Mit Hoffnung durch Klimakrise? Dirk Steffens: "Haben mehr Lösungen als Probleme, aber ..."
16.08.2024, 11:46 Uhr Artikel anhören
Die Folgen des Klimawandels sind in vielen Weltregionen schon jetzt enorm.
(Foto: picture alliance / Anadolu)
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Erderwärmung und ihre Folgen rufen bei vielen Menschen Zukunftsangst und Hoffnungslosigkeit hervor. Wissenschaftsjournalist Dirk Steffens hingegen blickt weitaus zuversichtlicher auf die Krise. Denn: Die Lösungen liegen bereits auf dem Tisch, erklärt er im Gespräch mit ntv.de. Nun sei es daran, sie auch anzuwenden. Ohnehin gebe es keine vernünftige Alternative zum Optimismus - weder bei persönlichen Krisen noch bei den großen Problemen der Menschheit. Das, so der Experte, sei am Ende eine Frage der Logik.
ntv.de: Herr Steffens, ich habe selten etwas Zuversichtlicheres gelesen als diesen Satz auf Ihrem Instagram-Profil: "Durch den Tod wird das Leben unsterblich." Können Sie das genauer erklären?

Dirk Steffens ist Wissenschaftsjournalist, spezialisiert auf Natur- und Umweltthemen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Dirk Steffens: Das hört sich zwar philosophisch an, ist im Grunde aber streng naturwissenschaftlich. Denn die Evolution braucht den Tod. Wären Lebewesen unsterblich, könnten sie sich nicht an Veränderungen, also etwa eine heißere, kältere oder feuchtere Welt, anpassen. Oder anders: Das eigentliche Leben sind die Gene in den Körpern. Und die haben das Ziel, vom Anbeginn des Lebens in einer ununterbrochenen Kette von verschiedenen Wirtskörpern bis in die Unendlichkeit weiterzuleben. Der Tod ersetzt dabei alte durch neue, eventuell besser angepasste Wirtskörper. Fittere, überlebensfähigere. So macht der Tod das Leben unsterblich. Das verdeutlicht einmal mehr, warum Naturwissenschaft die Fröhlichste aller Wissenschaften ist. Sie kann spirituelle Dimensionen haben, sie spendet Hoffnung.
Bei vielen rufen die bedrohlichen Erkenntnisse über den Klimawandel oder das Artensterben allerdings eher Zukunftsangst als Hoffnung hervor.
Ich versuche es einmal mit einer etwas makabren Parabel: Ein Kollege von mir ist nach einer Expedition mal krank geworden und lag im Krankenhaus. Es ging ihm schlecht. Nach einer Weile kam der Arzt - freudestrahlend über das ganze Gesicht - und sagte: "Ich weiß, was sie haben. Sie haben die Pest." Das klingt im ersten Moment natürlich nach einer schrecklichen Nachricht. Das freudestrahlende Gesicht ist trotzdem gerechtfertigt, denn wir wissen dank der Naturwissenschaft, dass Pest, wenn sie früh genug erkannt wird, mit einem Antibiotikum leicht zu heilen ist. Im Grunde ist das die Situation, in der sich die ganze Menschheit befindet. Wir sehen uns potenziell tödlichen Bedrohungen gegenüber, weil wir die Natursysteme zerstören. Allerdings wissen wir inzwischen auch, was wir dagegen tun können. Wir haben sogar mehr Lösungen als Probleme, aber wir sind bisher zu zögerlich dabei, diese Lösungen auch anzuwenden. Das ist gefährlich: Wenn man mit der Medizin zu lange wartet, gibt es irgendwann keine Heilung mehr.
Das müssen Sie näher erläutern. Wie sehen Lösungen in Bezug auf den Klimawandel aus und inwiefern setzen wir sie nicht um?
In Bezug auf den Klimawandel stellen sich doch zwei Fragen: Wie können wir in einer wärmeren Welt leben? Und wie können wir den Klimawandel bremsen? Auf beides haben wir bereits Antworten. Erstens müssen wir unsere Städte, unsere Art zu leben anpassen, da gibt es bereits etliche Konzepte. Zweitens müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Treibhausgas-Emissionen reduzieren und das Zeug irgendwann wieder aus der Atmosphäre herausbekommen. Geoengineering ist ein Stichwort, aber es müssen ja nicht unbedingt nur große Maschinen sein, die Treibhausgase aus der Atmosphäre ziehen, es gibt auch natürliche Methoden. Die Vermehrung von Walen oder Pinguinen etwa, die mit ihrem Kot Meeresalgen düngen, die dann sehr viel CO2 aufnehmen, würde helfen. Also im Grunde konsequenter Naturschutz, der würde für den Klimaschutz womöglich mehr leisten als unfruchtbare Diskussionen über Tempolimits auf Autobahnen. Es gibt Dutzende Ansätze, von denen ich Ihnen erzählen könnte.
