Panorama

Aus der Schmoll-Ecke Herr Merz, jetzt machen Sie uns gefälligst alle glücklich!

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Friedrich Merz strahlt schon recht viel Glück aus, jetzt fehlen noch alle anderen.

Friedrich Merz strahlt schon recht viel Glück aus, jetzt fehlen noch alle anderen.

(Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur)

Wir Deutschen haben Anspruch auf Glück. Vor allem in der Ostzone ist man ganz schnell sauer, wenn es nicht wie gewünscht läuft. Denn die Erinnerung an die wunderbare DDR ist noch fest in den Köpfen. Also, Herr Merz, vollbringen Sie die Quadratur des Kreises.

Juhu, Freunde der Sonnenanbetung, der Frühling ist da - und ich gebe zu, es würde mich total reizen, hier an dieser Stelle ausgiebig über Igor Strawinskys "Le sacre du printemps" ("Das Frühlingsopfer") - weltweit der größte Kulturskandal vor den "Zigeunerschnitzeln" des Dieter Hallervorden in der ARD - zu schreiben. Ich würde Ihnen, die es noch nicht wissen, erläutern, wie es war, als er im Jahre 1913 seine musikalisch tollkühne Vorstellung eines uralten Brauches erstmals auf die Bühne zauberte: "Eine große heidnische Feier: Alte weise Männer sitzen im Kreis und schauen dem Todestanz eines jungen Mädchens zu, das geopfert werden soll, um den Gott des Frühlings günstig zu stimmen."

Ich könnte anhand von Strawinskys Werk "Fremdheit als Konzept" als Kontrastmittel zur Verklärung ferner Welten außerhalb Europas und seiner Kolonien erläutern, was Ihnen eventuell mehr Gewinn brächte als jede Straßenumbenennung und die Debatte, ob Zigeunerschnitzel nicht gegendert werden sollte. Also Hallervorden Zigeuner-STERNCHEN-innen-Schnitzel hätte sagen sollen, um wenigstens den 55.235 Geschlechtern auf der Erde - auch unter den Sinti und Roma - gerecht zu werden. Zudem könnte ich hier meine Mutmaßungen kundtun, warum zu Strawinskys Zeit Russen noch künstlerische Avantgarde waren und jetzt nur noch Krieg und unproduktive Zerstörung zuwege bringen, was Unfreiheit einer Diktatur für die Kunst bedeutet - aber ich fürchte, das wollen die Allerwenigsten lesen.

Zudem möchte ich in Zeiten mentaler Überbelastung dank zu vieler Irrer an der Macht nicht noch mehr zur geistigen Überforderung beitragen. Ich verstehe jeden, der seine Ruhe haben und nichts über Strawinskys Geniestreich, etwa die Bedeutung des archaischen Fagotts gleich zu Beginn, erfahren will. Denn Sie haben mit der Verarbeitung der täglichen Ausgeburten der großen heidnischen Feier im Weißen Haus genug zu tun. Auch dort sitzen bekanntlich alte weiße Männer im Kreis, überlegen, was oder wen sie demütigen und opfern können, um den Gott der Kriegslust und die Börse günstig zu stimmen.

Freuen Sie sich

Ich will Ihr Hirn nicht überstrapazieren. Machen Sie es wie ich: Freuen Sie sich - mit oder ohne Strawinskys "Le Sacre" im Hintergrund - über den Frühling und die Sonne. Ich tue es jedenfalls und genieße die Wärme, ein kostenloses Mittel gegen depressive Verstimmungen, unter denen Sozialeremiten wie ich im dunklen Winter leiden. Sonne ist wunderbar. Ich nehme manchmal mein Laptop und arbeite ein, zwei Stunden in der Wärme, gern in einem Café, wobei ich ein schlechtes Gewissen habe, mich an einem Kaffee stundenlang festzuhalten. So wird das nichts mit dem Wirtschaftsaufschwung.

Manchmal belausche ich Menschen. Oder werde gezwungen, sie zu belauschen, weil sie sehr laut reden. Wie neulich ein Wutbürger mit Berliner Dialekt, der der Frau, die ihn aushalten musste, seine Gemütskübel - einen nach dem anderen - laut vor die Füße kotzte. Er erzählte in einer guten Stunde das ganze Internet nach, all das, was man aufseiten der Unzufriedenen lesen kann.

Seine Begleiterin widersprach manchmal zart, meist mit dem Ausdruck körperlichen Unbehagens. Denn jeder Versuch, etwas zu erwidern, scheiterte nach 2,5 Sätzen, da der Wutbürger sofort dagegenhielt und seinen Monolog des Zorns, der Wut, der Verzweiflung fortsetzte. Da sprach ein Aktivist der letzten Generation vor dem Untergang des Abendlandes, verraten von Merkel, Scholz und nun auch von Merz. "Monsterschulden für die korrupte Ukraine …" "Die Amerikaner profitieren …" "Nord Stream 2 muss …"

Merz und blühende Landschaften

Oh, dachte ich, die Politik hat es wirklich schwer in diesen Zeiten, wie will irgendeine Koalition das zerrissene Land wieder zusammenbringen? Ein gewisser Friedrich Merz will es versuchen. Wir sind gespannt und sagen schon mal: Machen Sie uns gefälligst alle glücklich! SOFORT! Wir Deutschen haben Anspruch auf Glück, wir sind nämlich anspruchsvoll bis hin zur Anmaßung, vor allem in der Ostzone. Dort ist man ganz schnell sauer, wenn es nicht wie gewünscht läuft. Denn die Erinnerung an die wunderbare DDR ist noch fest in den Köpfen. Also, Herr Merz, vollbringen Sie die Quadratur des Kreises.

Blühende Landschaften, aalglatte Autobahnen und liebliche Schulen wie in Bullerbü hätten Sie auch mit Schuldenbremse hinkriegen müssen. Erster Test: nicht bestanden! Erste Parteikumpane: hat Herr Merz schon verloren. Die in Kühlungsborn sind aus der CDU ausgetreten. "Unsere Entscheidung basiert auf einer Reihe tiefgreifender politischer Entwicklungen, die wir nicht mehr mittragen können." Mittragen? Macht Arbeit. Wer will schon schwere Lasten tragen und dann enttäuscht werden? Ihr General, Herr Merz, hat doch "CDU pur" versprochen. Und nun gehen Sie eine Koalition und obendrein Kompromisse ein, die nach Rot-Grün klingen. "Bei der Energiewende machen wir Wirtschaft und Verbraucher stärker zu Mitgestaltern (unter anderem durch Entbürokratisierung, Mieterstrom, Bürgerenergie und Energy Sharing)."

Allen Menschen recht getan ist eine Kunst, die niemand kann

Nach Bürgergeld kommt nun der Bürgerstrom? Da hat die 16-Prozent-Partei Sie, Herr Merz, glatt über den Tisch gezogen. Oder halt besser verhandelt. Das vermag ich nicht zu beurteilen. Zufrieden wird damit ohnehin niemand sein. Schon lese ich, dass die Handschrift der Ostdeutschen fehlt. Aber was ist mit den Frauen? Den Kindern? Den Behinderten? Den Indianern? Den Zigeuner-STERNCHEN-innen? Den Künstlern? Den Betroffenen? Den Radfahrern? Den Autofahrern? Den Fußgängern? Den Marginalisierten? Den Tieren in Massenhaltung? Haben die denn gar keine Stimme? Warum saßen keine Schweine mit am Verhandlungstisch? Und überhaupt. SO GEHT DAS NICHT!

Machen Sie es gefälligst allen recht, Herr Merz. Sonst wird Ihr Traum von der Kanzlerschaft ein Alptraum. Kriegen Sie es gefälligst hin! Wir haben Sie nicht gezwungen, im Wahlkampf "Grenzen sofort dicht" und andere unterhaltsame, aber nicht zu realisierende Versprechen abzugeben. Auf teure Wahlkämpfe könnte man ohnehin verzichten. Und Koalitionsverträge auf ein oder zwei Seiten beschränken. Titel: "Deutschland wird es (vielleicht) besser gehen." Inhalt: "Wir werden alles versuchen, dass es wirklich besser wird." Und dann noch: "Deutschland kann jede Aufgabe aus eigener Kraft und im Schulterschluss mit unseren Partnern und Freunden in der Welt erfolgreich meistern." Falls es nicht vorher verblödet.

Doch was schreibe ich hier eigentlich? Heute sollen es 20 Grad werden. Frühling. Sonne. Auf dem Balkon kann ich mir die Vertonung einer großen heidnischen Feier anhören: "Alte weise Männer sitzen im Kreis und schauen dem Todestanz eines jungen Mädchens zu, das geopfert werden soll, um den Gott des Frühlings günstig zu stimmen." Bevor auch das mit Triggerwarnung versehen oder verboten wird, weil man es auch so interpretieren könnte: Alte geile Böcke laben sich daran, dass eine Zwangsprostituierte ihnen zu Diensten ist. Die Welt lässt viele Deutungen zu - auch komplett irre. Aber nun kommt ja Herr Merz und bringt alles in Ordnung. Und wenn nicht: Auf zur nächsten Wahl!

Quelle: ntv.de

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