Panorama

"Zeit läuft uns leider davon" Können wir mit Hoffnung den Klimawandel bewältigen?

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Bis 2200 könnten Islands Gletscher laut Forschenden komplett verschwunden sein.

Bis 2200 könnten Islands Gletscher laut Forschenden komplett verschwunden sein.

(Foto: picture alliance / blickwinkel/S. Ziese)

Schmelzende Gletscher, brennende Wälder, Artensterben, Menschen auf der Flucht: Die Folgen des Klimawandels sind schwerwiegend und beängstigend - und in Teilen nicht mehr aufzuhalten. Gerade deshalb sei es jetzt höchste Zeit für Optimismus, meint der isländische Klimaaktivist Andri Snaer Magnason.

Es ist ein warmer Sommerabend Anfang Juli, an dem das umfangreichste Projekt des Wissenschaftsjahres 2024 seinen Auftakt feiert. Im Hamburger Schauspielhaus steht der isländische Klimaaktivist und mehrfach ausgezeichnete Schriftsteller Andri Snaer Magnason auf der Bühne - und ringt mit den Tränen. Magnason erzählt von seiner Großmutter, die erst vor Kurzem im Alter von 98 Jahren gestorben war. Er erzählt von ihrer Faszination für die Gletscher ihrer Heimat Island. Und er erzählt davon, dass sie im Laufe ihres 98 Jahre langen Lebens genau diesen beim Schmelzen zuschauen konnte.

Es ist also nicht nur die Trauer um seine "sehr coole" Oma Hulda, die Magnason sprachlos macht. Es ist auch die Gewissheit, dass seine Enkelkinder in einer Welt leben werden, in der die Hälfte der weltweiten Berggletscher verschwunden sein wird. Das könnte nämlich bereits im Jahr 2100 der Fall sein, heißt es in einer Studie in der Fachzeitschrift "Science". Und deren Enkel? Die werden höchstwahrscheinlich ein Island komplett ohne Gletscher erleben, was das Online-Fachmagazin "Phys.org" bis zum Jahr 2200 für möglich hält.

Das Schmelzen dieser Eismassen hat laut Greenpeace gravierende Auswirkungen auf Mensch und Natur. Denn fließt das in den Gletschern gebundene Wasser ins Meer, geht es als Trinkwasser verloren. Die Folgen sind akuter Wassermangel, austrocknende Flussbetten und daraus resultierende Dürrekatastrophen. Verlieren Gletscher zu viel ihrer Masse, ist ein komplettes Abtauen unaufhaltbar. Was folgt, ist ein Anstieg des weltweiten Meeresspiegels und eine Erhöhung der globalen Temperatur.

Menschen als "tektonische Kraft"

Für Magnason ist es vor dem Hintergrund dieser überwältigenden und beängstigenden Szenarien nachvollziehbar, "den Kopf in den Sand zu stecken und nichts sehen und hören zu wollen", verrät er im Gespräch mit ntv.de. Doch gerade, weil die Welt vor solch fundamentalen Herausforderungen steht, sei gerade jetzt das genaue Gegenteil geboten, nämlich zu handeln.

Andri Snaer Magnason kandidierte 2016 bei der Präsidentschaftswahl in Island.

Andri Snaer Magnason kandidierte 2016 bei der Präsidentschaftswahl in Island.

(Foto: Andri Snaer Magnason)

Angst sei laut Magnason hierfür jedoch ein schlechter Antrieb: "Normalerweise überreagieren wir Menschen, wenn wir Angst haben." Deshalb setzt der 51-Jährige lieber auf Hoffnung. Was genau er damit meint, veranschaulicht er an einem Gespräch über die Folgen des Klimawandels, das er im vergangenen Jahr mit Schülerinnen und Schülern aus Kassel geführt hat: "Sollte ich ihnen etwa sagen 'sorry, Leute, ihr seid zu spät dran'?"

Anstatt sich auf düstere Klimaszenarien und die angsteinflößende Zukunft der Teenager zu konzentrieren, versuchte der Aktivist, ihnen Mut zu machen: "Egal, ob Modebranche, Architektur oder Landwirtschaft - jedes Arbeitsfeld hat einen unausweichlichen Effekt auf das Klima. Es gibt unendlich viele Felder, in denen man seine Arbeit heute sehr gut nutzen kann." Magnason sieht viel Hoffnung darin, dass jeder etwas verändern kann - egal ob er oder sie später einmal in die Politik oder eben in die Modebranche geht.

