
Blumen liegen an der Unfallstelle in Ludwigsburg, wo nach einem mutmaßlichen Autorennen zwei tote Frauen zu beklagen sind.
(Foto: picture alliance/dpa)
Zwei Raser liefern sich im Sommer 2024 ein illegales Rennen. Ein kleiner Junge stirbt. Täglich kommt es auf Deutschlands Straßen zu illegalen Autorennen. Die Täter sind meistens junge Männer, Gefahren nehmen sie mindestens in Kauf. Wie ließen sie sich abschrecken?
Es ist der 26. August 2024. In Hamburg-Billstedt liefern sich zwei junge Männer mit ihren Sportwagen ein Rennen. Bei einem Überholmanöver kommt es zu einem Unfall mit einem unbeteiligten Ford. Ein zweijähriger Junge wird tödlich verletzt. Sein Zwillingsbruder und seine Mutter erleiden schwere Verletzungen. Einer der Unfallfahrer soll laut Staatsanwaltschaft mit 178 Kilometern pro Stunde unterwegs gewesen sein. Erlaubt waren 50 km/h. Gegen die beiden läuft seit heute ein Prozess.
Martialische Bilder zeigten das Ende eines mutmaßlich illegalen Autorennens am vergangenen Donnerstagabend in Ludwigsburg: Ein völlig ramponierter schwarzer Wagen, eingequetscht zwischen zwei Bäumen. Die Insassen, zwei unbeteiligte junge Frauen, sind tot. Zuvor waren ersten Erkenntnissen der Polizei zufolge zwei Autos durch die Innenstadt von Ludwigsburg gerast. Die beiden Frauen bogen offenbar gerade vom Gelände einer Tankstelle auf die Straße ein, als einer der Raser sie erfasste. Gegen ihn wurde inzwischen Haftbefehl erlassen.
Immer öfter kommt es auf deutschen Straßen zu illegalen Autorennen. Die Zahl der Verdachtsfälle stieg zwischen 2022 und 2023 um 10,3 Prozent auf 6187, wie eine Umfrage des "Spiegel" in den Bundesländern aus dem vergangenen Jahr zeigt. Dabei sterben bei den riskanten Wettrennen immer wieder Menschen, darunter oft Außenstehende.
"Handelt sich um junge Männer"
Und wer sind die Täter? "In der Regel handelt es sich um junge Männer. Sie kommen häufig aus schwierigen sozialen Verhältnissen, haben niedrige oder keine Schulabschlüsse und oftmals einen Migrationshintergrund", sagt der Professor für Verkehrspsychologie Wolfgang Fastenmeier ntv.de. Viele Raser sind demnach impulsiv, verfügen über eine geringe Selbstkontrolle und wenig Verantwortungsbewusstsein. "Sie nehmen Schädigungen anderer einfach in Kauf. Aus meiner Sicht leben diese Menschen in einer Parallelgesellschaft", sagt Fastenmeier.
Dem Experten zufolge gibt es drei Typen von Rasern: Die einen suchten die Konkurrenz, bei anderen stehe das Schnellfahren im Vordergrund. Sie fahren dann häufig alleine - "gegen sich selber" - und das oft unter Drogeneinfluss. "Und dann gibt es noch die dissozialen Raser, die sind von Haus aus Straftäter und auch schon anderweitig mit dem Gesetz in Konflikt geraten", erläutert Fastenmeier.
Laut Kirstin Zeidler, Leiterin der Unfallforschung der Versicherer, kann auch das Auto an sich eine enorme Anziehungskraft ausüben. "Es gibt Menschen, die sich stark über das Gefährt, das sie fahren, definieren. Sie verbinden damit ein Machtgefühl und ziehen einen gewissen Selbstwert daraus", sagt Zeidler. Das könne zu einer riskanten Fahrweise verleiten. Zwar handele es sich bei ihnen lediglich um eine Minderheit der Autofahrer, allerdings keine ungefährliche. "Viele überschätzen ihre Fähigkeit, das Auto im Griff zu haben, und unterschätzen die Gefahr."
Zudem seien die Fahrzeuge vielfach nicht nur hochmotorisiert, sondern auch geliehen. "Da muss man sich die Frage stellen, ob es richtig ist, dass manche Fahrzeugverleiher diese an sehr junge Menschen, teils noch Fahranfänger, verleihen", sagt Zeidler. Größere Anbieter haben eine Altersbegrenzung für PS-starke Leihfahrzeuge eingerichtet, eine gesetzliche Regelung gibt es diesbezüglich aber nicht.
