Essen und Trinken

Oetker geht essen Eenmal Jastrokrise hausjemacht …

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Das "Horvath" von Sebastian Frank hat zwei Sterne.

Das "Horvath" von Sebastian Frank hat zwei Sterne.

(Foto: imago/Emmanuele Contini)

Arm, aber sexy war die Hauptstadt einst. Heute ist sie immer noch arm, aber dafür schön bräsig und in Sachen Gastronomie auf dem absteigenden Ast. Stern um Stern verschwindet, weil die Wirte aufgeben - und auf die Rahmenbedingungen schimpfen. Dabei ist die Krise hausgemacht.

Fangen wir doch mal vorne an: beim Apéritif, den der Gast im Berliner Restaurant "Horvath" vom ach so lässigen Weinkellner Michi Stiel angeboten bekommt. Nein, Champagner gibt es natürlich nicht glasweise, das ist ja alles brutal regional hier. Stattdessen gibt es einen Sekt, einen deutschen. Klar, der 2019er-Tradition von Burkhardt Schür aus Franken ist fabelhaft, eine perlende, kräftige Cuvée aus Pinot Meunier, Pinot Noir und Chardonnay - vor allem aber perlt er hinterher auf der Rechnung.

21,50 Euro werden aufgerufen, für 0,1 Liter selbstverständlich. Die Flasche mit 0,75 Liter kostet für den Endverbraucher im Weinhaus selbst 28 Euro, das Restaurant wird weniger bezahlen, Großabnehmer und so. Also liegt die Marge bei circa 800 Prozent - und allein dieses freche Selbstbewusstsein, oder nennen wir es doch gleich Unverfrorenheit, trifft den Kern des Berliner Problems.

Was wird in der Hauptstadt gejammert. Die Kunden würden nicht mehr kommen, Corona habe alles verändert - und dann noch die Mehrwertsteuererhöhung. So werden die Schließungen gerade im Wochentakt angekündigt: Das Cordo ist jetzt ein Fischbistro, Lode & Stijn, theNoName und Richard haben geschlossen, das Kin Dee in Tiergarten schließt Ende Mai seine Türen, das minimalistische Ernst im Wedding Ende des Jahres. Es ist ein Gastrobeben und es ist ein großer Katzenjammer - dabei ist es keine Krise der Rahmenbedingungen, sondern eine hausgemachte Bankrotterklärung.

Denn die Qualität der Hauptstadtgastronomie konnte nie mit anderen Gourmetregionen Deutschlands mithalten - wollte bei den Preisen aber im Reigen der ganz Großen mitspielen. Kein Wunder, dass die Gourmets aus dem In- und Ausland da irgendwann nicht mehr mitspielen.

"Emanzipierte Gemüseküche"

Sehen wir uns dieses Irrlichtern doch mal etwas genauer an und gehen zurück ins Horvath am Berliner Paul-Lincke-Ufer, es ist ein schönes Restaurant, holzgetäfelt, hohe Decken, die Fenster schauen hinaus auf den Kreuzberger Abend. 190 Euro zahlt der Gast hier fürs 6-Gang-Menü am Wochenende (wenn der Preis höher ist als in der Woche, was merkwürdig ist, weil all die Produkte samstags ja nicht mehr kosten, aber nun gut). Was wird dafür geboten? Sebastian Frank, der wirklich nette österreichische Hausherr und Sternekoch, überschreibt seine Kreationen mit "Emanzipierte Gemüseküche".

Emanzipiert muss diese Küche auch sein, bei den Preisen. Den Anfang machen richtig gutes Brot und Kartoffelstampf. Dann folgt die Pilzleber, eine hübsche Praline von cremig verarbeiteten Kräuterseitlingen, aromatisch und waldig, sie soll mit ihrem Geschmack an Foie Gras erinnern. Das tut sie, aber sie ist eben kein Feuerwerk, sondern nur eine sehr dichte Pilzcrème.

Ebenso unaufgeregt und reduziert geht es weiter: Die Tobinamburkaltschale mit Leinöl und pochiertem Tobinambur ist lecker, aber nach fünf Minuten erinnert sich der Gast schon nicht mehr daran. Kein Vergleich zur Gemüseküche, mit der vergleichbare Sterneköche in Frankreich echte Erinnerungen schaffen.

Gleiches gilt für ein Signature-Gericht von Sebastian Frank, womit er sich nach eigenen Worten (Frank stellt mit großer Verve jedes Gericht an jedem Tisch vor, was mitunter lärmend sein kann) an seine Kindheit erinnert: "Erster Stich" nennt er das Gericht, es ist gestockte Sahne mit Joghurtkulturen, eine Paprikainfusion und ein Sirup von Knoblauch-Kümmelessig. Das ist nicht nur reduziert, es ist simpel. Der Joghurt schmeckt nach Joghurt, die Paprika nach süßlich-schmieriger Paprika. Und der Kümmel nach Kümmel. In richtigen Gourmetrestaurants wäre das kein Gang, sondern ein Pre-Dessert, also die Auffrischung des Gaumens, bevor der süße Reigen der Patisserie beginnt - aber Patisserie gibt es im Horvath ja ohnehin nicht.

Sparfuchs-Frucht Sellerie

Vorher sind wir aber bei der Hauptspeise und die ist aus Franks Lieblingsgemüse. Sellerie. Mit dieser günstigen Knolle bestreitet er seit Jahren sein Geschäft. Er lässt sie ein Jahr reifen und serviert sie dann in Stücken - hier aber macht er ein Hauptgericht daraus. Er lackiert die dicke Scheibe und räuchert sie, dazu gibt es eine Quittenreduktion und eine Marmelade, sodass der Sellerie nun wie ein Barbecue-Gericht schmeckt. Vor allem aber schmeckt es gewaltig nach Sellerie und ist für ein - ich wiederhole noch mal den Preis - 190 Euro-Menü schlicht kein Hauptgericht, sondern eine gefühlte Sparfuchs-Frucht.

Der lackierte Sellerie enttäuscht.

Der lackierte Sellerie enttäuscht.

(Foto: Scarlet Korge)

Ich glaube gar nicht, dass man das nicht wagen kann: viel Geld für Gemüse zu nehmen. Aber dann muss es eben mehr sein als minimal verarbeiteter Sellerie. Gourmetkoch Michel Bras kann das meisterhaft, der Franzose kombiniert in seinem Pariser Zweitrestaurant in seinem neuen Museumsrestaurant in der Bourse de Commerce Sellerie in verschiedenen Garstufen und Zuständen mit Erdnüssen, feiner Jus und einem Crunch aus äthiopischem Café, es ist fabelhaft, überraschend, einfach neu.

Wie ist das denn möglich, dass es bei einem völlig überteuerten Menü nicht gelingt, wenigstens ein Gericht auf diesem Niveau zu servieren? Und sich dann zu wundern, wenn die Bude leer bleibt? Ja, die fetten Jahre sind vorbei - und ja: Vor fünf Jahren kamen die Leute für so ein Essen, weil Berlin da irgendwie als hip galt und auf der anderen Seite viele Leute doch mehr für das Erlebnis essen gehen als für echten Geschmack.

Wenn es knapp wird im Portemonnaie, also derzeit, schauen die Gäste dann aber schon, ob das Erlebnis auch wirklich eines ist, das sich lohnt. Und da fällt das Urteil in Berlin momentan vernichtend aus: Während in München im Tantris die französische Klassik ihre Renaissance feiert, während in Frankfurt im Seven Swans wahrhaft grandios vegetarisch gekocht wird, während Alexander Mayer im Hamburger Atlantic-Hotel kulinarisch an große Zeiten anknüpft, Hummersuppe inklusive, ist die Hauptstadt das Jammertal.

Fermentierte Servietten?

Neulich aß ich bei Björn Swanson im faelt einen ganzen Abend kein einziges wirklich gekochtes Gericht, es war alles lauwarm und fermentiert, das Highlight war der Currywurst-Ersatz aus Karotte, in einem Menü für 120 Euro. Ein Wunder, dass nicht auch noch die Servietten fermentiert waren. Sternekoch Swanson macht gerade wieder ein neues Restaurant auf, dafür sucht er Personal, das diesen ganzen Fine-Dining-Schwachsinn satthat, wie er auf Instagram tönt. So viel Verachtung für die eigene Branche sagt schon alles, was der Gast wissen muss.

The Duc Ngo, Fernsehkoch und Fernost-Vordenker, hat sich hingegen dafür entschieden, Kohle zu scheffeln, mit Sushi & Co., die Qualität ist gut, die Preise sind exorbitant. Neben vielen anderen Läden hat er im Sado-Maso-Kitsch-Hotel Provocateur das Restaurant Golden Phoenix. Ein simples Chinarestaurant für jene, die ihr Essen lieber fotografieren, als es zu genießen. Die Weinkarte ruft für die Pulle Riesling von Goldatzel aus dem Rheingau 66 Euro auf. Das ist ein guter Wein, ohne Frage - nur im Einkauf kostet er den Endverbraucher gerade mal 7,90 Euro - macht einen Aufschlag von sagenhaften 735 Prozent - da will noch einer sagen, in der Gastronomie ließe sich kein Geld verdienen.

Noch ärgerlicher als pure Abzocke aber ist Ideenlosigkeit. Am Ende eines Desserts im Gourmetrestaurant erhält der Gast stets mehrere Petit Fours, kleine süße Köstlichkeiten aus der Patisserie. Vor fünf Jahren bekam ich da im Horvath eine Schweineblutpraline. Die Kreation bestand aus tatsächlichem Schweineblut und weißer Schokolade, gewickelt in eine durchsichtige Folie. Das mag mancher eklig finden, ein anderer witzig. Die Idee war ja auch durchaus kreativ und geschmacklich völlig in Ordnung - aber es war eben auch keine Wucht, kein Aromenkracher, kein Ding, das anderswo das Zeug zum Signature-Dessert hat. Aber in Berlin hat es das schon. Fünf Jahre später wird immer noch das gleiche Petit Four angeboten. Mit großem Stolz sogar. Wie kann das sein? Wie kann man so wenig Inspiration haben, um die eigene Erfindung dermaßen geil zu finden, dass man sie auf Jahre behält, anstatt einmal weiterzudenken? Die Antwort: Es ist der Hochmut derer, denen die Gäste - mit Verlaub - ganz schön (Blut)wurscht sind.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen