Trainer anbieten. "Aber es wird noch ein langer Prozess." Von einem langen Prozess hat auch Hitzlsperger gesprochen, als er seinen Weg beschrieb. Der Ex-Nationalspieler hat sein Coming-out gewagt. Der deutsche Fußball zögert noch.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen