Panorama

Wasser fließt offenbar ab Gemeinde steht vor dem Nichts: "Ground Zero für Blatten"

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Je mehr von dem zu einem See aufgestauten Wasser des Flusses Lonza langsam über den Schutt abfließt, desto geringer ist das Risiko einer Flutwelle.

Je mehr von dem zu einem See aufgestauten Wasser des Flusses Lonza langsam über den Schutt abfließt, desto geringer ist das Risiko einer Flutwelle.

(Foto: dpa)

Im Schweizer Lötschental beginnt das aufgestaute Wasser nach dem Gletscherabbruch offenbar langsam abzufließen. Somit wird das Überlaufen eines Sees unwahrscheinlicher. Die Bewohner einiger Gemeinden sitzen trotzdem auf gepackten Koffern. Derweil ist vom Dorf Blatten so gut wie nichts übrig.

Die Zerstörungen infolge des Gletscherabbruchs stellen die Menschen im Schweizer Lötschental vor riesige Herausforderungen. "Vorgestern wurde die Geschichte von Blatten wie wegradiert", sagte Gemeindepräsident Matthias Bellwald bei einer Pressekonferenz. Die Bewohner hätten ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Nur was sie am Leib trugen oder in einer Cloud gespeichert war, sei ihnen geblieben. Häuser, Brücken, Hotels, Fotoalben, Dokumente – dies alles sei weg. "Kurzum Ground Zero für Blatten", fasste Bellwald die Situation zusammen.

Gletscherabbruch in der Schweiz: Der Ort Blatten am Fuße des Birchgletschers wurde verschüttet und geflutet.

Gletscherabbruch in der Schweiz: Der Ort Blatten am Fuße des Birchgletschers wurde verschüttet und geflutet.

(Foto: Google Earth)

"Das alte Blatten" könne womöglich nicht mehr wiederhergestellt werden, fährt er fort. "Wir wollen Blatten neu aufbauen. Wo, das kann ich ihnen im Moment nicht sagen", sagte er und kündigte eine Arbeitsgruppe für den Wiederaufbau von Blatten im Lötschental an. Derzeit sei es jedoch nach Experteneinschätzung unverantwortlich, Menschen im gefährlichen Bereich des Schuttkegels einzusetzen.

Derweil zeichnet sich im Lötschental beim gestauten Fluss Lonza leichte Entspannung ab. Das zu einem See aufgestaute Wasser läuft bislang verhalten ab. "Es zeichnet sich ein erstes Gerinne ab", sagte Christian Studer von der Dienststelle Naturgefahren bei einer Pressekonferenz im Lötschental. "Der Verlauf hat uns optimistisch gestimmt, dass das Wasser sich einen guten Weg sucht." Studer erklärte: "Wir rechnen nicht mit etwas Gröberem." Risiken bestünden aber weiter.

Neue Katastrophe wird unwahrscheinlicher

Nach dem Augenschein von Fachleuten, die das Gebiet immer wieder überfliegen, fließt das Wasser durch und teils über den mehr als zwei Kilometer langen Schuttkegel, der seit dem Gletscherabbruch das Flussbett der Lonza blockiert. Anzeichen, dass das Wasser Geröll mit in die Tiefe reißen könnte, gibt es bislang nicht. Ein Überschwappen ist nach diesen Angaben weniger wahrscheinlich als noch am Morgen.

Die Lage soll mithilfe von Überflügen, Webcams und Messungen an dem See, der sich durch das aufgestaute Flusswasser der Lonza bildete, überwacht werden. So sollen der Pegel des Sees und die Abflussmenge unter anderem durch Sonden kontrolliert werden. Das Volumen des abgelagerten Schuttkörpers gibt Studer mit neun Millionen Kubikmeter an. Ein Drittel des Materials im Schuttkegel könne nach Experten-Schätzung Eis des Birschgletschers sein, der abgebrochen war, sagte Studer. Wie sich das Eis verhalte, sei unklar. Er gehe aber bislang nicht davon aus, dass das Material sehr schnell schmilzt. Zudem warnte Studer, dass im Bereich des Bergs Kleines Nesthorn oberhalb des Dorfes weiterhin die Gefahr von Erdrutschen bestehe.

Gefahr weiter unten im Tal sinkt

Für die Gemeinden Gampel und Steg habe sich die Lage positiv entwickelt, sagte Stéphane Ganzer, Staatsrat im Kanton Wallis. "Dennoch bleibt das Risiko, auch, wenn es sinkt." Die Einwohner waren in der Nacht aufgefordert worden, das Nötigste für den Fall einer nötigen Evakuierung zu packen. Diese wäre nötig, wenn sich doch noch eine Flutwelle oder Gerölllawine aus dem Katastrophengebiet das Tal hinunterwälzt. Die Bewohner sollen über die Notfall-App Alertswiss und Sirenen alarmiert, wenn doch eine Flutwelle oder Gerölllawine kommt.

Gampel und Steg liegen rund 20 Kilometer unterhalb des verschütteten Dorfes Blatten. Dazwischen sind bei Ferden ein Staudamm und Auffangbecken. Dort wurde bereits Wasser abgelassen, und die Hoffnung ist, dass das Becken die ganzen Wassermassen auffangen kann. Zudem wurden talabwärts des Schutt- und Geröllberges Dämme errichtet. Fachleute sahen nach Überflügen zuletzt zwar keine unmittelbaren Gefahren für die Ortschaften im unteren Tal. Ausschließen lässt sich die Gefahr jedoch bisher nicht, dass sich das aufgestaute Wasser plötzlich einen breiteren Canyon bahnt und nach unten schießt. Ebenso ist möglich, dass dabei Geröll- und Gesteinsmassen mitgerissen werden.

Fast ganzes Dorf unter Schutt begraben

Die Bundespräsidentin macht sich im Katastrophengebiet ein Bild von der Lage

Die Bundespräsidentin macht sich im Katastrophengebiet ein Bild von der Lage

(Foto: dpa)

Die Schweizer Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter machte sich bei einem Hubschrauberüberflug selbst ein Bild der Zerstörung. "Dass ein ganzes Dorf ausgelöscht wurde, ist unbegreiflich", sagte sie. Sie sicherte den Bewohnern weitreichende Unterstützung zu.

Blatten ist fast völlig unter meterhohem Schutt verschwunden. Die meisten der wenigen Häuser, die verschont blieben, sind inzwischen überflutet. Die rund 300 Einwohner von Blatten waren vergangene Woche in Sicherheit gebracht worden. Ein Einheimischer, der sich am Mittwoch im Katastrophengebiet aufhielt, wird noch vermisst.

Das Katastrophengebiet liegt im oberen Lötschental auf rund 1500 Metern Höhe. Oberhalb des Dorfes, am gut 3300 Meter hohen Berg Kleines Nesthorn, ist seit Wochen instabiler Fels abgebrochen. Weil immer mehr Felsbrocken und Geröll 500 Meter runter auf den Birchgletscher donnerten, brach dieser am Mittwochnachmittag ab und stürzte samt Geröll und Steinen ins Tal.

Bewohner und Behörden sind zum Abwarten verdammt. Es besteht keine Möglichkeit, den Abfluss etwa durch das Fräsen einer Rinne in den Schuttberg in geordnete Bahnen zu lenken. Dafür ist das Gelände zu instabil. Menschen und Maschinen könnten einbrechen. "Unternehmen können wir leider wenig, weil die Sicherheitslage vor Ort es nicht zulässt, dass wir mit schweren Maschinen eingreifen können", sagte Christian Studer von der Dienststelle Naturgefahren. Die Armee steht aber bereit, sobald es die Lage zulässt, mit Räumungsarbeiten zu beginnen.

Zudem drohen weitere Felsabbrüche. An der ursprünglichen Abbruchstelle können immer noch mehrere Hunderttausend Kubikmeter Gestein abstürzen. Zudem wurden bei dem Gletscherabbruch Geröll und Schuttmassen über den Talboden hinweg und auf der gegenüberliegenden Hangseite hochgeschoben. Auch sie könnten als Gerölllawine wieder abrutschen.

Quelle: ntv.de, hul/dpa/AFP

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen