Tove Lo über Nippel und Musik "Briten und Amis sind meist sehr prüde"
14.10.2022, 12:50 Uhr
Auf ihrem Coverfoto sind Tove Los Brüste nicht zu sehen - auf der Bühne dann aber ganz bestimmt wieder.
(Foto: Moni Haworth)
Mit "Habits (Stay High)" - einem Lied über Drogen und Sexclubs, um sich von ihrem Liebeskummer abzulenken - feiert Tove Lo im Jahr 2013 ihren Durchbruch. Ihr regelmäßiges Entblößen auf der Bühne und ihr "männliches Auftreten" tun ihr Übriges, um von Kritikern als "schlechtes Vorbild" gebrandmarkt zu werden. Von Feministinnen und Feministen wird sie dagegen als selbstbewusste Frau gefeiert, die anderen vorlebt, sich nicht für ihre Sexualität schämen zu müssen.
Neun Jahre nach ihrer Debütsingle erscheint nun das fünfte Studioalbum der 34-jährigen Schwedin - "Dirt Femme". Ihren Namen können aber die meisten Menschen auch nach all den Jahren noch nicht richtig aussprechen. "Touf Low" heißt es dann fälschlicherweise oft. Im Interview mit ntv.de spricht "Tuwe Lu", wie es richtig lauten würde, über Weiblichkeit, Inspirationen, prüde US-Amerikaner und ihre Nippel.
ntv.de: Wenn man sich Interviews von dir ansieht, fällt vor allem eines auf: Außerhalb von Schweden sprechen absolut alle deinen Namen falsch aus. Stört dich das?
Tove Lo: Weißt du, ich habe mit vielen Schweden darüber gesprochen. Wenn man einen Namen hat, den es in einer anderen Muttersprache nicht gibt, werden Leute ihn immer falsch aussprechen. Am Anfang meiner Karriere habe ich versucht, die Leute zu korrigieren, aber das war oft unangenehm und hat sie nervös gemacht. Egal, wo ich auf der Welt war, überall gab es eine eigene Version von Tove Lo. Also habe ich die internationale Art, meinen Namen zu sagen, übernommen und ihn zu meinem Künstlernamen gemacht. Als meine Freunde in Los Angeles aber auch angefangen haben, aus Gewohnheit "Touf" zu sagen, habe ich ihnen gesagt: Nein, ihr müsst anfangen, mich Tove zu nennen.
Herzlichen Glückwunsch zu deinem neuen Album! Vor allem "True Romance" ist großartig - eine Ballade, die von Björk hätte sein können.
Oh, das liebe ich. Das ist ein großes Kompliment, danke! Ich habe "True Romance" mit meinem Mitbewohner Tim - sein Produzentenname ist Tim from the House - in einem Take aufgenommen. Es fühlte sich einfach zu emotional und zu mächtig an, um es zu perfektionieren. Das kann eine Herausforderung sein, aber meine kratzende Stimme und die Unvollkommenheiten geben dem Refrain so viel Kraft.
Der Rest des Albums ist dagegen sehr tanzbar, energetischer. Lag das auch an der schlechten Stimmung, die in den letzten Jahren aufgrund der Pandemie vorherrschte?
Die Platte ist eine Kombination aus der Musik, die ich gerne höre. Ich liebe Dance-Musik, ich liebe es, aufzulegen, ich liebe es, auf Raves zu gehen. Das ist die Musik, die mir das Gefühl gibt, frei zu sein und mich in die Kultur der Tanzszene eintauchen lässt. Das genieße ich einfach sehr, deswegen gibt es davon so viel auf dem Album. Wahrscheinlich wurde es auch von einem unterbewussten Bedürfnis beeinflusst, wieder rausgehen und tanzen zu wollen. (lacht) Aber es mir auch wichtig, das mit "True Romance" und "Cute and Cruel" zu durchbrechen.
Hattest du denn eine Idee, in welche Richtung das Album gehen sollte?
Nein, ich habe erstmal einfach nur getextet, das Konzept und die visuelle Geschichte kamen erst später dazu. Im Jahr 2020 habe ich aber kaum etwas geschrieben, weil ich keine Inspiration fühlte. 2021 war ich mir unsicher darüber, wohin meine Reise gehen würde. Ich hatte keinen Plattenvertrag mehr und wusste nicht, ob ich wieder auf Tour gehen kann - ich wusste nicht, ob ich etwas hatte, worüber ich überhaupt schreiben konnte. Also habe ich einfach nur über meine Gefühle geschrieben. Meine Songs sind immer sehr persönlich, aber jetzt bin ich in meiner Verletzlichkeit noch eine Stufe weiter gegangen, es war wie Tagebuchführen.
Es ist interessant, dass du 2020 gar nicht geschrieben hast. Man sollte meinen, dass die Pandemie ideal war, um darüber zu schreiben, was man in so einer schwierigen Zeit durchmacht.
Ich weiß! Ich habe auch weiterhin Gedichte und kleine Texte geschrieben, aber ich habe ein paar Studio-Sessions versucht und es hat sich einfach nicht richtig angefühlt. Vielleicht lag es daran, dass die Lage hier in Los Angeles so angespannt und intensiv war. Aber ich hatte das Glück, mit Menschen in einem Haus zu leben, die ich liebe. Es war zwar schwer, nicht auf Tour zu gehen und in diesem Sinne die Hälfte meines Lebens zu verlieren. Aber weder ich noch Menschen, die mir nahestehen, waren sonderlich betroffen oder in Gefahr. Ich brauche Erfahrungen und muss draußen in der Welt sein, um Inspiration zu finden. Und ich neige dazu, Songs über etwas zu schreiben, wenn ich es selbst durchgemacht habe. Aber es ging hier nicht um mich und darüber zu schreiben, wie ich mich fühle, hat sich ein bisschen verwöhnt angefühlt.
Du bist auch als Songwiterin für Musiker wie Duffy, Coldplay, Hillary Duff und Adam Lambert aktiv. Ist es nicht schwieriger, für jemand anderen zu schreiben, wenn deine Texte so persönlich sind?
Nicht wirklich. Wenn ich mit ihnen in einem Raum bin, grabe ich darin herum, was sie sagen wollen und wie sie sich fühlen. Außerdem teilen wir Menschen oft eine Menge Erfahrungen oder haben zumindest allgemein schon ähnliche Dinge erlebt. Also kann man da anzapfen und erkennen, wie sie über Dinge sprechen, die sie durchgemacht haben. Ab da ist es einfach, Inspiration zu bekommen. Ich muss es nur irgendwie mit ihrer Stimme sagen und mir ihrer Erfahrung statt meiner eigenen.
Für Ellie Gouldings "Love Me Like You Do" bist du ebenfalls verantwortlich. Der Song hat sich wochenlang auf Platz eins gehalten und du hast einen Grammy bekommen. Hättest du ihn rückblickend betrachtet gern selbst gesungen?
Nein, ich war Teil dieses Liedes, mit dem Wissen, dass es ihr Lied ist. Ich habe nie gedacht, dass es mir gehört. Ich bin einfach so stolz darauf, eine Songwriterin zu sein. Wenn ich jemanden etwas singen höre, an dem ich beteiligt war, ist das etwas ganz Besonderes. Das gibt mir genauso viel Freude, verstehst du. Wenn ich aber das Gefühl gehabt hätte, dass es mein Song ist, wäre ich sehr sauer gewesen. (lacht)
Hast du vermutet, dass "Love Me Like You Do" so ein Hit werden würde?
Ja! Auch wegen der anderen Songwriter, die ebenfalls daran beteiligt waren, denen ich vertraue und an die ich glaube. Ich hatte so ein Gefühl. (lacht)
Du schreibst nicht nur mit deinem Mitbewohner viele deiner Songs, sondern auch mit Ludvig Söderberg. Wie funktioniert das? Du gibst eine Richtung vor und ihr schreibt drauf los?
Das ist ganz unterschiedlich. Ludvig und ich brauchen in der Regel viel Zeit zusammen. Wir waren drei Wochen an der schwedischen Westküste, völlig isoliert, nur ein kleiner Supermarkt hatte offen. Manchmal habe ich ein paar Ideen, Melodien oder Akkorde vorbereitet, die ich ihm vorsinge und er fing an, damit herumzuspielen. Wir sind beide keine richtigen Musiker, keiner von uns spielt wirklich ein Instrument. Aber das macht seine Produktion auch so einzigartig. Meistens fängt es jedoch mit einer Stimmung oder ein bisschen Songtext an. Mit der Absicht eines Gefühls.
Als ihr "No One Dies From Love" geschrieben habt, war der Prozess aber ein anderer ...
(lacht) Ja, das war der einzige Song, den ich 2020 geschrieben habe - noch vor der Pandemie! Wir hatten uns drei Wochen genommen, um in Malibu ein paar Ideen auszuarbeiten. Normalerweise schaffen wir in der Zeit fünf, sechs, sieben Songs. Aber da haben wir nur den einen geschafft. Wir hatten beide gerade viel durchgemacht und haben viel getrunken, geweint, geredet und uns gefragt, was überhaupt der Sinn von Liebe ist. Und so fing dieser Song an, langsam zu wachsen. Womit wir wirklich viel Zeit verbracht haben: Manchmal mag ich es, wenn sich die Melodie und die Texte kontrastieren. Aber bei diesem Lied musste es einfach in die gleiche Richtung gehen. Das liebe ich auch so an Dance-Musik. Der langsame Aufbau über zwei Strophen bis zum großen Release. Beim zweiten Refrain bekommst du endlich, was du wolltest. In einer Zeit, in der dich alles sofort unter 30 Sekunden packen soll, war es schön, etwas zu machen, das eine längere Reise hatte.
"Dirt Femme" ist schon ein krasser Titel für ein Album. Was willst du damit sagen?
Das ist in gewisser Weise, wie ich mich identifiziere. Ich habe viel Weiblichkeit in mir, aber ich bin nicht immer im Kontakt mit meinen weiblichen Eigenschaften gewesen. Jetzt bin ich es, doch es gibt immer noch diese raue Seite an mir.
In deiner Albumbeschreibung heißt es auch, dass du deine weiblichen Eigenschaften früher als schwächer angesehen hast und dass du deine männlichen gestärkt hast, um im Leben voranzukommen. Warum musstest du das tun?
Ich war immer das einzige Mädchen - in jedem Songrwiting-Raum, jedem Studio, jedem Label-Meeting, an jedem Ort, an dem ich eine Show spielte, in meiner Rockband in Schweden ... Überall saßen mir heterosexuelle Männer gegenüber. Zu viel von einer Sache wird irgendwann toxisch. Ich fühlte mich, als wäre ich nur von toxischer Männlichkeit umgeben. Irgendwann habe ich das ein bisschen übernommen, dadurch wurde ich von den Männern mehr respektiert und zu immer mehr Sessions eingeladen, weil sie mich "cool" fanden. Ich habe meine femininen Eigenschaften immer weiter außen vorgelassen, auch in meiner Musik.
Was hat dich dazu gebracht, dieses Verhalten zu überdenken?
Das hat sich geändert, als ich Veränderungen wie die #MeToo-Bewegung gesehen habe. Ich habe die Muster in mir erkannt, außerdem hat mich die Pandemie dazu gebracht, über meine Karriere und meine Vergangenheit nachzudenken und sie zu reflektieren. Ich fühle mich jetzt sehr wohl und verhalte mich so, wie ich mich fühle. Ich glaube, dass alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht männliche und weibliche Eigenschaften haben. Aber wir leben nur eine Seite mehr aus als die andere. Deswegen liebe ich die Queer-Community so, weil sie den Regeln der heterosexuellen Gesellschaft nicht folgt.
Auf der Bühne zeigst du deinem Publikum gerne deine Brüste, vor ein paar Jahren hast du publik gemacht, pansexuell zu sein. Die Reaktionen auf beides sind teilweise sehr verstörend. Wie gehst du als selbstbewusste Frau, die sich nicht für ihre Sexualität schämt, mit so was um?
Ich tue es einfach nicht. Ich habe beschlossen, mich nicht um die Leute zu scheren, die denken, dass ich weniger wert bin oder keine Meinung haben soll, weil ich über Sex und meine Sexualität spreche, anzüglich performe oder Spaß mit meiner Nacktheit habe. Ich habe nicht die Energie, mich vor ihnen zu verteidigen. Ich werde einfach weiter mein Leben leben und das tun, wozu ich ein Recht habe und was sich für mich gut anfühlt und mich mit den Menschen verbindet, die mit mir übereinstimmen. Denn wenn du Energie für diese Leute verschwendest und wenn du anfängst, dieses Bedürfnis zu verspüren, deine Handlungen vor ihnen zu verteidigen, haben sie bereits gewonnen. Was aber frustrierend ist, ist, wenn ich Dinge zensieren muss, um nicht auf bestimmten Plattformen gesperrt zu werden. Da ist dann eindeutig, wie ungleichmäßig es ist, wenn Männer oder Frauen etwas sagen.
Du wurdest auf Plattformen gesperrt?
Nicht ich persönlich, aber Content, den ich geteilt habe. Wenn man auch nur den Hauch eines Nippels sieht, der sofort bedeckt werden muss. Das liegt ja nicht daran, dass die Plattform denkt, dass es falsch ist, sondern weil es von so vielen gemeldet wird. Es ist nervig, dass solche Leute so eine Macht haben.
Diese Leute sind meistens US-Amerikaner und keine Schweden, oder?
Niemals Schweden! (lacht) Nein, in Europa ist es ganz anders, da scheren sie sich nicht um Brüste. Es sind meistens Briten oder Amis, die sehr prüde sind.
Du lebst seit einigen Jahren in Los Angeles - eine ganz andere Stadt als Stockholm, mit einer ganz anderen Mentalität. Gefällt es dir dort?
Ich liebe es! Es hat viele Jahre gedauert, aber ich nenne es mittlerweile mein Zuhause. Es gibt viele kulturelle Unterschiede, aber mein Freundeskreis ist die aufgeschlossenste, gemischteste Gruppe von Menschen. Alle akzeptieren die Entscheidungen der anderen im Leben, jeder macht sein Ding, jeder ist sehr unterstützend. Ich lebe in einem Kollektiv hier mit meinem Ehemann und zwei Freunden. Ich bin immer in einer kreativen, lustigen Umgebung, das ist etwas ganz Besonderes. Aber Schweden hat viele Vorteile - auch in Bezug darauf, wie wir die Menschen im Land behandeln.
Menschen in Los Angeles wirken, wenn sie zum Beispiel im Fernsehen gezeigt werden, oft aufgesetzt. Wenn man dann vor Ort ist, muss man mit Erschrecken feststellen, dass das teilweise wirklich der Realität entspricht - wie etwa das inflationär genutzte "I love you". Stört dich das nicht?
(lacht) Ich verstehe, was du meinst. Ich glaube, Schweden und Deutsche sind sich insofern sehr ähnlich, als dass sie ihre Gefühle nicht übermäßig zur Schau stellen. Es gibt auch weniger Smalltalk auf den Straßen. Aber ich habe in L.A. angefangen, das zu genießen. Ich finde es lustig, wie entsetzt mich die Leute in Schweden angucken, wenn ich in der Schlange stehe, um einen Kaffee zu kaufen, alle still sind und ich plötzlich jemandem sage, dass mir sein Shirt gefällt. In Los Angeles haben sie große Persönlichkeiten, das genieße ich. Und irgendwann fällt es einem leichter, zu erkennen, wer fake ist und wer nicht, obwohl sie das Gleiche sagen. Aber dieses Ungleichgewicht passt zur Stadt - einerseits gibt es total schöne und saubere Viertel und zwei Straßen weiter ist alles schmutzig und gefährlich und ein absolutes Chaos.
Mit Tove Lo sprach Linn Penkert.
"Dirt Femme" ist ab sofort erhältlich.
Quelle: ntv.de