Kino

Oyelowo und das wahre Afrika "Vorurteile werden aus Unwissen geboren"

Ruth Williams und Seretse Khama mussten hart für ihre Liebe kämpfen. "A United Kingdom" erzählt ihre Geschichte.

Ruth Williams und Seretse Khama mussten hart für ihre Liebe kämpfen. "A United Kingdom" erzählt ihre Geschichte.

(Foto: Alamode Film)

Seretse Khama ist im Begriff, den Thron des britischen Protektorats Bechuanaland zu besteigen, als er Ruth Williams kennenlernt. Der schwarze Adelige und die weiße Büroangestellte werden ein Paar, sie heiraten. Es ist das Jahr 1948. In Südafrika herrscht Rassentrennung und die dortige Regierung will das Nachbarland nicht von einem interkulturellen Ehepaar regiert sehen. Großbritannien, wo Seretse und Ruth sich begegneten, folgt dem Urteil des reichen Lands und auch in Bechuanaland, dem heutigen Botswana, ist man dem jungen Paar alles andere als wohlgesonnen: Der Anführer hätte sich besser eine Frau unter seinen Landsleuten suchen sollen.

Wie Seretse Khama für seine Liebe kämpft und wie er seinem Land schließlich die Demokratie schenkt, um dessen Bodenschätze dem Einfluss Südafrikas zu entziehen und die wirtschaftliche Entwicklung seiner Heimat voranzutreiben - all das erzählt der Film "A United Kingdom" mit David Oyelowo und Rosamund Pike in den Hauptrollen. Im Gespräch mit n-tv.de erklärt der 40-jährige Oyelowo, warum es so wichtig ist, Geschichten wie diese in die Welt zu tragen, wieso er so gern mit weiblichen Regisseuren arbeitet und wie sich Diskriminierung bekämpfen lässt.

n-tv.de: "A United Kingdom" erzählt die Geschichte einer Familie, die von verschiedenen Regierungen daran gehindert wird, ein gemeinsames Leben zu führen. Obwohl die Geschichte Jahrzehnte in der Vergangenheit spielt, fühlt sich das Thema etwa in Zusammenhang mit der gegenwärtigen Einwanderungspolitik der USA aktuell an. Wie erleben Sie das?

David Oyelowo: Als wir den Film gedreht haben, waren diese Inhalte noch nicht so präsent. Das Großartige an Historienfilmen ist: Sie sind auf ihre Art zeitlos. Sie zeigen Phänomene, die uns im Verlauf der Geschichte immer wieder begegnen. Dazu zählen Vorurteile, etwa darüber, wer wen lieben darf. Während der Dreharbeiten kann man selten voraussehen, wie die Inhalte später angenommen werden. In diesem Fall haben sie jetzt eine größere Relevanz, als wir das uns jemals hätten wünschen können.

Sie scheinen die gegenwartspolitischen Implikationen von "A United Kingdom" zu genießen. Immer mehr Vertreter der Unterhaltungsindustrie positionieren sich dieser Tage öffentlich zur Tagespolitik. Begrüßen Sie diese Entwicklung?

Wenn die betreffenden Personen wirklich etwas zu sagen haben, ist das eine gute Entwicklung. Allgemein herrscht derzeit ein höheres politisches Bewusstsein in der Gesellschaft. Damit geht auch eine neue Ignoranz einher. Die Leute interessieren sich in Zeiten von Social Media mehr für Soundbites (kurze, einprägsame Zitate; Anm. d. Red.) als für Fakten. Grundsätzlich ist es aber gut, dass sich die Leute auf so vielfältige Weise einbringen. Nur so können wir unsere Regierungen zur Verantwortung ziehen.

Welchen Einfluss die Gesellschaft nehmen kann, hat auch immer viel mit der Sichtbarkeit von Konflikten zu tun. Nachdem ich "A United Kingdom" gesehen hatte, war ich erstaunt darüber, dass ich die Geschichte dahinter überhaupt nicht kannte. Ich denke, damit bin ich nicht allein. Waren Sie mit dem Stoff vertraut, bevor Sie mit der Arbeit an dem Filmprojekt begonnen haben?

Ruth lernt Seretse in Großbritannien kennen. Später zieht sie mit ihm ins heutige Botswana.

Ruth lernt Seretse in Großbritannien kennen. Später zieht sie mit ihm ins heutige Botswana.

