EU prüft Übernahme durch Facebook Wird WhatsApp doch noch teurer?
10.07.2014, 10:35 Uhr
WhatsApp-Nutzer, die Facebook gegenüber misstrauisch sind, haben kaum echte Messenger-Alternativen.
(Foto: REUTERS)
EU-Kartellwächter prüfen die Übernahme von WhatsApp durch Facebook: Welche Marktmacht hat Zuckerbergs soziales Netzwerk? Haben Nutzer des eingekauften Messengers wirklich eine Wahl, wenn Facebook Werbung einbaut oder den Abo-Preis erhöht?
Vertreter der EU-Kommission haben in den vergangenen Wochen detaillierte Fragebögen an mehrere große Technologiefirmen und Online-Nachrichtendienste versendet. Darin wollten sie, wie mit der Sache vertraute Personen berichten, wissen, welche Auswirkungen die Übernahme auf den Wettbewerb haben würde. Mit den Fragebögen wird auch eine für Kartellverfahren neue Dimension eröffnet: Wie gehen solche Dienstleister mit persönlichen Daten um?
Das Kartellverfahren dürfte erstmals einen detaillierten kartellrechtlichen Blick auf die App-Ökonomie und soziale Medien eröffnen, sagen Anwälte und Manager aus der Technologiebranche. Zuvor haben sich die Behörden zwar bereits mit Messenger- und Videodiensten befasst, etwa beim Kauf von Skype durch Microsoft. Neu ist jedoch die Frage, wie diese Dienste im Kontext sozialer Netzwerke zu betrachten sind.
Datenschutz und Privatsphäre haben in früheren Kartellverfahren keine größere Rolle gespielt. Einige Aufseher und Datenschützer rechnen aber damit, dass sich dies ändern wird. Auch die mächtigen Telekomkonzerne Europas haben über ihre Lobbyisten Stimmung gegen die Übernahme gemacht. Sie argumentieren, dass diese wie WhatsApp die Infrastruktur der Telekomfirmen nutzten, aber nicht in der gleichen Weise besteuert und reguliert werden.
Facebook will das Verfahren
"Die Kommission steckt den Zeh ein wenig ins Wasser", sagt ein Brüsseler Kartellanwalt. "Es ist das erste Mal, dass sie soziale Netzwerke ernsthaft im Hinblick auf die Marktmacht betrachten." Ursprünglich war nicht erwartet worden, dass sich die EU überhaupt mit der WhatsApp-Übernahme befasst. Der Kurznachrichtendienst macht in Europa nicht genügend Umsatz, um unter das EU-Kartellrecht zu fallen. Aber im Mai bat Facebook die Kommission darum, eine einzelne Prüfung für alle 28 Mitgliedsländer vorzunehmen. Ansonsten hätten dem Konzern separate Verfahren in mindestens drei EU-Ländern gedroht.
Durch diese Klausel erhielt die EU im Juni die Befugnis, die Transaktion zu überprüfen, sagen die Insider. Facebook hat die Übernahme noch nicht offiziell zur Genehmigung vorgelegt. Diese umfangreiche Dokumentensammlung würde den Zeitrahmen für eine Überprüfung festsetzen. Ein Sprecher der Kommission wollte keinen Kommentar abgeben, ebenso eine Sprecherin von Facebook.
Konkurrenten fühlen sich bedroht
Der Marktanteil von Smartphone-Nachrichtendiensten könnte ein heikles Thema werden. In Großbritannien - einem von drei Ländern, in denen Facebook nach eigenen Angaben ein Verfahren gedroht hätte - verwendeten im April drei Viertel aller Android-Nutzer die Facebook-App. Mehr als die Hälfte hatte zudem WhatsApp installiert. Bei Skype waren es lediglich 16 Prozent, den Nachrichtendienst Viber nutzten zwölf Prozent.
Mindestens zwei der Unternehmen, die befragt wurden, haben der EU-Kommission mitgeteilt, dass sie sich von der kombinierten Marktmacht von Facebook und WhatsApp bedroht fühlen. Sie fürchten, dass die beiden Firmen in einer Vielzahl von Ländern einen Großteil der Online-Nachrichten auf sich vereinen würden, wie zwei mit der Sache vertraute Personen berichten.
Aber einige Kartellanwälte und Tech-Manager halten dieses Argument für schwierig, da sich der Sektor der Internetkommunikation rasant wandle. Bei der Übernahme von Skype durch Microsoft hatte die Kommission beispielsweise einen breiten Kommunikationsmarkt zugrunde gelegt, auf dem es eine Vielzahl von Wettbewerbern gab. Daher wurde das Geschäft ohne Auflagen genehmigt. "Die eigentliche Frage ist, wie eng man den Markt definiert", sagt der Brüsseler Kartellanwalt.
Die Kommission werde sich unter anderem anschauen, "wie wahrscheinlich es ist, dass der Dienst nach der Übernahme praktisch kostenlos bleibt", sagt Jose Luis Buendia, ein ehemaliger EU-Kartellbeamter, der jetzt bei der Kanzlei Garrigues in Brüssel arbeitet. "Die Nutzer könnten theoretisch gesehen zu einem anderen System wechseln, wenn der Preis steigt. Aber das würde einen koordinierten Schritt von Millionen Menschen voraussetzen", sagt er. Derzeit kostet die Nutzung von WhatsApp 89 Cent pro Jahr, die ersten zwölf Monate ist das Abo kostenlos.
Kann Facebook zum Datenmonopolisten werden?
Auch die persönlichen Daten dürften in dem Verfahren eine große Rolle spielen. Als die US-Handelskommission FTC die Übernahme im April genehmigte, mahnte sie beide Unternehmen, ihre Versprechen zum Datenschutz einzuhalten. FTC-Kommissarin Julie Brill erklärte bei einer Rede im Juni in Brüssel, dass die Datenschutzbestimmungen in künftigen Verfahren eine Rolle spielen werden.
Manche Anwälte und Datenschützer haben zudem vorgeschlagen, dass ein neues kartellrechtliches Element in das Verfahren einfließen soll: Die Frage, ob ein Internetriese wie Facebook zum "Datenmonopolisten" werden könnte. Dahinter steht die Idee, dass ein Unternehmen so viele Nutzerdaten sammelt, dass dadurch anderen Firmen der Markteintritt verwehrt wird. Andere Anwälte glauben aber, dass solch ein Konzept nicht mit dem gültigen Kartellrecht vereinbar ist. "Welche Macht geben einem Daten wirklich? Selbst wenn eine Firma alle Daten über alle Kunden in der EU hätte, wäre sie trotzdem kein Monopolist", sagt Pat Treacy, Kartellanwalt bei der Kanzlei Bristows in London.
Die Kontrolle von Daten war bereits zwei Mal Gegenstand der Überprüfung in EU-Kartellverfahren - bei der mittlerweile gescheiterten Fusion der Werberiesen Publicis Groupe und Omnicom und einem Joint Venture britischer Mobilfunkbetreiber im Jahr 2012. Beide Transaktionen wurden ohne Auflagen genehmigt.
Quelle: ntv.de, Sam Schechner und Tom Fairless, Dow Jones