
Chefkoch Nikodemus Berger legt den Fokus auf das Aromenspektrum.
(Foto: Luís Bompastor)
Gemüseküche ist im Trend - auch und gerade in der Sternegastronomie. Doch nur wenige beherrschen die vegetarischen Teller so gut, dass dem omnivoren Gast während des Menüs nichts fehlt. Ein echter Lichtblick: das Bonvivant in Berlin, das Bar, Restaurant und Kreativschmiede in einem ist.
Ich bin in Berlin geboren, doch wer meine Texte über die Kulinarik in der "Arm, aber irgendwann mal sexy gewesen"-Hauptstadt kennt, der weiß: Die Stadt und mich verbindet eine Hassliebe, weil ich die Hybris und gleichzeitig Ideenlosigkeit vieler sogenannter Berliner Gourmetköche nicht ertrage, genauso wenig wie die Berliner Schnauze, die in vielen Restaurants an eine Publikumsbeschimpfung grenzt - und wer möchte sich bei einem 600-Euro-Bon schon gern beschimpfen lassen.
Doch auch der härteste Kritiker muss einmal zugeben, wenn er überrascht wurde - und an einem Freitagabend im Berliner Westen wurde ich überrascht. So sehr, dass ich mich ob der Freundlichkeit des Servicepersonals mehrfach umdrehte und durch die Fenster auf die Straße blickte, um zu schauen, ob ich überhaupt noch in der deutschen Hauptstadt der Unfreundlichkeit bin.
Denn das ist das Erste, was im Bonvivant sehr angenehm auffällt: Das Team ist sehr jung, was es in Berlin tatsächlich oft gibt. Es ist aber eben gerade nicht von dieser unangenehmen Arroganz, als hätte es schon im Noma, bei Haeberlin und im Eleven Madison Park gearbeitet und sei nun endlich am Zenit angekommen. Nein, hier herrscht absolute Freundlichkeit gepaart mit dem guten Gefühl, das für den Gast alles möglich gemacht wird - sei es eine scharfe Bloody Mary als Aperitif oder der beliebte Signature-Drink aus Gin, Basilikum und Zitronenschaum, der dann eben alkoholfrei serviert wird.
Der Raum ist schön, ein Ecklokal in einem Westberliner Altbau, die großen Fensterfronten weisen zur belebten Hohenstaufenstraße. Das Interieur ist natürlich luxuriös, Holztische, darauf kleine getrocknete Wildblumen, die Kunst ist farbenfroh.
Nikodemus Berger heißt der Chefkoch hier, seit anderthalb Jahren tragen er und sein Team stolz den Michelin-Stern. Die Kritiker des Guides suchen vermehrt nach vegetarischen Häusern, die auf hohem Niveau kochen - leicht ist das nicht, deshalb ist die Auszeichnung hier besonders bedeutend.
Arbeit mit offenem Feuer
Chefkoch Berger ist erst 30 Jahre alt und stammt aus Wien. Als ihm mit vier Jahren in der Kita ein anderes Kind erzählte, wie viel Blut da in seinem Essen ist, entschied er sich: Ich bin Vegetarier. So isst er bis heute - und kocht gottlob auch vegetarisch. Und zwar auf eine ganz und gar freudvolle Weise.
Immer legen seine Menügerichte den Fokus auf ein Aromenspektrum. Bei der ersten Vorspeise, der Gurke vom Landgut Preschen, sind es Meeresaromen. So ist die kleine Gurke in dicke Scheiben geschnitten und angeflämmt. Überhaupt arbeitet der Österreicher viel mit offenem Feuer, mit Rauch und mit Röstaromen, die den Gemüsen guttun, weil sie neue, spannende Kontexte eröffnen. Die Gurke spielt mit Säure und Schärfe, Austernblätter und ein Sud, der an den japanischen Fischsud Dashi erinnert, lassen an eine Vorspeise mit Langusten denken. Ein Genuss, ganz pur und klar.
So geht es weiter beim Sellerie aus der Domäne Dahlem. Der Sellerie wird in der Sternegastronomie viel gewürdigt, man kann auch sagen: Er wird stets und ständig eingesetzt, dabei bleibt es eine aromatisch simple Knolle. Doch selbst die funktioniert hier hervorragend: Als gegrillte Chips und als Nocke mit Buchweizen, dazu kommt ein Schaum aus Weizengras und Wildkräutern und der Schweizer Käsekönig, die Belper Knolle, die in ihrer Aromatik an Tête des Moines erinnert. Süffig ist das, süß und rauchig - und irrsinnig gut.
Erlebnis auf Augenhöhe
Genau wie der wunderbar pure Laubporling, ein Pilz aus Brandenburger Wäldern, über den Pilzsammler wohl einfach hinweggehen würden. Hier schmeckt er, als würde der Gast im Wald stehen, klar und fein, ein Sud mit Brunnenkresse gibt aromatische Tiefe, das extra gereichte Butterbrioche mit reichlich Trüffel bringt Finesse.
Was wiederum besonders auffällt: Jeder Gang wird gut erklärt, die einzelnen Elemente, die Zubereitung, die jungen Servicekräfte erzählen sogar, wie zusammengestellt ihnen das Gericht besonders gut schmeckt. Das mag manchmal sogar fast ein wenig zu viel der Informationen sein. Es ist aber besonders interessant für jene, die nicht täglich in ein Sternerestaurant gehen. So ist es ein Erlebnis auf Augenhöhe - in einer Stadt, in der an anderen Orten die Gäste eher erzogen als informiert werden.
Die Speisenfolge ist nicht sehr rasch, das Menü dauert gute drei Stunden. In unserem Fall war es aber nach einem kurzen Hinweis möglich, dass die Köche einen Zahn zulegten - was auch nicht überall so gut funktioniert wie hier.
Glücksbringendes Seelenessen
Wer möchte, kann sich noch das Signature-Gericht von Nikodemus Berger servieren lassen. Es kostet 38 Euro mehr, aber die Petersilienspätzle mit Bergkäse und Zwiebelringen sind von einer Süffigkeit, dass sie glücksbringendes Seelenessen sind.
Beim Dessert ist die Tischgesellschaft unentschieden: Dem Kritiker gefällt das Sorbet aus Robinienblüten mit Pflaumen und Rooibos-Kapseln, die Begleitung findet die Aromatik hier zu flach und unentschieden. Aber auch das kann das gute Urteil am Schluss nicht trüben.
Denn anders als so oft warten hier auch am Ende des Abends keine bösen Überraschungen. Das Sechs-Gang-Menü ist im Hauptstadtvergleich überraschend günstig. 137 Euro kostet es. Na klar, es gibt keinen Fisch und kein Fleisch, damit fallen teure Meeresfrüchte im Einkauf weg. Aber gute Gemüse sind teuer - und das Team spart auch nicht an Trüffel und Co. Zudem gibt es inklusive den ganzen Abend Wasser und den Espresso danach, das lassen sich Konkurrenten teuer bezahlen.
Auch die Margen bei den Getränken - ein echtes Ärgernis in anderen Berliner Häusern - sind hier fair: ein Goldatzel-Riesling für 43 Euro, ein Riesling von Großmeister Peter Jakob Kühn für 58 Euro. Und es gibt richtiges Fassbier, keine edelsüße Mikrobrauerei, die jedes Essen aromatisch niederwalzt, sondern ganz normales Pils - ein Segen ist das. Ein Segen wie so ein Abend im Bonvivant - der hinterher den Gast mit dem guten Gefühl in die Nacht schickt, das Berlin kulinarisch eben doch noch nicht verloren ist.
Quelle: ntv.de