Panorama

Bedarf steigt deutlich In Männerschutzhäusern in Deutschland herrscht Platzmangel

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René Pickhardt wurde Opfer häuslicher Gewalt.

René Pickhardt wurde Opfer häuslicher Gewalt.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die meisten Betroffenen von häuslicher Gewalt sind Frauen. Doch auch Männer sind mitunter die Opfer. Für diese fehlt bundesweit allerdings Schutzinfrastruktur in ausreichendem Maße.

In Deutschland übersteigt der Bedarf die vorhandenen Plätze in Männerschutzhäusern deutlich. 751 Männer haben sich demnach im Jahr 2024 bei einer solchen Einrichtung gemeldet. Das sind rund 41 Prozent mehr als im Jahr 2023 mit 533 Hilfesuchenden. Vor allem Frauen seien von häuslicher Gewalt betroffen, sagte die Sprecherin der Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz (BFKM), Annalena Schmidt, aber eben auch ein "nicht zu unterschätzender Teil männlicher Personen". Laut dem Lagebild zur häuslichen Gewalt des Bundeskriminalamts (BKA) waren im vergangenen Jahr rund 70 Prozent der Betroffenen weiblich und gut 30 Prozent männlich. Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus - bei allen Betroffenengruppen.

Von den 751 Hilfesuchenden fanden nach Angaben der BFKM 126 Männer Schutz in einer Einrichtung. 256 Schutzsuchende mussten wegen Platzmangels abgelehnt werden. 134 nutzten ausschließlich das Beratungsangebot. Die übrigen Männer konnten oder wollten nach der ersten Kontaktaufnahme keine weiteren Angebote in Anspruch nehmen.

Aufgrund von stereotypen Rollenbildern mag seine Geschichte viele Menschen überraschen, sagt René Pickhardt, der eigenen Angaben zufolge emotionale, körperliche und sexualisierte Gewalt von einer Frau erfahren hat. Das war vor etwa zehn Jahren. "Die Folgen der Gewalt waren für mein Leben natürlich gravierend", sagt der 40-Jährige, der heute für die BFKM von seinen Erfahrungen berichtet, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Staatlich finanzierte Gewaltschutzeinrichtungen gab es damals noch nicht. "Dadurch habe ich mich im Stich gelassen gefühlt und war auch sehr verzweifelt."

Der Fall Pickhardt steht beispielhaft für ein Thema, das aus Sicht des Vereins lange übersehen wurde: männliche Betroffene von häuslicher Gewalt. Während der Mathematiker damals kaum Anlaufstellen fand, wächst inzwischen das Netz an Hilfsangeboten. Aktuell gibt es in Deutschland 17 staatlich finanzierte Gewaltschutzeinrichtungen für Männer.

Partnerschaftsgewalt steht im Fokus

In den Einrichtungen ging es den Angaben nach in sieben von zehn Fällen um Partnerschaftsgewalt. Rund ein Viertel der Bewohner hat Gewalt innerhalb der Familie erfahren. In rund sechs Prozent der Fälle ging es um Gewalt, ausgehend vom sogenannten weiteren sozialen Nahraum, also etwa durch Mitbewohner, Nachbarn oder Freunde. In zwei Dritteln aller Fälle wurde die Gewalt demnach von Frauen ausgeübt. Der jüngste Bewohner der Schutzeinrichtungen war 18 Jahre alt, der älteste 82.

Die Mehrheit der 126 Männer gab an, mehr als eine Gewaltform erlebt zu haben. Ein Großteil (rund 88 Prozent) hat eigenen Angaben zufolge psychische Gewalt erlebt. Rund 71 Prozent berichten von körperlicher Gewalt, etwa 8 Prozent von sexualisierter Gewalt.

Viele Männer, die häusliche Gewalt erfahren, spielen die Situation herunter, sagt Krisenberater Tobias Schiefer vom SKM Bundesverband. Sie hätten stereotype Rollenbilder im Kopf, etwa dass ein Mann stark sein müsse und keine Schwäche zeigen dürfe. Schiefer erläutert: "Es ist schwierig zu sagen, ich bin Betroffener von Gewalt. Das bedarf Mut, egal welches Geschlecht."

In die Statistik flossen die Daten von 14 Einrichtungen mit insgesamt 48 Plätzen ein. Insgesamt gab es im Jahr 2024 deutschlandweit zwölf Einrichtungen mit 44 Plätzen speziell für Männer und drei geschlechtsunabhängige Einrichtungen mit fünf Plätzen. Zum Teil können Kinder mitgebracht werden. Sie liegen in Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen, vor allem in Großstädten. Dieses Jahr sind zwei neue Einrichtungen in Hamburg und Hannover hinzugekommen.

Rechtsanspruch nur für Frauen

Das Angebot reiche nicht, sagt BFKM-Sprecherin Schmidt. "Männer brauchen mehr Anlaufstellen in Deutschland", fordert sie. Jeder Mensch dürfe und sollte sich Hilfe suchen können und verdiene Schutz.

Der Bundesrat hat Anfang des Jahres dem Gewalthilfegesetz zugestimmt, das Frauen und ihren Kindern einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung gewährt. Länder werden damit künftig dazu verpflichtet, ausreichend Schutz- und Beratungsangebote zu schaffen - bislang nur für Frauen.

Pickhardt und die BFKM kritisieren das. "Wir dürfen die Männer nicht vergessen", sagt Pickhardt. "Ich weiß, dass ich kein Einzelfall bin, und deswegen ist es so wichtig, dass es flächendeckende Hilfsangebote und Opferschutz für alle Betroffenen, unabhängig von ihrem Geschlecht, gibt", sagt der 40-Jährige. Gemeinsam mit der BFKM fordert er, dass das Gesetz geschlechtsneutral formuliert wird.

Einen kleinen Erfolg hat Pickhardt durch sein Engagement bereits erzielt. Auf sein Wirken hin hat die Polizei Rheinland-Pfalz vor einigen Jahren einen Hinweis für Gewaltbetroffene auf ihrer Website angepasst. Aus "Täter" wurde "die Gewalt ausübende Person". Und anstatt nur auf Frauenhäuser weist die Polizei seitdem auch auf Gewaltschutzeinrichtungen für Männer hin.

Quelle: ntv.de, lme/dpa

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