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Vorbilder und Transparenz fehlen Deshalb ist Politik für migrantische Jugendliche so unattraktiv

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Politische Bildung beginnt in der Schule.

Politische Bildung beginnt in der Schule.

(Foto: picture alliance / dpa)

Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte haben oft das Gefühl, dass der politische Zugang für sie unerreichbar ist. Viele engagieren sich nicht politisch, in Parteien arbeiten sie kaum mit. Der Schlüssel zur Lösung könnte in mehr politischer Bildung und niedrigschwelligen Angeboten liegen.

Die politische Beteiligung junger Menschen mit Migrationshintergrund liegt noch immer weit unter dem Durchschnitt. Eine neue Studie ist der Frage nachgegangen, was diese Jugendlichen davon abhält, in Parteien mitzuwirken oder sich politisch zu engagieren.

Für die Studie lag der Fokus auf 1557 Teilnehmenden unter 36 Jahren, darunter 798 ohne Zuwanderungsgeschichte, um einen Vergleich zu ermöglichen. Zusätzlich gab es 15 Interviews mit jungen migrantisch wahrgenommenen Personen im Alter von 18 bis 35 Jahren.

Den Begriff "migrantisch wahrgenommen" habe man bewusst gewählt, sagt Dr. Jan Schneider, Leiter des Bereichs Forschung beim Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) ntv.de. "Es gibt auch Menschen, die keine direkte Zuwanderungsgeschichte haben, aber dennoch aufgrund äußerer Wahrnehmung dieselben Hürden und Diskriminierungen erfahren, die mit Migration und Herkunft verbunden werden", so Schneider.

Die Studie identifizierte gleich mehrere Hürden, die junge Menschen mit Einwanderungsgeschichte an politischer Teilhabe hindern. Zu den wichtigsten Faktoren gehören Diskriminierungserfahrungen, die Wahrnehmung, dass Politik wenig mit dem eigenen Leben zu tun hat, und der Mangel an Vorbildern. "Wenn man eine Person sieht, die Entscheidungs­trägerin ist und einem ähnlich ist, dann denkt man sich so: 'Okay, krass! Ich sehe nicht nur die selben Leute immer wieder, sondern eine Person, die mir ähnlich ist. Ich kann das ja dann vielleicht auch schaffen'", erklärt ein Teilnehmer der Studie.

"Wann konvertierst Du?"

Diese Erfahrung bestätigt auch CDU-Politikerin Serap Güler, die erste türkeistämmige Bundestagsabgeordnete ihrer Partei. Sie schilderte jüngst im "Stern" ihre eigenen Erfahrungen mit Vorurteilen innerhalb der Partei. Dazu gehört ein Vorfall aus ihrem ersten Wahlkampf 2012, als ein Mitglied sie nach ihrem Glauben fragte und wissen wollte, "wann sie konvertiere". Güler fordert auch mehr Menschen mit Migrationshintergrund im Kabinett von Friedrich Merz.

In den 15 vertiefenden Interviews der Studie äußerten viele der befragten Jugendlichen eine gewisse Skepsis gegenüber Parteien, nur in Einzelfällen besteht ein Interesse an ihnen. Meist ist die Wahrnehmung der Parteien von der Erfahrung geprägt, dass diese Institutionen nicht genügend auf die Bedürfnisse und Anliegen von Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte eingehen.

In der Studie war besonders auffällig, dass migrantisch wahrgenommene Jugendliche sich signifikant weniger politisch beteiligen als ihre Altersgenossen ohne Zuwanderungsgeschichte - nur 11 Prozent im Vergleich zu 40 Prozent der anderen Jugendlichen.

Darauf weist auch ein weiterer Studienteilnehmer hin:"Was ich auch wirklich furchtbar finde, dass es nicht wirklich transparent gemacht wird, sei es in der Stadt oder auf Bundesebene, wenn so Veranstaltungen sind, […] dass es diese Gruppe von jungen migrantischen Personen gar nicht erreicht. […] Ja, dass halt diese ganzen […] Angebote, die es ja schon gibt, […] wirklich gescheit beworben werden und wirklich alle erreichen und halt nicht immer eine gleiche Schicht, eine gleiche Gruppe […]".

Im Umkehrschluss zeigt sich, dass junge Menschen, die an Projekten wie YoungUP! teilgenommen haben, eine höhere Motivation zur politischen Beteiligung entwickeln. "Die Studie legt nahe, dass partizipative Projekte und Programme die Bereitschaft zum politischen Engagement positiv beeinflussen können", sagt Schneider.

Politische Bildung als Schlüssel

Ein zentraler Lösungsansatz, um der geringen politischen Beteiligung migrantisch wahrgenommener Jugendlicher entgegenzuwirken, liegt somit in der verstärkten Förderung der politischen Bildung. Sie sieht jedoch in den verschiedenen Bundesländern sehr unterschiedlich aus. "In vielen Regionen gibt es nur wenige Stunden Politikunterricht pro Woche, was den Zugang zu aktuellen politischen Themen für Schüler*innen allgemein erschwert", sagt Schneider. Um diese Lücke zu schließen, empfiehlt die Studie, Schulen stärker mit lokalen politischen Projekten zu vernetzen, etwa durch Exkursionen zu Landräten oder das Einladen von Abgeordneten. So könne der politische Zugang für junge Menschen erleichtert werden.

Viele Jugendliche haben zudem häufig das Gefühl, dass der Zugang zum politischen System für sie schwer erreichbar ist. "Besonders Parteimitgliedschaften, die als ein Weg zur politischen Macht und Repräsentation wahrgenommen werden, erscheinen vielen jungen Menschen als unattraktiv", sagt Schneider. "Die bürokratischen Hürden und die Kosten einer Parteimitgliedschaft stellen zusätzliche Barrieren dar. Politische Parteien sollten demnach niedrigschwellige Zugänge schaffen und junge Menschen auf unbürokratische Weise einbinden."

Dass das nur schlecht gelingt, zeigt auch eine Recherche des Mediendienstes Integration. Dessen Auswertung zeigt, dass im neugewählten Bundestag 73 Abgeordnete einen Migrationshintergrund haben - das sind etwa 11,6 Prozent der 630 Abgeordneten. Im Vergleich zur Bevölkerung mit rund 29,7 Prozent Migrantenanteil sind sie damit im Parlament deutlich unterrepräsentiert. Besonders auffällig ist, dass einige Parteien wie die Grünen mit 20 Prozent deutlich mehr Abgeordnete mit Migrationshintergrund stellen als etwa die AfD, die nur 5,9 Prozent erreicht.

Die Studie schlägt konkrete Maßnahmen vor, um die Unterrepräsentation zu verringern. Ein Ansatz ist die Möglichkeit der unverbindlichen Mitarbeit in politischen Gruppen oder Veranstaltungen, was den Einstieg in die politische Beteiligung erleichtern würde. Besonders betont wurde, dass diese Treffen nicht nur in lockerer Atmosphäre stattfinden sollten, sondern echtes Interesse an der aktiven Teilnahme signalisiert werden muss. "Wenn sich junge Menschen nicht willkommen fühlen, ziehen sie sich häufig zurück. Ein Parteitreffen, bei dem Stammtischatmosphäre herrscht und vorwiegend ältere Männer Bier trinken, ist für junge Menschen mit Einwanderungsgeschichte nicht sehr attraktiv", erläutert Schneider.

Quelle: ntv.de

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