Medienökonom kritisiert Telekom-Pläne "Kommunikative Gleichheit ist bedroht"
04.10.2010, 10:48 Uhr
René Obermann sucht nach Einnahmequellen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Verstopft die wachsende Datenmenge das Internet? Dazu hat im Bundestag eine Experten-Anhörung stattgefunden, darunter war auch ein Vertreter der Telekom. Deren Chef René Obermann würde Kunden gern über spezielle Datentarife zur Kasse bitten. "Das ist ein Eingriff in die Kommunikationsgrundrechte", sagt der Medienökonom Klaus Beck. Er zweifelt an der unternehmerischen Kompetenz des Konzerns.
n-tv.de: Im Internet werden alle Datenpakete gleich schnell übermittelt. Warum soll das nach Meinung der EU-Kommission so bleiben?
Klaus Beck: Wegen kommunikativer Gleichheit. Und aus Wettbewerbsgründen. Ein Netzbetreiber hat die Neigung, die eigenen Inhalte zu privilegieren und bevorzugt zu befördern. Damit hätte er einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Anbietern. Es geht dann nicht mehr um die Qualität oder höhere Akzeptanz der angebotenen Inhalte, sondern um die Verbreitung.
Womit kann man die so genannte Netzneutralität vergleichen?
Auch bei Stromnetzen, der Gasversorgung oder der Sprachtelefonie wurde der Markt geöffnet, um mehr Wettbewerb und dadurch mehr Qualität zu erreichen - zumindest theoretisch. Die Voraussetzung ist, dass man die Monopole bei den Verbreitungswegen kappt. Und die betroffenen Unternehmen dazu zwingt, ihre Netze auch Konkurrenten zur Verfügung zu stellen.
Nehmen wir an, diese Firmen können ihr Vorhaben umsetzen und kippen die Gleichbehandlung der Daten. Welche Folgen sind für technische Innovationen absehbar?
Eher mittel- und langfristige. Dann wird sich die Frage stellen: Gibt es alternative Verbreitungswege, bei denen die künstlichen Engpässe nicht bestehen? So könnten Monopol- oder Kartellstrukturen umgangen werden. Volkswirtschaftlich gesehen würde das riesige Investitionen erfordern. Und die würden sich vermutlich nicht amortisieren, geschweige denn rentieren. In den USA mussten Telefonunternehmen im 19. Jahrhundert parallele, miteinander konkurrierende Netze aufbauen. Das sind unglaubliche Investitionen. Und sie sind volkswirtschaftlich sinnlos. Eigentlich sollte es darum gehen, vorhandene Infrastrukturen möglichst effizient zu nutzen. Die Aufhebung der Netzneutralität würde das Gegenteil fördern.

Klaus Beck ist Professor für Kommunikationspolitik und Medienökonomie an der Freien Universität Berlin.
Beim mobilen Internet ist nach Auffassung von Google eine Tarifstaffelung sinnvoll, im verkabelten Netz aber nicht. Warum?
Mich überzeugt diese Argumentation überhaupt nicht. Zwar bieten Mobilfunknetze einen exklusiven Zusatznutzen. Aber auch hier gilt: Es ist nur ein Netz notwendig, wenn es effizient genutzt wird. Das funktioniert aber nur über faire Wettbewerbsbedingungen. Eine Unterscheidung bei der Regulierung und Deregulierung von Fest- und Mobilnetzen ist nicht logisch.
Inwiefern?
Es geht um die gleichen Inhalte über einen anderen Übertragungsweg: Kabel oder kein Kabel. Wer hat die legitime Macht zu entscheiden, welcher Inhalt mit Priorität behandelt werden muss? Das ist ein Eingriff in die Kommunikationsgrundrechte. Es geht hier nicht nur um Märkte und wirtschaftlichen Wettbewerb, sondern um natürliche Güter. Alle elektromagnetischen Wellen sind ein öffentliches Gut und gehören - pathetisch gesagt - dem Volk. Sie sind kein privates Eigentum wie ein Grundstück, auf dem ich sagen kann: Ich vermiete einen Parkplatz an Person X, aber nicht an Person Y.
Die gesellschaftliche Bedeutung des Kommunikationsweges Internet steht also über wirtschaftlichen Interessen?
Zweifellos, so will es unsere Verfassung! Für eine Entscheidung über wichtige und weniger wichtige Inhalte gibt es weder eine Legitimation noch eine Instanz. Vor dem Gesetz sind alle gleich, und im Artikel 5 des Grundgesetzes sind die Kommunikationsfreiheiten geregelt. Unsere private E-Mail ist genauso viel wert wie die eines Politikers oder eines Wirtschaftsbosses. Das gleiche gilt auch für bewegte Bilder oder andere Inhalte.
Ist die Infrastruktur dem ständig wachsenden Datenstrom denn gewachsen?
Es gibt einen erheblichen Zuwachs an Bandbreite, der durch aufwändige Inhalte wieder aufgefressen wird - bewegtes Bild mit Ton braucht natürlich mehr als getippter Text im ASCII-Format. Aus dem PC-Bereich wissen wir, dass mit wenig effizienter Programmierung auch künstlich Bedarf nach neuer Hardware erzeugt werden kann. Wenn Kapazität da ist, werden auch datenintensive Angebote produziert. Werden die Ressourcen knapp, müssen Anbieter etwa wieder über Komprimierungsverfahren nachdenken. Darin liegt eher die Innovationskraft. Der Energiemarkt und die fossilen Brennstoffe sind ein guter Vergleich.
Die Denkweise ist also falsch?
Den Gegnern der Netzneutralität geht es natürlich nicht um die effiziente Nutzung eines öffentlichen Gutes. Sie wollen es als Claim abstecken und privatisieren, damit sie es besser vermarkten können. Das ist auch richtig - aber nur in der Logik kommerzieller Unternehmen. Eine andere Argumentation würde mich wundern. Inhaltlich überzeugend ist sie deshalb nicht. Sie würde die Freiheit der Kommunikation behindern.
Die Telekom sagt: Entweder alle Internetnutzer müssen mehr für ihren Zugang zahlen, oder wir schaffen die Netzneutralität ab. Nur so würden sich Investitionen rechnen.
Diese Rechnung würde ich gerne sehen. Weite Teile des Netzes sind schon längst finanziert. Übrigens bereits vor der Privatisierung, also zur Zeit der Monopole von Deutscher Bundespost und Telekom. Dann wird also etwas privatisiert, was die Bürger indirekt schon längst bezahlt haben. Und jetzt rechnen sich diese Investitionen angeblich nicht mehr? Da bekomme ich Zweifel an der unternehmerischen Kompetenz in den Chefetagen.
Mit Prof. Dr. Klaus Beck sprach Roland Peters
Quelle: ntv.de