Panorama

Der Denglische Patient Leak mich!

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Undichte Stellen -  der jüngste Taurus-Abhörskandal sorgt für großen Wirbel.

Undichte Stellen - der jüngste Taurus-Abhörskandal sorgt für großen Wirbel.

(Foto: IMAGO/Christian Ohde)

Alle sprechen von "hybrider Kriegsführung" - und das zumeist mit einer ziemlich hybriden Sprachführung. Denn wenn es operativ und im schlimmsten Fall kriegerisch wird, kommt unsere deutsche Muttersprache nicht mehr ohne englische Lehnwörter aus. Zum Beispiel ohne "das Leak".

Hört man sich die wahlweise als "Leak" oder "geleakter Mitschnitt" bezeichnete Unterredung der deutschen Luftwaffenführung an, drängt sich einem als Sprachkolumnist zunächst der englische Ausdruck "Clusterfuck" auf - für den es allerdings mit "riesengroße Scheiße" eine deutschsprachige Entsprechung gibt.

Sie bestätigt nebenbei, was auf linguistischen Konferenzen gerne als anschaulicher Gag, Joke oder Witz dient: Wo die englischsprachige Welt mit der Kopulation flucht, greifen wir zu Fäkalien …

Erst seit 2020 im Duden

Unterdessen kann man nicht davon ausgehen, dass es für "das Leak" oder für "leaken" eine exakte Übersetzung ins Deutsche gibt. Umso mehr verblüfft es, dass der Duden die sprachlichen Leihgaben erst seit der 28. Ausgabe führt - also seit 2020.

Vielleicht liegt es daran, dass sich nicht viele Menschen über undichte Stellen freuen. Ganoven und Spione ausgenommen, fallen mir nur zwei Berufsgruppen ein: Dachdecker und Journalisten. Bedauerlich ist dabei aus Sicht der journalistischen Zunft, dass die Handwerker wahrscheinlich mehr verdienen, jedenfalls auf den Stundenlohn heruntergerechnet. Das goldene Handwerk wird wiederum einräumen, dass ein handfestes Datenleck für Journalisten mehr Überraschung und Abwechslung bringt. Ein undichtes Dach ist dagegen nur ein alter Hut.

Wann wird ein Loch zum Leck?

Doch über die Beschaffenheit der austretenden Daten hinaus ist da noch etwas anderes, was die undichte Stelle für Medienmenschen zur Herausforderung macht: die Semantik! Es ist schließlich gar nicht so einfach, in unserer Muttersprache darüber zu schreiben oder zu sprechen, wenn ein Bündel Informationen oder ganze Gesprächsmitschnitte aus Behörden oder Unternehmen austreten und Redaktionen zugespielt werden.

Was ist es nämlich? Eine "Undichtigkeit"? Ein "Loch"? Für mein Sprachgefühl treffen es die schon genannten Begriffe "undichte Stelle" oder "Leck" am besten. Schließlich beschreiben sie nicht nur einen Zustand, sondern auch einen Vorgang. Erst der Ausfluss von etwas macht das Loch zum Leck. Man sagt: Der Behälter oder das Rohr leckt - und meint das, was Rheinländer "am Lecken" nennen und was im Englischen die Verlaufsform ausmacht: "The BMVg is lecking" (Achtung! Denglisch!) Das bedeutet freilich nicht, dass man sagen würde: "Im Ministerium leckt es", "die Soundso-Abteilung im Ministerium leckt" oder gar: "Information tritt aus". Ist die undichte Stelle einmal ausgemacht, gesichtet und ausgewertet, stellt sich für leckgeile Berichterstatter also die Frage nach einem passenden Verb. Eines, das nicht pornös, sondern ausreichend anständig klingt!

In der FAZ stand "Leak" schon 1950

Das Problem: Wörter können Wertungen, Unterstellungen oder (Vor-)Verurteilungen mit sich bringen. Zum Beispiel: Die Daten wurden "durchgestochen", "vertraulich weitergegeben", "verraten" oder "veruntreut". Besser würde mir eine Betonung der journalistischen Arbeit gefallen: "aufgedeckt" oder "enthüllt". Andere gängige Formulierungen wirken zu blutleer - als seien keine Menschen beteiligt und als hätten sich die Daten verselbständigt, indem sie "durchsickern", "bekannt werden" oder "auffliegen".

An diesem Punkt kommt uns die englische Sprache gelegen, in der bereits seit den 1940er-Jahren von "leaks" und "leaking" die Rede ist - wenn eben eine Quelle im übertragenen Sinne leckt. Schon 1950 wurde "ein Leak" in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" als "Durchsickern an die Presse" erklärt. Auch damals gab es schon Leute vom Typ Edward Snowdens, die heute auch "Whistleblowers" genannt werden: geheime Informanten.

Seitdem ist niemand auf die Idee gekommen, die geheimen Informationen als geleckt und die Informanten als "Lecker" zu bezeichnen. Denn was im Deutschen wie geleckt ist, hat keinen Makel. Und wer leckt, ist entweder ein Kind am Eis oder es hat einen anrüchigen, um nicht zu sagen, pornösen Beigeschmack. Mit anderen Worten: Seriöse Enthüllungen verlangen ein seröses Wort. Das recht künstlich klingende englische Verb "leaken" ist deshalb wohl der beste Ausdruck dafür, wonach investigative Journalisten ständig suchen: nach perfekten Daten. Ein Tropf, der scheinbar ruft: Leck mich!

Quelle: ntv.de

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