(Foto: Alamode Film)

Wie Ihnen ging es auch den meisten anderen, die den Film gesehen haben. Ich muss gestehen, bei mir war es genauso. Als ich 2010 die Buchvorlage "The Colour Bar" von Susan Williams gelesen habe, hat sich mir sofort die Frage aufgedrängt, wieso die Geschichte heute kaum bekannt ist. Zu ihrer Zeit war sie auf den Titelseiten verschiedener Zeitungen zu lesen. Archivmaterial deutet darauf hin, dass es damals eine große Sache gewesen ist, eine der wichtigen Geschichten nach dem Zweiten Weltkrieg. Dass sie in Vergessenheit geraten ist, hat sicherlich etwas damit zu tun, dass ihre Hauptfiguren von der britischen Regierung damals so schändlich behandelt wurden.

Sie sind von Anfang an bei "A United Kingdom" involviert gewesen. Sie sind Produzent des Films, mussten aber lange dafür kämpfen, auch die Hauptrolle spielen zu können.

Wir arbeiten seit 2010 an dem Projekt. Damals war ich noch nicht so berühmt. Entsprechend waren meine Möglichkeiten damals beschränkt. Heute kann ich durchaus verstehen, wieso ich lange Zeit der Einzige war, der der Idee, mich als Seretse zu besetzen, enthusiastisch gegenüberstand. (lacht) Wenn man einen Film machen will, geht es nicht nur darum, eine gute Geschichte zu finden. Es muss eine Geschichte sein, mit der sich die Zuschauer identifizieren können. Einen bekannten Schauspieler zu besetzen, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Ein bekannter Regisseur fand das Projekt großartig - nur mich nicht. Ich habe dann in der Zwischenzeit glücklicherweise "Selma" gedreht (Oyelowo spielt darin Martin Luther King; Anm. d. Red.)

… und plötzlich hatte sich die Sache mit dem berühmten Namen von selbst erledigt. Hat Ihr langer Atem bei "A United Kingdom" auch etwas damit zu tun, dass Ihnen die Geschichte persönlich nahe geht? Wie Seretse haben Sie zum Beispiel eine weiße Frau geheiratet.

Jessica und David Oyelowo leben gemeinsam mit ihren vier Kindern in Los Angeles.

Jessica und David Oyelowo leben gemeinsam mit ihren vier Kindern in Los Angeles.

(Foto: Jordan Strauss/Invision/AP)

Ich fühle mich in der Tat an eigene Erfahrungen erinnert. Was meine Frau und ich erlebt haben, ist nichts im Vergleich zu dem, was Seretse und Ruth vor 70 Jahren widerfahren ist. Hätten wir allerdings zu der Zeit gelebt, wäre auch unsere Ehe nicht akzeptiert worden. An vielen Orten der Welt verstieß eine interkulturelle Ehe damals gegen geltendes Recht. Ich bin zwar nicht der botswanische Thronfolger, aber ich wäre trotzdem auf sehr offene Ablehnung gestoßen. Vor diesem Hintergrund hege ich große Bewunderung dafür, wie sich Seretse und Ruth verhalten haben.

Sie haben es gerade erwähnt: Thronfolger sind Sie nicht und doch fließt blaues Blut in Ihren Adern …

Stimmt. Mein Großvater väterlicherseits war der König eines kleinen Teils von Nigeria namens Awe. Mein Vater gehört dem Volk der Yoruba an, meine Mutter dem der Igbo. Als die beiden sich verlobt haben, war das ein Thema. Die Familie meines Vaters war nicht besonders begeistert davon, dass er eine Bürgerliche heiraten wollte. Das ist auch ein Grund, wieso ich in Großbritannien geboren bin. Da gibt es also wieder Überschneidungen der Geschichte meiner Familie und der von "A United Kingdom".

Obwohl die Infrastruktur für eine Filmproduktion in Südafrika günstiger gewesen wäre, wurde "A United Kingdom" in Botswana gedreht. Wieso war das so entscheidend?

Südafrika hat im Leben von Ruth und Seretse keine besonders ruhmreiche Rolle gespielt.

Das könnte man so sagen. Weil das Land Druck auf die britische Regierung ausübte, durfte Seretse eine Zeitlang nicht in seine Heimat zurückkehren.

