Der Kanzler weicht Fragen aus Scholz bleibt die wichtigste Antwort schuldig


Ein kleines bisschen Selbstkritik wagt Bundeskanzler Scholz doch noch, als er mehrmals darauf angesprochen wird. Ansonsten reihen sich in seiner Sommerpressekonferenz kurze Momente rhetorischer Klarheit an viele Ausflüchte. Auf die wichtigste Frage liefert Scholz keine klare Antwort.
"Einfach mal in die Sonne gucken" - darauf freut sich Bundeskanzler Olaf Scholz besonders in seinem bevorstehenden Urlaub, wie er kürzlich in einem Interview verriet. Bevor es losgeht, muss sich Scholz an diesem Mittwochnachmittag in Berlin noch einmal den Fragen der Hauptstadtjournalisten stellen. Die Sonne strahlt während der Sommerpressekonferenz in Berlin vom Himmel - und dürfte Scholz' Vorfreude auf den Urlaub steigen lassen.
In der Ampel-Koalition herrscht jedoch alles andere als eitel Sonnenschein. Bei der Bevölkerung verfestigt sich der Eindruck, in der Bundesregierung werde nur noch gestritten. Entsprechend düster sind die Umfrage-Werte für SPD, Grüne und FDP. Die SPD liegt laut einer Erhebung des RTL/ntv-Trendbarometers bei 15 Prozent, die Grünen bei 11 Prozent und die FDP bei fünf Prozent.
Die schlechten Zustimmungswerte lassen inzwischen sogar in der SPD die Unterstützung für Scholz bröckeln. Nur noch ein Drittel der SPD-Mitglieder hält Scholz für den richtigen Kanzlerkandidaten ihrer Partei bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr, wie eine Forsa-Umfrage ergibt. Mit 33 Prozent sprechen sich genauso viele Sozialdemokraten für Verteidigungsminister Boris Pistorius als Spitzenkandidat aus. Acht Prozent wünschen sich Co-Parteichef Lars Klingbeil.
So kommt gleich zu Beginn der Pressekonferenz die wichtigste Frage: Warum ist Scholz noch der Richtige fürs Kanzleramt?
Scholz kontert mit einem Augenzwinkern: "Danke für die überaus nette und freundliche Frage". Damit sorgt er gleich zu Beginn für Lacher in Raum. Scholz zeigt: Er kann witzig und schlagfertig sein. Anschließend stellt er klar: "Ich werde als Kanzler antreten, erneut Kanzler zu werden." Dann allerdings folgen Sätze wie: "Die SPD ist eine geschlossene Partei". Oder, etwas später: "Umfrageergebnisse, die nicht gut sind, sind ein Ansporn, bessere Umfrageergebnisse erreichen zu wollen." Es sind Sätze, die Scholz sich und seinem Publikum sparen könnte. So entsteht der Eindruck: Die wichtigste aller Fragen an diesem Nachmittag bleibt unbeantwortet, weil Scholz kaum Gründe liefert, ihn nochmal zum Kanzlerkandidaten zu machen.
Scholz: In Migrationspolitik ist "Schlendrian" überwunden
Seine Kunst, um die Antworten auf Fragen herumzutänzeln, hat inzwischen traurige Berühmtheit erlangt. Dafür gibt es im politischen Berlin sogar ein eigenes Verb: scholzen. Typisch für den Bundeskanzler sind auch die nicht enden wollenden Aufzählungen der Erfolge seiner Regierung, wenn er von Journalisten darum gebeten wird, Selbstkritik zu üben. Das wirkt nach einer gewissen Zeit ermüdend, ist aber eigentlich schade, denn Scholz hat recht. Abgesehen von den internen Streitereien und dem kommunikativen Chaos kann seine Regierung eine recht ordentliche Bilanz vorweisen: Die Arbeitslosenquote wurde unter ihr gesenkt, die Unterstützung der Ukraine stellte sie nach der russischen Invasion schnell auf die Beine, anschließend brachte sie die explodierenden Energiepreise wieder unter Kontrolle - und einiges mehr.
