Kritische Lage in den Kliniken Corona-Herbstwelle überrollt Bayern
02.11.2022, 12:07 Uhr (aktualisiert)
Kliniklage nach dem Oktoberfest 2022: "Die Situation ist ernst, und es wird noch schlimmer kommen."
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Das Oktoberfest ist vorbei, in Bayern steigen die Fallzahlen steil an, in den Krankenhäusern werden die Betten knapp. Gesundheitsminister Lauterbach spricht von einer "selbstgemachten Katastrophe". Das Infektionsgeschehen flammt jedoch nicht nur in München auf.
Im Süden Deutschlands droht die Pandemie-Situation aus dem Ruder zu laufen: In Bayern schnellt die Zahl der erkannten Coronavirus-Infektionen in der zweiten Oktoberwoche auffallend stark in die Höhe. Beobachter vermuten neben einen Zusammenhang mit Volksfesten wie dem Münchner Oktoberfest.
In den Krankenhäusern der bayerischen Landeshauptstadt führt der rapide Anstieg der Fallzahlen bereits zu massiven Belastungen. Dort kommen seit Tagen nicht nur wieder mehr und mehr schwere Covid-Fälle an. Ausfälle beim Personal sorgen zudem für teils gravierende Engpässe in der Versorgung. Wachsende Probleme melden auch Kliniken aus anderen bayerischen Regionen.
Hinweis: Daten und Infografiken werden laufend aktualisiert.

Ohne Maske im Bierzelt: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (li.) wünschte sich ein Fest der "Freude und Freiheit".
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War das Oktoberfest der Auslöser? Oder war die umstrittene Veranstaltung nur ein "Brandbeschleuniger" der Herbstwelle, wie Experten in München vermuten. Die Folgen im Gesundheitssystem sind so oder so bereits spürbar: Nach der Wiesn bewahrheiten sich die "Befürchtungen einer Welle an Notfallpatienten und dramatischer Personalausfälle", zitierte die "Süddeutsche Zeitung" aus einem Brandbrief des Betriebsrats der städtischen Krankenhausbetriebe. "Die Situation ist ernst, und es wird noch schlimmer kommen", heißt es in dem Schreiben an Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter.
Infektionswege und Ansteckungsorte lassen sich zwar nur in seltenen Fällen genau belegen. Im Fall München aber liegen Verbindungen zum weltgrößten Volksfest zumindest nahe. Kritiker hatten bereits im Vorfeld vor den offenkundigen Ansteckungsrisiken im Dunst der Bierzelte gewarnt. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte die Wiesn, die für die Stadt München auch erhebliche ökonomische Bedeutung hat, dagegen als Fest der "Freude und Freiheit" verteidigt. Demonstrativ ließ er sich zur Eröffnung ohne Maske ablichten.
Das Münchner Oktoberfest dauerte vom 17. September bis 3. Oktober. Die Stadt zählte in diesem Jahr insgesamt rund 5,7 Millionen Wiesn-Besucher, deutlich weniger als in Vor-Corona-Zeiten. 16 Tage lang feierten Einheimische und Touristen aus aller Welt bei Bier und Gesang bis in die Nacht, viele von ihnen im dichten Gedränge der 17 großen Festzelte. Verbindliche Test-Auflagen, Abstandsgebote oder eine Maskenpflicht gab es nicht.
Neun Tage nach Beginn der Massenveranstaltung begannen die Corona-Zahlen in München und Umgebung erkennbar zu steigen. Die Gesundheitsreferentin der Stadt München, Beatrix Zurek, erklärte zu diesem Zeitpunkt auf Nachfrage besorgter Medienvertreter noch, dass nicht nur die Infektionszahlen wichtig seien, sondern auch, wie es in den Krankenhäusern aussehe. Die Zahlen im Normal- und Intensivbereich hätten sich zwar noch oben entwickelt, "aber noch nicht so, dass man sich Sorgen machen muss".
Gut drei Wochen nach dem Wiesn-Start sieht es im Gesundheitssystem der bayerischen Landeshauptstadt ganz anders aus. Die "Gesundheit der Stadt München" sei durch die Belastung der Kliniken "gefährdet", twitterte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Er bezeichnete die Entwicklung als "selbstgemachte Katastrophe".
Für das Oktoberfest 2022 gab es "keine offiziellen Einschränkungen", wie es in den "Informationen für Wiesn-Besucher" heißt. Weder Impf- noch Testnachweise waren erforderlich. Corona, so schien es, spielte in dem Treiben keine Rolle. Das 187. Oktoberfest habe ein "entspanntes, gut gelauntes und junges Volksfestpublikum" angezogen, bilanzierte die Festleitung. Trotz des fast durchgehend nass-kalten Wetters habe auf dem Festgelände "gute Stimmung" geherrscht. "Die Gäste steuerten überwiegend die Indoor-Betriebe an."
Inzidenzwerte seit Herbst 2020
Die Münchner Kliniken seien "voll belegt und zunehmend auch überbelegt", heißt es in dem Brandbrief an OB Reiter. Mangels freier Kapazitäten könnten behandlungsbedürftige Patienten teils nicht mehr aufgenommen werden. Das hat auch Folgen für die Versorgung etwa von Unfallopfern oder Schlaganfallpatienten, die zur Not bis ins nächste freie Krankenhaus verlegt werden müssen.
Die Belegung mit Corona-Patienten in Münchner Krankenhäusern sei auf dem Niveau von Mitte Dezember 2021, bestätigte Klinikleiter Christian Unzicker der SZ die Lage. Damals war ganz Deutschland von der bisher härtesten Corona-Winterwelle betroffen. Unterschiede zur Situation damals seien jedoch "krankheitsbedingte Ausfälle bei den Mitarbeitenden mit Corona-Infektion und Isolation, eine erhebliche Anzahl von Ausfällen mit anderen Erkältungskrankheiten und das Fehlen von Maßnahmen im Rahmen eines Katastrophen-Falles, der durch die zuständigen Behörden diesmal nicht aktiviert ist".
Klinik-Belastung seit Herbst 2020
Die kritische Lage in den Krankenhäusern beschränkt sich längst nicht mehr nur auf den Großraum München: Für die Stadt selbst verzeichnete das Robert-Koch-Institut (RKI) zuletzt eine Sieben-Tage-Inzidenz von fast 1500, Tendenz stark steigend. Der Landkreis München liegt noch knapp unter 950. In Fürstenfeldbruck, westlich von München, sind es bereits 1840.
Wenig hilfreich war dabei zuletzt, dass die Zahlen der Behörden durch Wochenend- und Feiertagseffekte verzerrt wurden. Und: Wie hoch die Dunkelziffer der unerkannten Ansteckungen angesetzt werden muss, bleibt weiterhin unklar. Gezählt werden in der amtlichen RKI-Statistik weiterhin nur laborbestätigte Fälle. Für den Nachweis ist in der Regel ein aufwändiger und teils auch kostenpflichtiger PCR-Test erforderlich.
Das wahre Ausmaß der laufenden Ansteckungswelle ist damit schwer abzuschätzen. Die Inzidenzwerte liefern nur einen ersten groben Anhaltspunkt zur Einschätzung der Lage. Zum Vergleich: Bundesweit liegt diese Kennzahl bei 787,5 Neuinfektionen binnen sieben Tagen je 100.000 Einwohner. Nur aus dem Saarland melden die Gesundheitsämter höhere Fallzahlen als in Bayern.
Die kritische Situation in den Krankenhäusern beschränkt sich bei weitem nicht nur auf den Großraum München. Der Freistaat Bayern liegt in den RKI-Daten zum Fallaufkommen ebenfalls bereits weit über 1000. Die anlaufende Herbstwelle sorgt in immer mehr Regionen für Schwierigkeiten im Gesundheitssystem.
(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 11. Oktober 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de