Panorama

Schiefes Orchester und Koka-Blätter Morales bereitet Papst schrägen Empfang

Franziskus, Evo Morales (r.) und jede Menge Kinder: Herzlicher Empfang am Flughafen El Alto.

Franziskus, Evo Morales (r.) und jede Menge Kinder: Herzlicher Empfang am Flughafen El Alto.

(Foto: REUTERS)

Papst Franziskus kommt dem Himmel so nah, wie selten zuvor: In Bolivien setzt er seine Südamerikareise auf 4000 Metern Höhe fort. Dort trifft er auf den Präsidenten Morales, der ihn auf seine eigene Weise willkommen heißt.

Sichtlich wacklig verlässt Papst Franziskus den Flieger, kein Winken zu den zigtausenden Menschen am Flughafen von El Alto. Hier auf 4000 Meter Höhe ist die Luft dünn und der Sauerstoff knapp, da ist schon mancher umgekippt. Zudem fehlt dem Argentinier ein Teil des rechten Lungenflügels. Als zweiter Papst nach Johannes Paul II. (1988) betritt er am Mittwoch bolivianischen Boden.

Unten an der Treppe umarmt ihn sofort Präsident Evo Morales. Und der frühere Kokabauer hängt ihm einen Beutel mit Kokablättern um, die sollen gegen Erschöpfung und Höhenkrankheit helfen - seit der Inka-Zeit wird das "heilige Blatt" angebaut und gekaut. Bolivien wehrt sich gegen eine Gleichsetzung der Blätter mit Kokain und wirbt mit dem Slogan "Das Kokablatt ist keine Droge" für eine Legalisierung von Produkten wie Koka-Tee. Denn für die Herstellung von Kokain werden zum einen riesige Mengen an Blättern, vor allem aber diverse Chemikalien benötigt.

Bolivianische Hymne: Der Papst ist müde, Morales ergriffen.

Bolivianische Hymne: Der Papst ist müde, Morales ergriffen.

(Foto: REUTERS)

Doch Franziskus lässt die Blätter im Beutel. Während er mit dem Kokabeutel (Ch'uspa) um den Hals müde den militärischen Klängen lauscht, reckt Morales beim Abspielen der bolivianischen Hymne die linke Faust. Ein schräger Empfang. Noch dazu lässt die Militär-Kapelle blecherne, schiefe Klänge ertönen. Später geht es dann runter in das auf 3600 Meter gelegene La Paz, zunächst über eine Staubpiste, ein beeindruckendes Bild in der Dämmerung, das weiße Papamobil strahlt. In der Haut der nebenherlaufenden Sicherheitsleute möchte man nicht stecken, in der Höhe führt schon schnelleres Gehen schnell zu Schnappatmung.

"Ihr seid nicht vergessen"

Hunderttausende säumen die Straßen, singen - viele hatten in Zelten entlang der Strecke übernachtet. In einer Kurve der einzigen Autobahn Boliviens erinnert der Papst an einem Mahnmal an Luis Espinal, der die Verbrechen der Militärdiktatoren anprangerte und 1980 mit 17 Schüssen getötet wurde. Wie Franziskus ein Jesuit. Wo er auftaucht, wird der 78-jährige Argentinier auf dem katholischen Kontinent, seiner Heimat, frenetisch gefeiert. In La Paz war der Tag seines Besuchs zum Feiertag erklärt worden. Immer wieder betont er die Bedeutung der Familie, des Miteinanders, fordert ein Ende der Ausbeutung von Bodenschätzen und geißelt die Boshaftigkeiten der Welt. All die Konflikte seien Ausdruck eines Individualismus, "der uns trennt und uns gegeneinander stellt".

Hoffnung, Ihr seid nicht vergessen - und das Signal an die linken Regierungen, niemanden auszuschließen oder zu unterdrücken, das sind seine Botschaften. Neben landestypischen "Produkten" wie Kokablättern und Lama-Föten gibt es in La Paz zum Besuch ein reiches Sortiment an Papa-Devotionalien. Für einen Boliviano (13 Cent) war die "Biografia Completa" zu erstehen: Vier Seiten.

Franziskus in der Kathedrale von La Paz.

Franziskus in der Kathedrale von La Paz.

(Foto: AP)

Für einen ist die Visite besonders wichtig. Für Morales. Auf den riesigen Bannern, die Franziskus mit seinem Bild begrüßten, war auch Morales' Konterfei zu sehen. Mal klein. Mal ebenbürtig. Es gibt hier die zwei Gesichter des seit 2006 amtierenden ersten indigenen Präsidenten, der dank der Verstaatlichung etwa des Erdgassektors die Infrastruktur ausgebaut hat. In La Paz gibt es das größte innerstädtische Seilbahnnetz, mit dem die Menschen aus der Satellitenstadt El Alto entspannt runter nach La Paz fahren können, statt stundenlang in Bussen zu sitzen. Er umschmeichelt Franziskus als "Hermano" (Bruder), als "Papst der Armen" - kappte der Kirche aber Privilegien, Religionsunterricht in staatlichen Schulen wurde gestrichen. Das Verhältnis zu den Bischöfen ist konfliktreich, zumal er die Kirche 2009 verschwinden sehen wollte und wiederholt als Relikt des spanischen Kolonialismus geißelte.

Papst ja, Bischöfe nein

Viele Geistliche wittert Morales in Opposition zu sich. "Die bolivianische Regierung versucht, einen Keil zwischen die Bischofskonferenz und den Papst zu treiben", meint Markus Zander, Bolivien-Länderreferent beim Hilfswerk Misereor. Schon bei der Organisation des Besuchs preschte die Regierung vor, im Papamobil durfte Morales aber nicht mitfahren. Viele Bolivianer vermuten bald einen Anlauf von Morales für eine Verfassungsänderung, um über das bis 2020 laufende Mandat hinaus im Amt zu bleiben. Da kann die Nähe zu dem überaus beliebten Papst nicht schaden.

Einig sind sich beide, dass die Industriestaaten mehr tun müssen im Kampf gegen die gerade die Ärmsten treffende Erderwärmung. Die bolivianische Bischofskonferenz war an der jüngsten, als Alarmruf zu verstehenden Umwelt-Enzyklika des Papstes beteiligt. Bewusst war der Aufenthalt wegen der Höhe auf wenige Stunden begrenzt worden, bevor es weitergeht in das Tiefland nach Santa Cruz. Morales dürfte es nicht gelegen kommen, dass Franziskus dort die Gefangenensiedlung Palmasola besuchen wird, wo rund 5000 Gefangene - oft ohne rechtskräftiges Urteil - weitgehend sich selbst überlassen sind und kleine Kinder mit ihren Eltern in elenden Verhältnissen aufwachsen. Das wird ein Schlaglicht auch auf die Regierung werfen, das die Bilder aus La Paz trüben kann.

Quelle: ntv.de, Georg Ismar, dpa

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