Aber so richtig verfängt das nicht in der fast zweistündigen Pressekonferenz. Also bleibt auch unklar, warum Scholz sagt, er hoffe noch auf zwei Legislaturperioden. Erst nachdem er zum x-ten Mal auf mögliche Versäumnisse seiner Regierung angesprochen wird, zeigt Scholz ein Mindestmaß an Selbstkritik: Er sei vor allem bei der Migrationspolitik froh, den "Schlendrian", der in der Vorgängerregierung geherrscht habe, jetzt zu überwinden. Er meint damit die Fehler der Großen Koalition unter Angela Merkel, der sowohl die SPD als auch Scholz als stellvertretender Bundeskanzler angehörten. An anderer Stelle räumt Scholz ein, genau dieser Schlendrian habe auch bei der Verteidigungs- und Arbeitspolitik beseitigt werden müssen. Und: "Das Schwierigste waren die Diskussionen, bis es dazu gekommen ist." Er ist sich also völlig darüber im Klaren, dass bei der Kommunikation dieser Bundesregierung etwas schiefläuft. Leider gelingt es ihm über weite Strecken nicht, es an diesem Nachmittag besser zu machen.
Dabei gibt es auch einige starke Momente rhetorischer Klarheit. Etwa als Scholz beschreibt, wie er einst an diesem "ellenlangen Tisch" mit Präsident Wladimir Putin in Moskau saß und der sich gar nicht für Vorschläge zur Rüstungskontrolle interessierte, weil er "schon seinen Krieg vorbereitet hat." Oder als Scholz sagt, es sei ein Fehler gewesen, die Eindämmung illegaler Migration als "unlösbare Aufgabe" zu sehen - und beschreibt, wie die Bundesregierung die Rückführungen um 30 Prozent steigern konnte. Oder als er den Grund für die Polarisierung der Gesellschaft durch ein "Nullsummendenken" mancher Menschen erklärt: "Wenn für die eine Sache etwas ausgegeben wird, dann gibt es für die Sache, die mir wichtig ist, kein Geld mehr." Dieses Denken sei nicht nur unsinnig, sondern kontraproduktiv.
Scholz: "Debatte nicht von den Spaltern bestimmen lassen"
An anderen Stellen wurstelt Scholz sich wieder durch. Besonders deutlich wird das, als er auf den Landrat des Kreises Mittelsachsen, Dirk Neubauer, angesprochen wird. Neubauer, einst in der SPD und jetzt parteilos, erklärte am Dienstag, er trete zurück - aufgrund von Bedrohungen "aus der rechten Ecke" sowie fehlenden Durchsetzungsmöglichkeiten in der strukturschwachen Region. Auf die Frage, was er tun wolle gegen die Perspektivlosigkeit von Politikern in solchen Regionen, entgegnet Scholz lediglich, die Politik müsse vom Sprücheklopfen wegkommen, indem sie in die Wirtschaft und den sozialen Zusammenhalt investiere. Aber wer soll das denn umsetzen, wenn Politiker vor Ort den Dienst quittieren? "Es ist wichtig, dass wir den Ton unserer Debatte nicht von den Spaltern bestimmen lassen" - sondern von jenen, die sich parteiübergreifend für ein Zusammenarbeiten einsetzten. Zu diesen Spaltern gehören für Scholz "die AfD und das BSW". Ein Lösungsvorschlag sieht anders aus.
Wenig später vergleicht Scholz Hass und Hetze im Netz mit Situationen in seinem Alltag: "Jeden Tag steht man unter Leuten und denkt beim Zuhören: Was hat denn der heute gegessen." So ähnlich sei das in sozialen Netzwerken, da müsse man resilient bleiben und gelassen reagieren. Dafür erntet Scholz wieder ein paar Lacher. Doch das eigentliche Problem löst Scholz mit dieser Aussage wieder nicht. Denn bei den kommenden Landtagswahlen muss er möglichst auch solche Leute davon überzeugen, ihn zu wählen - und nicht die "Spalter". Zudem können nicht alle so gelassen sein, wie der von Personenschützern umringte Scholz.
Dafür präsentiert er zwar einige Ansätze, kündigt etwa Fahrpläne für weitere Wirtschaftsinitiativen, Wohnungsbau und Bürokratieabbau an. Das allein wird aber vermutlich nicht reichen, um die SPD in Thüringen und Sachsen bei den Wahlen am 1. September aus dem Umfragetief zu holen, wo sie jeweils im einstelligen Bereich dümpelt. Auch an den Ergebnissen dieser Wahlen wird Scholz sich messen lassen müssen. Falls sie für seine Partei so katastrophal ausfallen wie erwartet, wird es für Scholz immer schwieriger, Gründe zu finden, warum er nochmal Kanzler werden sollte.
Quelle: ntv.de