Wichtig sei vor allem, die Herausforderungen der Klimakrise und deren Bekämpfung als globale, als kollektive Angelegenheit zu verstehen. Ein einzelner Mensch allein mag vielleicht nicht viel verändern können. "Doch wenn wir alle unsere Verbindung zum Klima verstehen und uns mobilisieren, dann entsteht aus dieser Masse an Menschen eine tektonische Kraft, die sehr große Dinge bewegen kann. Das ist meine Hoffnung."

"Leider läuft uns die Zeit davon"

Dass in der Klimakrise nicht alle Hoffnung verloren ist, legt auch eine 2023 veröffentlichte Studie des New Climate Institute nahe. Darin werden ebenfalls wachsendes Bewusstsein und gemeinsames ziviles Engagement als wichtige Faktoren im Kampf gegen den Klimawandel genannt. Doch die Studie enthält auch eine klare Mahnung. Denn die Klimakrise beschleunige sich immer mehr und drohe, die erreichten Fortschritte zunichtezumachen: "Wir müssen uns also schneller bewegen."

Auch der Physiker und Regierungsberater Wolfgang Lucht kommt im ntv.de-Interview zu dem Schluss, dass uns "leider die Zeit davonrennt". Das Problem sei, dass Fortschritte und Lösungen den Klimawandel zwar verlangsamen, aber nicht umkehren können: "Das Klima wird dort bleiben, wohin wir es geschoben haben. Alle Erhitzungen, die wir jetzt produzieren, werden uns auf Jahrtausende erhalten bleiben. Wir können noch bewirken, dass es nicht schlimmer wird. Besser wird es aber nicht."

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Düstere Aussichten also, doch wie hält es Lucht mit der Klima-Hoffnung? Auch er setzt hier auf einen großen gesellschaftlichen Lernprozess: "Wir müssen lange einstudierte Gewohnheiten hinterfragen. Das ist ein schwieriger Prozess, aber letztlich gut, das nennt man Geschichte. Wenn Gesellschaften durchgerüttelt werden, entsteht etwas Neues, das dann hoffentlich nach vorne führt."

Vor allem aber sei es wichtig, den Menschen verständlich und greifbar zu machen, was die Wissenschaft bereits seit Jahrzehnten formuliert: "Nüchterne Zahlen und Analysen sind die Grundlage, aber wir müssen uns überlegen, was sie für unser Leben bedeuten. Wir müssen das, was die Wissenschaft uns sagt, in unser Leben hereinnehmen und nicht als etwas blut- und fleischloses betrachten."

Wissenschaft trifft auf Erzählkunst

Genau dazu hat er Magnason im Jahr 2014 motiviert, als die beiden sich auf einer Konferenz in München begegneten, verrät Lucht. Er habe ihn gefragt, ob er sich der Klimafrage nicht einmal als Autor nähern wolle: "Wir Wissenschaftler produzieren nur die Zahlen und Tabellen. Aber er ist ein Geschichtenerzähler, er kann es uns lebendig vor Augen halten, um was es dabei wirklich geht."

#MeinGrundfürZuversicht
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(Foto: RTL)

Optimismus ist ein Schlüssel, der hilft, unsere Welt besser zu machen. Im Mittelpunkt der Initiative #MeinGrundfürZuversicht der Bertelsmann Content Alliance stehen Menschen mit einem optimistischen Blick auf Themen wie Demokratie, Vielfalt, Gerechtigkeit, Antirassismus und ein gutes Miteinander.

Magnason hätte zunächst abgelehnt, er wolle das Klima-Thema lieber den Expertinnen und Experten überlassen. Er sei schließlich nur ein Schriftsteller. Danach habe Lucht lange nichts von ihm gehört - bis ihn Jahre später die Anfrage erreicht, ob er Magnasons neues Buch "Wasser und Zeit" gegenlesen wolle. Er war Luchts Anstoß schließlich also doch gefolgt und hatte die Klimakrise aus Sicht eines Geschichtenerzählers behandelt.

Damit war Magnason auch seinem eigenen Appell gefolgt, indem er seine Arbeit als Autor mit Klimaaktivismus verband. Seitdem hält er weltweit Vorträge zum Thema Klimawandel, erzählt Menschen von seiner Großmutter und verrät ihnen, was die "coole Oma" mit den Gletschern, dem Klima und jedem einzelnen Zuhörenden zu tun hat. Magnsaon versteht all das einerseits als seine "Pflicht als verantwortungsbewusster Bürger". Andererseits bezeichnet er es auch als hoffnungsvollen Widerstand gegen das Kopf-in-den-Sand-Stecken: "Hoffnung bedeutet, das Versagen und den Verlust nicht zuzulassen. Jeder Akt des Widerstands ist ein Akt der Hoffnung."

Quelle: ntv.de

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