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Shell-Studie 2024 veröffentlicht Jeder vierte junge Mann in Deutschland bezeichnet sich als rechts

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Im Schnitt steht die Jugend politisch noch immer leicht links. Der Zuspruch für rechte Positionen wächst allerdings unter jungen Männern.

Im Schnitt steht die Jugend politisch noch immer leicht links. Der Zuspruch für rechte Positionen wächst allerdings unter jungen Männern.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Das politische Interesse und Engagement der Jugend in Deutschland nimmt deutlich zu, so das Ergebnis der diesjährigen Shell Jugendstudie. Im Schnitt positionieren sich die Jugendlichen zwar weiterhin leicht links - eine auffällige Veränderung gibt es allerdings in der Gruppe junger Männer.

Die 12- bis 25-Jährigen in Deutschland sind politisch deutlich wacher als noch vor einigen Jahren. Das verdeutlicht die in Berlin vorgestellte Shell-Jugendstudie 2024. Demnach bezeichnen sich 55 Prozent der jungen Menschen als politisch interessiert. 2019 waren es noch weniger als die Hälfte der Befragten, 2002 lag der Wert sogar nur bei 34 Prozent. Mittlerweile informiert sich mehr als die Hälfte der Jugendlichen aktiv über Politik (2024: 51 Prozent, 2019: 36 Prozent). Zudem ist die Bereitschaft, selbst aktiv zu werden, deutlich gestiegen: 37 Prozent liebäugeln mit einem politischen Engagement, 40 Prozent mit einem gesellschaftlichen.

Die Studienautoren und -autorinnen gehen nicht davon aus, dass es sich dabei um einen kurzfristigen Effekt einer "vermeintlichen Generation Greta" handele. Im Gegenteil: Diese junge Generation sei "durch viele gesellschaftliche Krisen mitgeprägt worden", erklärt Co-Autor Ingo Leven im Gespräch mit ntv.de. "Deshalb setzen sie sich vielleicht auch früher als andere Generationen mit politischen Themen auseinander." Auch positioniere sich die jüngere Generation deutlich früher als noch vor fünf oder zehn Jahren. "Wenn man junge Menschen fragt: Wo ordnest du dich ein, links oder rechts oder eher in der Mitte, dann gibt es nur noch sehr wenige junge Menschen, die damit nichts anfangen können", sagt Leven.

Die politische Ausrichtung der Jugendlichen hat sich dabei in den vergangenen Jahren kaum verändert. Insgesamt stufen sich die 12- bis 25-Jährigen wie bereits 2019 als leicht links ein. Auffällig ist jedoch eine deutliche Veränderung bei den männlichen Jugendlichen: Rund ein Viertel der jungen Männer bezeichnet sich selbst als rechts oder eher rechts - 2019 waren es noch weniger als jeder fünfte. Unter den weiblichen Jugendlichen ordnen sich hingegen lediglich 11 Prozent dem rechten oder eher rechten Lager zu. Die Zahl blieb in den vergangenen Jahren relativ unverändert. Gleichzeitig ist bei den männlichen Jugendlichen aber auch der Anteil derjenigen, die sich eher links oder links positionieren, von 38 Prozent im Jahr 2019 auf 41 Prozent leicht gestiegen.

Enges Verhältnis zwischen Jugend und Staat

Junge Männer sind laut der Studie auch extremismus-affiner (20 Prozent) als ihre Altersgenossinnen (15 Prozent). Insgesamt hat der Anteil jener Jugendlichen, die sich Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele vorstellen können, leicht zugenommen. Noch deutlicher ist der Anstieg bei eher autokratisch-autoritären Positionen: Im Vergleich zu 2019 (33 Prozent) sind nun 44 Prozent der Jugendlichen der Meinung, dass "eine starke Hand mal wieder Ordnung in unseren Staat bringen" müsse. Auch hier belegt die Studie einen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Heranwachsenden: Während knapp die Hälfte aller jungen Männer (48 Prozent) der Aussage zustimmen, sind es bei den jungen Frauen 40 Prozent.

Trotz der durchaus verbreiteten kritischen Haltung zeichnet die Studie ein enges Verhältnis zwischen Jugend und Staat. Demnach sind etwa drei Viertel der Jugendlichen der Ansicht, dass Deutschland ihnen alle Möglichkeiten bietet, ihre Lebensziele zu verwirklichen. Sowohl der deutsche Sozialstaat als auch das Vertrauen in den Fortschritt werden weitgehend als positiv wahrgenommen, die große Mehrheit hält außerdem die öffentlich-rechtlichen Medien für (sehr) vertrauenswürdig. Ebenfalls drei Viertel der Befragten sind mit der Demokratie in Deutschland eher oder sogar sehr zufrieden. Eine Einschränkung gibt es im Unterschied zwischen West und Ost: Während die Demokratiezufriedenheit bei Jugendlichen im Westen mit 77 Prozent stabil ist, geht sie bei den Jugendlichen im Osten derzeit etwas zurück (60 Prozent).

"Wir sehen, dass eine große Mehrheit der jungen Menschen heute sehr positiv über Demokratie denkt und durchaus auch zukunftszugewandt ist. Es gibt aber einen nicht unwesentlichen Teil von jungen Menschen, die eher resigniert und verdrossen sind", ordnet Leven die Ergebnisse ein. Demnach zeichnen sich 12 Prozent der Jugendlichen durch ihre durchgängig kritisch-verdrossene Einstellung gegenüber Staat und Gesellschaft aus. Diese Jugendlichen sehen sich als benachteiligte Modernisierungsverlierer und sind leichter durch den Populismus erreichbar, heißt es in der Studie. Sie "positionieren sich konträr zu allem, was pluralisierten Lebensstilen entspricht". Erneut zählen "auffallend viele junge Männer" zu dieser Gruppe, ebenso wie Jugendliche mit eher niedrigerer Bildung sowie aus den neuen Bundesländern.

Ängste nehmen zu - Optimismus aber auch

Ein Geschlechterunterschied findet sich demnach auch bei "woken" Themen. Vielen jungen Frauen sind eine vielfältige, bunte Gesellschaft (72 Prozent zu 56 Prozent), Feminismus (59 Prozent zu 20 Prozent), und vegane Ernährung (21 Prozent zu 8 Prozent) deutlich wichtiger als Männern. Das Gendern lehnen insgesamt 40 Prozent der Jugendlichen ab, 20 Prozent sind dafür, mehr als ein Drittel sagt: "Ist mir egal".

Insgesamt attestiert die Studie der Jugend wie bereits in den vergangenen Jahren eine breite Toleranz gegenüber anderen Lebensformen und sozialen Gruppen (80 bis 95 Prozent). Trotzdem würde rund ein Fünftel der Jugendlichen eine geflüchtete Familie als Nachbarn ablehnen. "Interessant, wenn auch in diesem Zusammenhang weniger überraschend ist, dass eine syrische Flüchtlingsfamilie dabei auf größere Vorbehalte stößt als eine Flüchtlingsfamilie aus der Ukraine", heißt es in der Studie. Antisemitische Auffassungen haben demnach nicht zugenommen. Allerdings: Während insgesamt 8 Prozent Vorbehalte gegenüber jüdischen Nachbarn äußerten, waren es unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus muslimisch geprägten Regionen 16 Prozent.

Neben den politischen Einstellungen geht es in der Shell-Studie auch um die Ängste und Sorgen der Jugend. Dabei ergibt sich auf den ersten Blick ein durchaus konträres Bild: Die Sorgen und Ängste der 12- bis 25-Jährigen in Deutschland haben 2024 deutlich zugenommen - ihr Vertrauen in eine positive Zukunft aber auch. So schauen mit 56 Prozent so viele Jugendliche optimistisch auf die "Zukunft unserer Gesellschaft" wie noch nie zuvor seit 2002. "Junge Menschen sind sehr besorgt, aber pragmatisch und optimistisch zukunftsgewandt", erklärt Studienleiter Mathias Albert das Ergebnis.

80 Prozent fürchten Krieg in Europa

Auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus sagt: "Die 19. Shell Jugendstudie zeigt uns: Obwohl junge Menschen aktuell in sehr krisenhaften und kriegerischen Zeiten aufwachsen, bleibt die Mehrheit zuversichtlich." Den Autorinnen und Autoren zufolge ist die positive Sicht auch nicht mit Unwissenheit oder Naivität zu erklären. Vielmehr sind die Krisensymptome durchaus im Alltag der Jugendlichen angekommen. Dies drücke sich jedoch eher im rückläufigen persönlichen Optimismus aus.

