Debatte um "Wetten, dass..?"-Unglück Der menschliche Makel
06.12.2010, 16:32 Uhr
(Foto: dpa)
Nicht die Quote allein hat Schuld daran, dass Samuel Koch über fahrende Autos sprang und sich dabei schwer verletzte. Die Sensationslust des Publikums wiegt ebenso schwer wie der Geltungsdrang der Kandidaten: Die Suche "nach immer neuen Hürden und Herausforderungen". Die Sender haben die Verantwortung, diesem Wettstreit Grenzen zu setzen.
Der schwere Unfall von Samuel Koch bei "Wetten, dass..?" hat eine Diskussion um die Grenzen der Fernsehunterhaltung ausgelöst. Sensationsgier und Quotendruck werden angeprangert, Medienpolitiker fordern ein größeres Verantwortungsbewusstsein. Diese Debatte mag ritualisiert daherkommen, ihre Wirkung bezweifelt werden, wichtig ist sie aber trotzdem. Die Sender haben eine Pflicht zur Verantwortung und müssen ihre Kandidaten nicht nur vor Quoten und Sensationsgier schützen, sondern oft auch vor sich selbst. Und die Grenzen dessen, was gezeigt werden kann, sollten immer wieder aufs Neue überprüft werden.
Dass der Unfall ausgerechnet beim ins Alter gekommenen Flaggschiff der Samstagabendunterhaltung passierte, ist kein spezifisches Problem von "Wetten, dass..?". Es steht symbolhaft für die Herausforderungen moderner Unterhaltungsshows. Ebenso hätte etwas beim Wokrennen im Eiskanal, der Suche nach Talenten oder dem Duell mit Stefan Raab passieren können. Raab zog sich dabei im April eine Gehirnerschütterung zu, ließ die Show aber weiterlaufen. Und auch Thomas Gottschalk meint: "Wir hatten immer schon riskante Wetten, ob mit Motorrädern oder auf Skisprungschanzen. Das ist ein Teil des Programms." Ohne Risiko geht es nicht.
Höher, schneller, weiter
Und das hat nicht nur mit Quotendruck zu tun. Höher, schneller und weiter – diesem Prinzip folgen nicht nur die Fernsehsender, sondern auch Zuschauer und Kandidaten. Allen gemeinsam ist der Wunsch und Wille, etwas Einmaliges, Besonderes, noch nie Dagewesenes zu zeigen oder zu sehen. Bei den Sendern ist es der Quotendruck, beim Zuschauer Sensationsgier und Voyeurismus und bei den Kandidaten Geltungsdrang sowie der Kick, der riskante Aktionen mit sich bringt. Das galt auch für Samuel Koch.
Er sei auf der Suche "nach immer neuen Hürden und Herausforderungen" gewesen, zitiert der "Spiegel" aus seinem Bewerbungsbogen für "Wetten, dass..?". Koch weiter: "Den Zenit dieser Suche fand ich im Überspringen von frontal auf mich zufahrenden Autos." Dass so etwas "sonst noch niemand auf der Welt gemacht hatte, motivierte schlussendlich zum Wettgedanken". Es ist die Suche nach dem Einmaligen, das sich noch keiner getraut hat.
Der Wunsch nach Anerkennung
Dahinter steckt eine zutiefst menschliche Veranlagung, die auch Artisten, Sportlern oder Bergsteigern zu eigen ist. Menschen klettern auf die höchsten Gipfel, jagen nach den schnellsten Zeiten und wagen als erste die Akrobatiknummer ohne Netz. Sie alle treibt das Streben nach außergewöhnlichen Leistungen an. Dafür nehmen Menschen größte Risiken in Kauf und gehen bis an und über die Grenzen ihrer physischen und psychischen Leistungsfähigkeit. Sie suchen die außergewöhnliche Leistung, weil sie Anerkennung und Bewunderung verspricht.
Aus seiner Haut kann der Mensch nicht heraus, deshalb wird es dieses Streben immer geben – im Sport, im Zirkus, bei Youtube oder im TV. Die einen erzielen die Rekorde, die anderen beobachten sie dabei. Ob beim Autorennen, Bobfahren, Skateboardstunt oder Drahtseilakt: ein Unglück geschehen kann dabei immer. Es liegt an den jeweils Verantwortlichen, die Risiken klein zu halten und im Zweifel die Kandidaten vor ihrem Geltungsdrang und den sensationslüsternen Erwartungen des Publikums zu schützen.
Unnötige Risiken
Das Bewusstsein zur Verantwortung ist den Programmmachern zu unterstellen. Niemand möchte Menschen unnötig in Gefahr bringen. "Wenn bei uns der Eindruck entstanden wäre, er hätte sich mit seinem Wett-Angebot übernommen, hätten wir ihn vor sich selbst geschützt - wie wir das schon früher bei anderen Kandidaten getan haben", sagte Gottschalk der "Süddeutschen Zeitung". Er halte nichts davon, "eine überzogene Dramatik zu erzeugen".
Allerdings müssen sich die Macher bewusst sein, dass durch die bloße Existenz ihrer Shows Leute überhaupt erst dazu motiviert werden, verrückte Wetten einzugehen. Es ist das Guinness-Buch-der-Rekord-Prinzip: Einmal selbst in der Liste stehen, und sei der Umstand der Tat noch so verrückt.
Läuft "Wetten, dass..?" weiter?
Dabei haben die Sender ein großes Risiko für ihre Kandidaten eigentlich nicht nötig. Ob "Wetten, dass...?" oder RTLs "Supertalent": Die Shows sind darauf nicht angewiesen. Kuriose oder besondere Fähigkeiten sind mindestens genauso faszinierend wie die Jagd nach "höher, schneller, weiter"-Rekorden. Fernsehen kann innovativ und unterhaltend sein, ohne Verletzungen von Menschen in Kauf nehmen zu müssen.
Wenn die ZDF-Sendung die Zukunft von Samuel Koch nachhaltig verbaut haben sollte, "dann muss man sich ernste Gedanken machen, inwieweit man diese Sendung mit der gleichen Unbedarftheit fortführen kann", wurde Gottschalk nach dem Unfall zitiert. Der Moderator stellte die Fortsetzung der Show infrage. Doch soweit soll es nicht kommen. "'Wetten, dass..?' wird sicherlich weiter gehen", kündigte ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut an. Er will aber Konsequenzen ziehen. Sollte die von Gottschalk gewünschte Unbedarftheit dabei verloren gehen, könnte das auch das Ende von "Wetten, dass..?" bedeuten.
Quelle: ntv.de