Panorama

Attacke in Jobcenter in Neuss Polizei fordert Alarmknöpfe

Etliche Kollegen der getöteten Frau erlitten nach der Tat einen Schock.

Etliche Kollegen der getöteten Frau erlitten nach der Tat einen Schock.

(Foto: dapd)

Nach der tödlichen Messerattacke in einem Neusser Jobcenter sind die Hintergründe der Tat noch völlig unklar. Jedoch ist von einer Zunahme von An- und Übergriffen in Jobcentern die Rede. Die Gewerkschaft der Polizei fordert Konsequenzen - will Behörden aber nicht zu Festungen ausbauen.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat sich nach der für mehr Alarmknöpfe in den Jobcentern ausgesprochen. "In Einzelfällen wären mehr Alarmknöpfe eine gute Idee und wir sollten über eine verstärkte Kameraüberwachung nachdenken", sagte GdP-Chef Bernhard Witthaut der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Voraussetzung sei, dass es sich nicht um eine Beziehungstat handele.

Ein Übergriff wie in Neuss könne jedoch nicht generell verhindert werden. Zugleich sprach sich Witthaut gegen Sicherheitsschleußen an den Eingängen aus."Behörden zu Hochsicherheitstrakten zu machen, halte ich für den falschen Weg", sagte er. "Wir können nicht jede denkbare Situation durch bessere Technik absichern, sondern brauchen eine bürgernahe Verwaltung."

Keine Zwischentür im Büro

Auch die Sicherheitsmaßnahmen in dem Neusser Gebäude sollen auf den Prüfstand. "Man muss alles überdenken", sagte ein Sprecher der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Düsseldorf. Das Büro der 32-jährigen Mitarbeiterin hatte nach Angaben der Jobcenter-Leiterin keine Zwischentür, die eine Flucht oder schnelle Hilfe aus dem Nachbarbüro ermöglicht hätte. Auch gab es in dem Gebäude keinen privaten Sicherheitsdienst.

Das Opfer, eine junge Mutter, hatte noch am Tag vor ihrem Tod an einem Deeskalationstraining teilgenommen. Den Notfallknopf an ihrer Tastatur hatte sie nicht ausgelöst. Möglicherweise kam der Messerangriff so massiv und rasch, dass es der Frau nicht mehr möglich war, Alarm auszulösen.

"Man kann keine Beratung hinter Panzerglas führen", hieß es bei der Regionaldirektion NRW. Aber über Maßnahmen wie etwa Metallschleusen an den Eingängen wie an den Gerichten in NRW werde man nun diskutieren müssen. "Denkblockaden gibt es da nicht mehr."

"Verhindern lässt sich sowas nicht"

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) plant allerdings vorerst keine unmittelbaren Konsequenzen. "Wir müssen immer über die Sicherheit in unseren Dienststellen nachdenken", sagte das für Hartz IV zuständige BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt in Nürnberg am Rande der . "Ich bin aber auch der Meinung: Verhindern lässt sich sowas nicht, auch wenn man Sicherheitsvorkehrungen über das jetzt schon vorhandene Maße hinaus trifft", fügte Alt hinzu.

Ohnehin könne es wegen der unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten keine generellen Empfehlungen zur Sicherheit geben. "Einige Jobcenter sind Teil der Sozial- oder der Jugendämter", sagte Alt. Auch seien in denselben Gebäuden oft Firmen untergebracht. Die Sicherheit zu gewährleisten, obliege daher den jeweiligen Geschäftsführern der Jobcenter.

Nach Alts Angaben sind auch der Bundesagentur die genauen Hintergründe der Tat noch unbekannt. Hinweise auf die Motive des Täters erhoffe sich die BA-Führung von der örtlichen Staatsanwaltschaft. Der 52-Jährige mutmaßliche Täter war am Mittwoch bei einem unangemeldeten Besuch allein im Büro der Sachbearbeiterin, als er sie mit dem Messer attackierte. Ein Kollege des Opfers alarmierte die Polizei. Die 32 Jahre alte Frau starb später im Krankenhaus. Der Mann wurde in der Nähe des Jobcenters festgenommen. Die Mordkommission ermittelt.

"Das ist ein abscheuliches Verbrechen und durch nichts zu rechtfertigen", sagte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen in Berlin. Den Angehörigen und Kollegen des Opfers sprach die Ministerin ihr "tiefes Mitgefühl" aus. Gleichzeitig räumte sie ein, dass es keine hundertprozentige Sicherheit geben könne. Der persönliche Kontakt zwischen den Jobcenter-Mitarbeitern und ihren Kunden sei zwingend notwendig. Angesichts des tragischen Vorfalls werde die Bundesagentur für Arbeit ihr Sicherheitskonzept aber noch einmal überprüfen, sagte von der Leyen.

"Gesetzeslage provoziert Wut und Verzweiflung"

Nach Beobachtung der Deutschen Polizeigewerkschaft in Nordrhein-Westfalen nehmen An- und Übergriffe auf Beschäftigte von Jobcentern zu. Bei einer Befragung von 500 Mitarbeitern im Jahr 2009 habe jeder vierte angegeben, Opfer eines Übergriffs gewesen zu sein. Anlass seien häufig ablehnende Bescheide in Hartz-IV-Verfahren. Die komplizierte und oft schwer durchschaubare Gesetzeslage provoziere Wut und Verzweiflung.

Im Neusser Fall arbeitete das Opfer seit 2009 in dem Jobcenter. Die Frau sei Arbeitsvermittlerin für Arbeitslosengeld-II-Empfänger in einem Projekt für über 50-jährige Kunden gewesen, teilte das Jobcenter mit.

Der Vorsitzende der Jobcenterpersonalräte Uwe Lehmensiek sagte, die Situation in vielen Jobcentern sei durch Überlastung und Frust geprägt. Druck und Sparzwänge trügen zu aggressivem Kundenverhalten bei. Übergriffe könnten durch einen realistischen Betreuungsschlüssel und eine "vernünftige Personalausstattung" reduziert werden. Das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt, mahnte hingegen: "Nichts, aber auch gar nichts, rechtfertigt eine solche Handlungsweise."

Quelle: ntv.de, dpa

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