Gerne.
Nehmen wir die Landwirtschaft als weiteres Beispiel. Wir streiten in der Gesellschaft dauerhaft darüber, wie sie betrieben werden soll. Bauern und Umweltschützer beurteilen die Probleme oft sehr unterschiedlich. Tatsächlich weiß die Wissenschaft aber ganz gut, mit welchen Anbaumethoden es besser ginge, etwa regenerativer Landwirtschaft. Oder auch mit verantwortungsvoll eingesetzter Gentechnik. Und maßvollem Einsatz von Chemie. Wir dürfen nichts verteufeln, müssen offen bleiben. Ich will mit alldem nicht Entwarnung rufen, das wäre naiv. Aber wenn man es so faktisch betrachtet, können wir die großen Probleme unserer Zeit in den Griff kriegen.
Trotz vorhandener Lösungen dominiert bei vielen die Hoffnungslosigkeit und der Frust. Müsste die Forschung ihre positiven Erkenntnisse noch offensiver in die Öffentlichkeit tragen?
Wenn die Menschen mehr und tiefere Kenntnisse über das Potenzial der Naturwissenschaft hätten, würden sie wahrscheinlich auch besser verstehen, wie groß die Möglichkeiten sind, diesen Planeten zu einem besseren Ort zu machen. Allerdings hilft es nichts, nur recht zu haben, wenn man die Mehrheit nicht davon überzeugen kann, dass es der richtige Weg ist.
Wie kann das gelingen?
Ein gutes Beispiel bietet Dänemark. Dort wurde gerade eine CO2-Steuer für Landwirte eingeführt, die Schweine mästen oder Kühe in großer Zahl halten. Was hier undenkbar wäre, ging in Dänemark ganz ohne Bauernproteste über die Bühne. Der Hauptgrund dürfte sein, dass man die Bauernschaft von vornherein mit in die Planung einbezogen hat. Zudem will man die Einkommenssteuer für Landwirte gleichzeitig senken. Das heißt, ein Landwirt, der sich einigermaßen clever verhält, hat am Ende genauso viel in der Tasche wie vorher. Und trotzdem wird jede Tonne CO2, die aus Viehhaltung entsteht, mit einem Preis belegt. Auch das ist übrigens eine gute Lösung: Wenn wir die Preispolitik im Kampf gegen Klimawandel mehr nutzen würden, müssten wir auch weniger über Verzicht und Verbote sprechen.
Nun kann Naturwissenschaft beim Thema Klimawandel Hoffnung spenden. Bei anderen Krisen wie etwa Krieg und Flucht hilft das weniger. Wie gelingt es, trotzdem zuversichtlich zu bleiben?
Ich habe eine Erkenntnis des Philosophen Karl Popper zu meinem persönlichen Leitsatz gemacht: "Zum Optimismus gibt es keine vernünftige Alternative." Wer aufgibt, hat schon verloren. Unser Narrativ von der Zukunft muss positiv sein. Stellen Sie sich mal vor: Wir laufen durch die Wüste, wo es absolut nichts gibt - weder Wasser noch Pflanzen. Ich schlage Ihnen vor, hier das größte Bauwerk der Menschheit zu errichten, das nebenbei noch irre viel kostet und irre viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Ein Bauwerk ohne praktischen Nutzen, in dem niemand wohnen kann. Sie würden mit hoher Wahrscheinlichkeit denken, "der spinnt ja".
Zugegeben: ja.
Genau so sind allerdings die Pyramiden von Gizeh entstanden, bis heute eines der größten Kulturdenkmäler der Menschheitsgeschichte. Worauf ich hinaus möchte, ist die Macht des Narrativs. Sei es nun ein religiöses, politisches oder gesellschaftliches. Erzählungen schaffen Perspektiven. Die Zukunft wird so sein, wie wir heute über sie sprechen, weil Narrative den Weg vorgeben. Ohne sie können wir keine Probleme lösen.
Das kann sehr viel Kraft kosten. Gibt es nicht auch Situationen, möglicherweise ausweglose, in denen es daher vernünftiger ist, ein Scheitern einzugestehen und aufzugeben?