Bei Rennen droht Haftstrafe
Seit 2017 existiert in Deutschland der sogenannte "Raser-Paragraf", der das Ausrichten von Rennen und die Teilnahme daran unter Strafe stellt. Auch wer ohne Kontrahenten rast, macht sich strafbar, wenn er "mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos" unterwegs ist, "um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen". Es drohen bis zu zwei Jahre Haft. Laut "Spiegel" führt das verstärkte Augenmerk zu mehr Verurteilungen: Die Zahl stieg von 103 im Jahr 2018 auf 1194 im Jahr 2022.
Wenn bei verbotenen Rennen Menschen sterben, kann aus Rasen sogar Mord werden. Erstmals fällten Gerichte im Fall der sogenannten "Ku'damm-Raser" ein Mordurteil. Zwei junge Männer hatten sich auf dem Berliner Kurfürstendamm ein Rennen geliefert, ein unbeteiligter 69-Jähriger starb. Ein Fahrer wurde nach mehreren Instanzen schließlich wegen Mordes, der andere wegen versuchten Mordes rechtskräftig verurteilt.
Verkehrspsychologe Fastenmeier hält die Wirkung von hohen Strafen jedoch für begrenzt. "Strafen wirken nur dort, wo sie direkt drohen. Illegale Autorennen lassen sich jedoch kaum überwachen - die mögliche Strafe ist dann nicht im Kopf der Raser", sagt er. "Wir sollten auch nicht wegen einer kleinen Gruppe von Rasern Millionen von Autofahrern mit eingebauten Tempobegrenzern oder noch mehr Blitzern behelligen. Das wäre unverhältnismäßig."
Zeidler sieht das anders: "Wir brauchen enge Kontrollen und konsequente Sanktionen. Das fängt bei normalen Blitzern und Polizeistreifen an, vorausgesetzt, darauf folgen dann auch harte Strafen." Aus der Verkehrspsychologie sei bekannt: Je früher die Täter erwischt werden, desto höher ist die Chance, psychologisch gegenzusteuern. "Daran müssen dann auch sozialarbeiterische und therapeutische Maßnahmen geknüpft werden."
Auch geliehene Autos sicherstellen?
Und sie sieht noch einen weiteren Weg, wie Strafen nachhaltig Wirkung entfalten könnten. "Die Behörden können die Fahrzeuge inzwischen einziehen, das geht auch bei geliehenen Wagen. Es gäbe zum Beispiel die Möglichkeit, diese für einen guten Zweck zu versteigern", erklärt Zeidler. Der Täter stünde dann in der finanziellen Schuld des Autovermieters. "Das tut schon mehr weh als eine überschaubare Geldstrafe und Führerscheinentzug allein. Das sollte häufiger gemacht werden, um vor allem vor Wiederholung abzuschrecken."
Wie häufig Fahrzeuge bundesweit eingezogen werden, ist nicht bekannt. Einzelne Länder führen aber Statistiken. Aus Nordrhein-Westfalen heißt es: "Im letzten Jahr haben wir wegen des Verdachts auf ein Rennen 663 Fahrzeuge sichergestellt und genauso viele Führerscheine", so jüngst NRW-Innenminister Herbert Reul. "Ich bin davon überzeugt, auch das schreckt ab."
Noch scheint die allgemeine Abschreckung aber auszubleiben. Nur eine halbe Autostunde entfernt von Ludwigsburg, auf der A81 bei Ilsfeld, lieferten sich ebenfalls am vergangenen Donnerstag zwei Personen ein Geschwindigkeits-Duell. Ein 25-Jähriger verlor laut Zeugen die Kontrolle und schleuderte quer über die Fahrbahn. Sein Fahrzeug prallte gegen einen Lkw, verletzt wurde niemand. Ohnehin sieht Experte Fastenmeier hinter den illegalen Autorennen ein größeres, gesamtgesellschaftliches Problem: "Wenn die Gesellschaft verroht, spiegelt sich das auch im Straßenverkehr wider."
Dieser Text erschien in anderer Form erstmals am 21. März 2025.
Quelle: ntv.de