Nicht nur der Torre dei Conti Italien bröckelt sein Kulturerbe weg
08.11.2025, 15:40 Uhr
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Der Einsturz des Turms kostete einen Bauarbeiter das Leben.
(Foto: picture alliance/dpa/LaPresse via ZUMA Press)
Anfang der Woche stürzt der Torre dei Conti in Rom ein. Wie an vielen historischen Bauten in Italien hatte es jahrelang keine Reparaturen an dem mittelalterlichen Wohnturm gegeben. Das liegt nicht nur an der hohen Zahl der historischen Bauten.
Zwölf Stunden haben die Bergungsarbeiten gedauert, bevor es gelang, Octav Stoirci zu befreien. Der aus Rumänien stammende 66-Jährige lag unter einem Berg von Geröll und Schutt des Torre dei Conti. Ein Turm aus dem Jahr 858, mitten in Rom, nicht weit von den Fori Imperiali, der am Montag um 11.20 Uhr teilweise einstürzte. Ein ohrenbetäubendes Getöse und eine riesige Staubwolke sorgten für Angst und Schrecken rundherum.
Der Torre dei Conti hatte schon etlichen Erdbeben standgehalten, auch mit wesentlichen Schäden. Von der ursprünglichen Höhe von 50 bis 60 Metern war er daraufhin auf 29 Meter geschrumpft. Eingestürzt war er aber nie.
Doch in den vergangenen 18 Jahren war der Turm unbewohnt geblieben und bis vor ein paar Monaten hatte sich niemand mehr um diesen Bau gekümmert. Jetzt sollte er aber Teil einer neu angelegten archäologischen Besucherroute werden. Daher die Sanierungsarbeiten und die Anwesenheit von fünf Arbeitern im Moment des Einsturzes.
Während vier schnell in Sicherheit gebracht werden konnten, erwies sich die Befreiung von Stoirci als kompliziert. Erst nach einer Stunde war man fast so weit, als es zum zweiten Einsturz kam. Ein neuer Berg von Schutt und Geröll fiel über den Mann. Um weitere Einstürze zu vermeiden, musste ab dem Moment jeder Handgriff genau überdacht werden. Als es gelang, Stoirci gegen Mitternacht aus den Trümmern zu ziehen, lebte er noch, starb jedoch kurz nach der Rettung.
Entweder Touristenmagnet oder zweitrangig
Italien ist auf seine Kulturschätze mächtig stolz. Immerhin verfügt das Land allein über 61 Unesco-Weltkulturerbestätten. "Unser Problem ist jedoch, dass wir uns meistens auf die bekanntesten Sehenswürdigkeiten konzentrieren", erklärt Francesco Erbani, Journalist und Autor des Sachbuchs "Lo stato dell'arte" auf Deutsch "Der Stand der Kunst" (Manni ed.). Die Instandhaltung von sehenswerten Bauten, die keine Tourismusmagneten sind, wie der Torre dei Conti, ist da zweitrangig.
Hier noch ein paar Beispiele, alle aus Rom. Vor knapp einem Monat kam ein Teil der Decke des Gefängnisses Regina Coeli, eines ehemaligen Klosters aus dem 17. Jahrhundert, herunter. Im November vor einem Jahr löste sich ein Teil des Frieses der San-Giacomo-Kirche und verfehlte nur knapp einen Touristen. 2022 bröckelte das Stadttor Porta Maggiore; ein paar Jahre davor stürzte ein halber Meter großer Tuffsteinbrocken in San Lorenzo auf den Boden und 2018 zerbröckelte ein Stück Mauer der Villa Mercedes. Alles Bauten, die einen historischen Wert haben, aber eben nicht der Trevi-Brunnen sind.
Wobei die Pflege des Kulturguts sogar im Grundgesetz verankert wurde. So steht in Artikel 9 unter anderem: "Die Republik [...] schützt die Landschaft und das historische und kulturelle Gut der Nation."
Ein Alltag von Kunst umgeben
"Viel befindet sich in den Museen, doch der Großteil dieses Erbes ist über das ganze Land verteilt", sagt Erbani. Wer in Italien lebt, hat also Tag für Tag damit zu tun, hat es immer vor den Augen, hat es verinnerlicht, und zwar so sehr, dass er es gar nicht mehr wahrnimmt oder die Geschichte, die dahintersteckt, gar nicht kennt. Zum Beispiel weiß nicht jeder, dass der Torrazzo in der lombardischen Gemeinde Cremona mit seinen 112 Metern Höhe, im Mittelalter der höchste Glockenturm in Europa war. Ein Cremona ohne Torrazzo könnte sich aber kein Einwohner der Stadt vorstellen. Genauso wie der historische Stadtkern nicht nur für Italiener, sondern für die Europäer generell ein unabdingbarer Teil einer Stadt ist.
Wie Erbani im Buch schreibt, liegen 46,9 Prozent des Stiefels unter der ein oder anderen Schutzklausel. Darunter sind auch Naturschutzbestimmungen. Hinzu kommen mehr als 100.000 Bauten, die unter Denkmalschutz stehen. Gemeint sind Palazzi, Festungen, Türme, Stadtmauern, Brunnen und vieles mehr. 75.000 davon sind in öffentlicher Hand.
Eine Onlinereise, die sich lohnt
Es ist keine leichte Aufgabe, diese Bauten regelmäßig zu kontrollieren und instand zu halten. Umso erstaunlicher ist es, dass Italien zu den EU-Ländern zählt, die am wenigsten in Kultur investieren. Erbani beruft sich auf die Daten des Nationalen Statistikinstituts ISTAT. Demnach lagen in Italien zwischen 2020 und 2021 die Ausgaben im Kulturbereich bei fünf Milliarden Euro. Frankreich und Deutschland ließen sich die Kultur im gleichen Zeitraum 16,6 und 15,3 Milliarden Euro kosten.
Wobei im Moment auch Gelder des EU-Wiederaufbaufonds Next Generation zur Verfügung stehen. Von den knapp 200 Milliarden Euro, die Italien zugesprochen bekommen hat, wurden 4,8 Milliarden dem Kulturbereich zugewiesen. Weitere 1,46 Milliarden Euro kamen aus der italienischen Staatskasse. Die damit finanzierten Projekte müssen aber bis spätestens Ende Juni 2026 fertig sein, wenn das EU-Projekt ausläuft.
Die NGO Italia Nostra, die sich seit ihrer Gründung 1955 dem Schutz und der Förderung des historischen, künstlerischen und ökologischen Erbes Italiens widmet, hat schon vor 10 Jahren die Plattform Lista rossa, die rote Liste, ins Leben gerufen. Auf dieser findet man, auch dank der Hinweise von Bürgerinnen und Bürgern, die Auflistung von 430 verlassenen und oft verwahrlosten Kulturgütern.
Und es lohnt sich, diese zu durchforsten. Wenngleich nur online, ist es eine faszinierende Reise durch Italien: vom Aquädukt aus der Römerzeit in Sizilien bis hin zur ehemaligen Sommerresidenz des Camillo Benso Graf von Cavour, Staatsmann und Ministerpräsident während des Königreichs Italien.
So mangelhaft die Instandhaltung auch sein mag, immerhin hat sich die Wertschätzung dieser Kulturgüter im Vergleich zu den 50er-und 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts radikal geändert, hebt Erbani hervor: "Dass der historische Kern einer Stadt intakt bleiben sollte, war damals kein Thema. Wenn nötig, zerstörte man den einen oder anderen historischen Bau, um eine Straße zu bauen."
Auch die angemessene Betreuung eines Unesco-Weltkulturerbes wie Pompeji musste erst gelernt werden. In den 1970er-Jahren setzte man vor allem auf weitere Grabungen, statt auf Pflege. "Wobei die Priorität eine andere hätte sein sollen. Man hätte darauf achten müssen, dass kein Wasser durchsickert, die Wandmalereien nicht ruiniert werden und es zu keinem Einsturz kommt. Fälle, die sich in der Vergangenheit ereignet haben, aber jetzt zum Glück nicht mehr", bemerkt Erbani.
Die neue Wertschätzung und somit die Instandhaltung haben aber auch mit dem Prinzip zu tun, dass gepflegt wird, was den Tourismus fördert. Und das galt nicht für den Torre dei Conti.
Quelle: ntv.de