So hat die Weltpolitik auch bei den jungen Menschen deutliche Spuren hinterlassen: Mehr als 80 Prozent der Jugendlichen fürchten einen Krieg in Europa. Kein anderes Thema bereitet den 12- bis 25-Jährigen mehr Sorgen. Die Themen Klimawandel und Umweltverschmutzung machen zwar weiterhin einer Mehrheit von zwei Dritteln der Jugendlichen Angst - allerdings weniger als noch 2019. "Durch die Situation im Nahen Osten und den Angriffskrieg von Russland in der Ukraine wird Krieg wieder so nah an die Jugend herangetragen wie schon lange nicht mehr", erklärt Leven. Klima und Umweltkrise spielen zwar weiterhin eine große Rolle, allerdings gehen viele Jugendliche davon aus, "dass das dicke Ende dort erst noch kommt".

Dabei zeigt sich die politische Meinungsstärke der jüngeren Generationen auch in Bezug auf ihr größtes Sorgenthema. "Junge Leute urteilen relativ klar", sagt Studienleiter Albert. 60 Prozent stimmen etwa der Aussage zu, dass Russland die Ukraine angegriffen hat und dafür bestraft werden muss. Nur 13 Prozent insgesamt - im Osten aber immerhin 21 Prozent - sehen dies anders. Auffällig ist hingegen, dass lediglich die Hälfte der Jugendlichen (50 Prozent) will, dass Deutschland die Ukraine militärisch unterstützt. Während es im Osten 44 Prozent sind, sprechen sich im Westen 52 Prozent dafür aus.

Kaum Angst vor Arbeitslosigkeit

In Bezug auf den Krieg in Israel und dem Gazastreifen hält es knapp ein Drittel für richtig, dass sich Deutschland an die Seite Israels stellt. Genauso viele lehnen dies ab. Dies spiegelt wider, wie Jugendliche auf die Frage antworten, ob Deutschland eine besondere Verpflichtung gegenüber Israel habe: ein Drittel sagt ja, ein Drittel nein, ein Viertel teils-teils. Soziodemografische Faktoren spielen hierbei eine Rolle: Jugendliche mit niedrigerem Bildungshintergrund sowie Jugendliche, die entweder selbst oder deren Eltern aus dem arabischen Raum oder der Türkei zugewandert sind, sehen seltener eine besondere Verantwortung Deutschlands. Demgegenüber fordern mehr als die Hälfte der Jugendlichen (52 Prozent), dass Deutschland das mit dem Gazakrieg verbundene Leid der palästinensischen Bevölkerung deutlicher anerkennen soll.

Neben militärischen Konflikten bereitet die aktuelle Wirtschaftslage sowie eine möglicherweise steigende Armut in Deutschland einem Großteil der Jugendlichen (67 Prozent) große Sorgen. Interessant ist allerdings, dass die Ängste offenbar nicht den eigenen Werdegang betreffen: Immer weniger Jugendliche haben Angst vor Arbeitslosigkeit oder davor, keinen Ausbildungsplatz zu finden. Während 2006 noch 66 Prozent von dieser Sorge getrieben waren, sind es 2024 nur noch 35 Prozent. "Das ist in unserer Zeitreihe ein historischer Tiefstand", betont Studienleiter Albert.

Hierbei liege der Zusammenhang mit den Erfolgen im Bildungssystem auf der Hand, sagen die Autorinnen und Autoren. Denn: Die Schülerinnen und Schüler werden von Generation zu Generation sicherer, die von ihnen angestrebten Abschlüsse zu erreichen. Unter den Schülern sind 92 Prozent (sehr) sicher, ihren Wunschabschluss zu erreichen, bei den Studierenden glauben sogar 95 Prozent daran, nach ihrem Abschluss schnell Arbeit zu finden.

"Bildung wird noch immer stark vererbt"

Allerdings spielt die soziale Herkunft hierbei nach wie vor eine entscheidende Rolle: Nur 27 Prozent der Jugendlichen, deren Eltern (höchstens) einen einfachen Schulabschluss haben, erreichen oder streben das Abitur an. Hat mindestens ein Elternteil Abitur, sind es 80 Prozent. "Bildung wird noch immer stark vererbt, wir schaffen es nicht, das zu durchbrechen", mahnt Leven. "Wenn wir als Gesellschaft nicht wollen, dass sich viele junge Menschen abgehängt fühlen, dann müssen wir hier definitiv ansetzen."

Befragt wurden 2509 junge Menschen der Jahrgänge 1998 bis 2012. Geschlechter, Jahrgänge, Migrationshintergründe, soziale Herkunft, Bildungsstand und weiteres wurden laut den Autorinnen und Autoren repräsentativ berücksichtigt.

Quelle: ntv.de, spl

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