Dort zu drehen, wenn Botswana doch direkt auf der anderen Seite der Landesgrenze liegt, hätte dem Fass den Boden ausgeschlagen. Meine Kollegen und ich waren außerdem fest davon überzeugt, dass wir in puncto Authentizität nur gewinnen können, wenn wir an den historischen Orten arbeiten. Bisher habe ich von dieser Herangehensweise immer profitiert. "Selma" zum Beispiel wurde ebenfalls an den Originalschauplätzen der Bürgerrechtsbewegung gedreht.

Was ist das für ein Gefühl, historische Ereignisse dort nachzuspielen, wo sie tatsächlich passiert sind?

Für "A United Kingdom" haben die Macher des Films mit möglichst vielen Menschen gesprochen, die die echte Ruth und den echten Seretse noch erlebt haben.

Für "A United Kingdom" haben die Macher des Films mit möglichst vielen Menschen gesprochen, die die echte Ruth und den echten Seretse noch erlebt haben.

(Foto: Alamode Film)

Das könnte man mit Geld nicht aufwiegen. Oft sind es glückliche Zufälle, durch die man sich plötzlich in berührenden Situationen wiederfindet. Das Haus, in dem Rosamund und ich in "A United Kingdom" zu Hause sind, ist das echte Haus, in dem Ruth und Seretse damals gelebt haben. Schon seit Jahren hatte sich niemand mehr darum gekümmert. Aber wir haben es gefunden! Wir hatten alles schon auf Fotos gesehen. Es war noch immer derselbe Kamin dort, dieselben Fenster. Das ist doch außergewöhnlich, man kann das alles fühlen! Und dann sind da natürlich noch all die Menschen, die selbst erlebt haben, was wir im Film erzählen. Viele sind mittlerweile verstorben, aber einige sind noch am Leben.

Ian Khama, der Sohn von Seretse und Ruth, zum Beispiel. Er ist heute der Präsident von Botswana.

Genau, er war natürlich noch sehr klein, als das alles passiert ist. Aber auch mit Ruths Schwester Muriel konnte unser Drehbuchautor Guy Hibbert noch sprechen. Sie ist erst kurz vor Beginn der Dreharbeiten gestorben. Dass Leute, die wir im Film zeigen, tatsächlich daran mitgearbeitet haben, hat uns geholfen, ihre Geschichte realitätsgetreu zu erzählen. Wenn sich unsere Arbeit für sie falsch angefühlt hätte, hätten sie uns das wissen lassen!

Haben Sie denn schon Rückmeldung erhalten, ob die Menschen in Botswana mit Ihrem Film zufrieden sind?

Ian Khama hat uns am Set besucht. Er hat uns bei der Arbeit zugesehen und ist sehr emotional geworden. Er hat gesagt, er habe nicht damit gerechnet, seine Mutter und seinen Vater noch einmal wiederzusehen. Wir haben das als enorme Bestätigung empfunden. Zufälligerweise erscheint "A United Kingdom" auch noch fast zeitgleich zum 50. Jubiläum der Unabhängigkeit Botswanas.

In "A United Kingdom", aber auch in zwei Ihrer erfolgreichsten Filme, "Selma" und "Queen of Katwe" (Filmbiografie über die Profi-Schachspielerin Phiona Mutesi aus Uganda, Anm.d.Red.), spielen Sie Männer, die bereit sind, über ihre Grenzen hinauszuwachsen, um anderen ein besseres Leben zu ermöglichen. Ist das ein Kriterium, nach dem Sie Ihre Rollen aussuchen?

David Oyelowo spielt gern Figuren, die sich für andere Menschen einsetzen.

David Oyelowo spielt gern Figuren, die sich für andere Menschen einsetzen.

(Foto: Alamode Film)

Wenn sich jemand für andere aufopfert, ist das die größte Form von Menschlichkeit - ganz gleich, ob die Person Geld oder Zeit investiert oder ob sie ihr ganzes Leben einer Sache widmet. So sieht wahre Liebe aus. Ich empfinde tiefe Bewunderung für Menschen, die sich so verhalten. Vermutlich reizen mich deswegen auch solche Rollen.

Zwei der Filme, die ich gerade genannt habe, spielen jedenfalls teilweise in Afrika …

Besonders mit Blick auf afrikanische Geschichten ist mir aufgefallen, dass wir nur selten Figuren zu sehen bekommen, die sich selbst helfen. Oft braucht es einen Außenseiter als Helden, der die Afrikaner aus einer misslichen Lage rettet. Das ist einfach nicht das Afrika, das ich kenne. Ich habe sieben Jahre lang (im Alter von 6 bis 14; Anm. d. Red.) in Nigeria gelebt, dem Land, aus dem meine Eltern stammen. Die Leute dort helfen sich jeden Tag aus schwierigen Umständen - und sie tun das mit Freude! Um den Bogen zurück zu Ihrer Frage zu schlagen: Ja, ich spiele gern Figuren, die sich für andere einsetzen. Aber mich interessieren vor allem afrikanische Geschichten, die den Kontinent zeigen, wie er wirklich ist.

Sie weisen auch immer wieder auf den Mangel an Regisseurinnen in Hollywood hin. Bei "A United Kingdom", "Selma" und "Queen of Katwe" haben Frauen, sogar - noch untypischer - nicht-weiße Frauen Regie geführt. Wären es andere Filme geworden, wenn an Stelle von Amma Asante, Ava DuVernay und Mira Nair weiße Männer engagiert worden wären?

Ich kann mit Sicherheit sagen: Es wären ganz andere Filme geworden. Bei "Selma" und bei "A United Kingdom" war ich schließlich bei der Auswahl des Regisseurs involviert. Bevor wir uns für Ava DuVernay beziehungsweise für Amma Asante entschieden haben, haben wir auch Gespräche mit männlichen Regisseuren geführt. Sie hatten einen anderen Blick auf die Geschichten. Der war nicht unbedingt besser oder schlechter, er war einfach anders. Ich bin deswegen so erpicht darauf, dass möglichst vielen Regisseurinnen eine Bühne geboten wird, weil weite Teile der Filmgeschichte dominiert wurden von der Weltsicht weißer Männer.

Inwieweit können mehr weibliche Perspektiven das Kino bereichern?

Männer und Frauen sind unterschiedlich, allein schon aufgrund kultureller Prägung. Ich finde, wir enthalten uns etwas vor, wenn wir uns mit nur einer Sichtweise begnügen. Mir ist aufgefallen, dass bei Frauen die emotionalen Aspekte einer Geschichte in den Fokus rücken. Meiner Ansicht nach sollten Filme so gemacht werden. Filme sollen die Menschheit abbilden - dazu gehört vor allem, emotionale Entwicklungen nachzuverfolgen. Idealerweise würde die Hälfte aller Filme von Männern gemacht und die andere Hälfte von Frauen. Das würde eine ausbalancierte Sicht auf die Realität ermöglichen.

"A United Kingdom" hat mich daran erinnert, dass wir uns als Gesellschaft binnen der vergangenen Jahrzehnte zwar weiterentwickelt, Rassismus, Sexismus und andere Formen der Diskriminierung aber noch immer lange nicht überwunden haben. Was muss passieren, damit wir in der Hinsicht endlich große Schritte in Richtung Veränderung machen?

Das Wichtigste ist Bildung! Vorurteile werden aus Unwissenheit geboren. Wer seine Geschichte nicht kennt, wer die schädliche Wirkung historischer Ereignisse nicht einordnen kann und die Fehler der Vergangenheit nicht versteht, hat keine Chance auf Verbesserung. Leider marginalisieren Menschen andere seit jeher aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts. In einem Zeitalter, in dem Informationen so leicht zugänglich sind wie heute, will ich die Hoffnung aber nicht aufgeben. Man kann sich der Wahrheit auf viele verschiedene Arten nähern.

Und Filme sind eine Möglichkeit?

Wir bekommen Projekte wie "A United Kingdom" umgesetzt. Solche Filme sorgen dafür, dass Geschichten nicht vergessen werden. Und es gibt so viele Wege, auf denen diese Filme Menschen erreichen. Die Leute gehen nicht mehr nur ins Kino, sie schauen Filme übers Internet - auf ihren Laptops, auf ihren Handys. Veränderung wird nicht über Nacht kommen, aber kommen muss sie. Wenn wir uns in 70 Jahren noch mit den gleichen Problemen befassen wie heute, wäre das eine große Schande.

Mit David Oyelowo sprach Anna Meinecke.

"A United Kingdom" startet am 30. März in den deutschen Kinos.

Quelle: ntv.de

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