Klar, im Alltagsleben ständig, allerdings nicht bei großen Menschheitsproblemen, weil Scheitern da keine Option ist. Denn da würde Aufgeben schlichtweg das Ende der Zivilisation bedeuten. Optimistisch zu sein, ist am Ende also eine Frage der Logik und des Überlebens. Wenn beispielsweise das Artensterben in diesem Tempo weitergeht, wird die Spezies Homo sapiens nicht mehr allzu lange auf diesem Planeten existieren. Das wissen wir sehr sicher. Wir müssen also handeln. Und um das zu tun, müssen wir zumindest hoffen können, dass es eine realistische Chance gibt, das Problem in den Griff zu bekommen. Wer Untätigkeit damit entschuldigt, dass es ohnehin nicht funktionieren wird, steuert auf den sicheren Untergang zu. Das meinte ich mit: Optimismus ist die einzige - vernünftige - Option. Pessimismus ist unvernünftig. Eine optimistische Grundhaltung beinhaltet aber auch die Verpflichtung zum Handeln, zum Übernehmen von Verantwortung.
Könnte man vor diesem Hintergrund sagen, Optimismus geht noch über bloße Hoffnung hinaus?

(Foto: RTL)
Optimismus ist ein Schlüssel, der hilft, unsere Welt besser zu machen. Im Mittelpunkt der Initiative #MeinGrundfürZuversicht der Bertelsmann Content Alliance stehen Menschen mit einem optimistischen Blick auf Themen wie Demokratie, Vielfalt, Gerechtigkeit, Antirassismus und ein gutes Miteinander.
Unbedingt. Ich würde sagen, ein Optimismus, der nur hofft und nicht handelt, ist sinnlos. Tatsächlich wird Optimismus ja oft mit naiver Hoffnung verwechselt oder mit Glaube. Kennen Sie diese jüdische Geschichte?: Ein Rabbi bittet bei einer Flut seinen Gott, ihm beizustehen. Doch das Wasser steigt. Als der Rabbi in das Obergeschoss seines Hauses flüchten muss, kommt ein Boot vorbei, doch der Rabbi sagt, er bräuchte nicht einzusteigen, da Gott ihn retten wird. Das Wasser steigt, er muss aufs Dach, noch ein Boot kommt, er steigt wieder nicht ein, weil er auf Gott vertraut. Als ihm das Wasser schließlich bis zum Hals steht, ruft er gen Himmel: Gott, wieso hast du mich nicht gerettet? Und Gott antwortet: Ich habe dich zweimal gerettet, aber du hast nicht gehandelt. Das ist vielleicht der Unterschied zwischen Optimismus und Glaube oder blanker Hoffnung. Optimismus verpflichtet zum Handeln.
Nun würden viele Menschen sagen, dass ihnen gerade der Glaube in einer Zeit voller Krisen Zuversicht und damit die Kraft, weiterzumachen, schenkt.
Man darf nicht vergessen, warum Religion entstanden ist. Früher waren Menschen in konkurrierenden Horden unterwegs. Irgendwann ist daraus eine Struktur entstanden: Die Horden haben angefangen, sich in Höhlen zu treffen, es sind Stämme entstanden und schließlich Landwirtschaft. Das ging eben nur, weil man ein Narrativ geschaffen hat, das mehrere Horden zur Kooperation brachte. Dieses Narrativ war in vielen Fällen ein religiöses. Menschen dazu zu bringen, gemeinsam an einem Ziel zu arbeiten, ist eine praktische Funktion von Religionen. Es gibt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sagen, unsere Zivilisation hätte ohne die Erfindung der Religion niemals entstehen können. Wichtig ist: Dabei geht es um die Erfindung der Religion, nicht um die Wahrheit der Religion.
Den Deutschen wird oft nachgesagt, bei der Fähigkeit zum Optimismus hinterherzuhinken. Sie sind bei Ihrem Job als Wissenschaftsjournalist viel herumgekommen. Konnten Sie hinsichtlich der Fähigkeit zur Zuversicht einen Unterschied zwischen den Kulturen feststellen?
Ja. Und das gibt mir tatsächlich große Rätsel auf. Es ist paradox, dass wir Deutschen so schlecht über unser Land reden, obwohl es uns besser geht als den meisten. Ich habe in viel ärmeren Ländern, sei es in Äthiopien, Bolivien oder in der Zentralafrikanischen Republik, Menschen getroffen, die einen sehr viel zuversichtlicheren Eindruck machten als viele von uns. Man kann nur spekulieren, warum das so ist. Möglicherweise ist gerade unser Wohlergehen schuld daran. Es geht uns so gut, dass unbewusst das Gefühl entsteht, es könne eigentlich nur schlechter werden. Verlustangst kann einen niederdrückenden Effekt haben. Aber das ist Spekulation. Ich kann auch nicht erklären warum, aber ich habe in vielen Kulturkreisen mehr Optimismus gespürt als bei uns.
Mit Dirk Steffens sprach Sarah Platz
Quelle: ntv.de