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Werte, Gemeinschaft, Musik Hat Taylor Swift, was die Kirche nicht mehr hat?

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Taylor Swift bricht mit der "Eras"-Tour eine Reihe von Rekorden. Auch das Fandome nimmt besondere Ausmaße an.

Taylor Swift bricht mit der "Eras"-Tour eine Reihe von Rekorden. Auch das Fandome nimmt besondere Ausmaße an.

(Foto: dpa)

Taylor Swift und ihre Fans haben eine kulturelle Bewegung erschaffen, die weit über Musik hinausgeht. Entstanden ist eine Gemeinschaft, die in ihrer Struktur etwas Religiöses hat. Bietet das Swiftie Fandome jungen Menschen etwas, was Konfession und Kirche ihnen nicht mehr geben kann?

Taylor Swift ist 13-fache Grammy-Gewinnerin, Milliardärin und Popikone. Eine besondere Ehre wurde ihr gerade vom Magazin "Times" zuteil, von dem sie als erste Popsängerin jemals zur Person des Jahres gekürt wurde. Vor ihr ging die Auszeichnung an Persönlichkeiten wie US-Bürgerrechtler Martin Luther King Jr, Altkanzlerin Angela Merkel oder 2022 an den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

"Times"-Chefredakteur Sam Jacobs begründete die Auszeichnung mit der Verbundenheit, die Swift im gespaltenen Amerika geschaffen habe. "Sie war nach viel Dunkelheit eine Quelle des Lichts und der glücklichen Momente. Träume, Gefühle und Erfahrungen von Menschen, insbesondere von Frauen, die sich übersehen und regelmäßig unterschätzt fühlen, hat sie gesehen und gewürdigt."

Der große Einfluss der Künstlerin zeigt sich sogar im Wahlkampf der bevorstehenden US-Wahlen. "Swift ist die Einzige, die Trump schlagen könnte", sagte Alyssa Farah Griffin, ehemalige Kommunikationsstrategin für Trump, erst kürzlich in ihrem Podcast. Bei der vorigen Wahl unterstützte Swift offiziell Joe Biden. Dieses Mal äußerte sich die Sängerin noch nicht.

Leidenschaft bis Obsession

Die Fangemeinde Swifts ist so eindrücklich, dass sie ihren eigenen Namen hat: die Swifties. Sie sind bekannt für ihre Loyalität und Leidenschaft bis hin zur Obsession. Ihnen scheint kein Weg zu weit und kein Ticket-Preis zu hoch. Auch auf Social-Media sind sie aktiv und unterstützen einander.

Wenn man sich auf Gemeinsamkeiten einigen müsste, dann wohl darauf, dass die Fans hauptsächlich weiblich und jung sind. So kam es auch, dass es beim Konzert in München Ende Juli trotz 74.000 Fans im Stadion und 40.000 im Olympiapark daneben, keine nennenswerten Übergriffe oder Eskalationen gab.

Das Ausmaß und die Intensität des Hypes um Swift werden häufig kritisiert. Es übersteige die Norm und sei obsessiv, geradezu fanatisch, heißt es dann. Tatsächlich zeigt der Grad an Hingabe interessante Parallelen zur Bedeutungssuche im religiösen Kontext. Laut dem Bertelsmann Religionsmonitor 2008-2017 ist in Deutschland der Wunsch nach Orientierung und Bedeutung groß. 50 Prozent der 18- bis 29-Jährigen glauben an eine höhere Macht oder einen persönlichen Gott. Religion und Kirche hingegen wird immer unwichtiger: Die Zahl der Jugendlichen, welche in die Kirche gehen oder konfessionellen Glauben praktizieren, liegt bei nur zehn Prozent.

Taylor Swift als höhere Macht?

Bietet das Swiftie Fandome das, was die Religion und die Kirche den jungen Menschen nicht mehr geben kann? Beim "Times"-Chefredakteur klingt es beinahe so: "Niemand sonst auf der Welt kann heute so viele Menschen so gut bewegen." Swiftie-Experte Jörn Glasenapp sieht es hingegen eindeutig nicht so. "Taylor Swift ist für ihre Fans keine Göttin", sagt der Professor an der Uni Bamberg ntv.de. Er hält Vorlesungen zu Taylor Swift und hat gerade ein Buch über das Fandome geschrieben. "Sie wirkt ganz und gar auf dem Boden geblieben und ist mit ihren Fans durch ein sehr starkes Nähe-Verhältnis verbunden. Mag sie auch noch so erfolgreich sein, die Swifties nehmen sie als eine von ihnen wahr." Das betonen auch ihre Fans: "Wir sind sie und sie ist wir", sagt eine 26-Jährige ntv.de.

Auch Swift scheint es wichtig, nahbar zu bleiben - trotz mehr als 60 Auszeichnungen und ihrer Millionärsfamilie. Bisher gibt es wenig Anzeichen dafür, dass sie zu einer klassischen Diva wird. Ihre Fans finden sich in den Beschreibungen der Sängerin von Liebe und Freundschaft wieder. "Sie singt den Soundtrack unseres Lebens", so ein Swift-Fan im Gespräch mit ntv.de. Doch es gibt auch Gegenstimmen bei den Anhängern. Ein Swiftie kritisiert die politische Schweigsamkeit der Sängerin: "Sie äußert sich nicht mehr. Weder zum Palästina-Konflikt noch zur US-Wahl oder ihren unzähligen Privatjet-Flügen. So sehr ich sie auch liebe, das finde ich moralisch schwierig."

Pilgerfahrten zu Swiftie-Mekka

Swift ist also keine Göttin für ihre Fans. Strukturelle Ähnlichkeiten zur traditionellen Religion wie Christentum lassen sich dennoch feststellen. Viele Swift-Fans besuchen mehrere Konzerte und treffen vorher Gleichgesinnte, die Shows der extrem erfolgreichen "Eras"-Tour werden oft als Pilgerreisen für ihre Fans beschrieben. Gelsenkirchen galt während der Konzerte als "Mekka" für Swifties.

Darin klingt Kritik an den Fans als irrationale religiöse Fanatiker mit. Glasenapp der selbst Fan ist, sieht es entspannter. "Es gibt ähnliche Strukturen, besonders was die Gemeinschaft betrifft, aber nichts Verstrahltes oder Übermäßiges." Von den Fans ist eher Begeisterung darüber zu hören, dass "die gemeinsame Liebe zu einer Person mit allen zu teilen und zu feiern unglaublich ist".

Aber tatsächlich laufen die Konzerte ähnlich ritualisiert ab wie Gottesdienste. Auch Glasenapp sieht zumindest erhebliche Ähnlichkeiten. "In gewisser Weise wird durch das gemeinsame Singen wie in der Gemeinde eine regelrechte Messe gesungen."

Freundschaftsarmbänder statt Kreuze

Die meisten Fans besitzen mehrere Armbänder.

Die meisten Fans besitzen mehrere Armbänder.

(Foto: dpa)

Swift verwendet in ihrer Musik und ihren Auftritten bestimmte Symbole und Bilder, die von ihren Fans nicht nur verstanden, sondern aufgegriffen und weiterverbreitet werden. Auch das könnte man als religiöse Ähnlichkeit verstehen. Ein besonderes Erkennungszeichen sind die selbst geknüpften Freundschaftsarmbänder.

Die Fans reagieren auf Songzeilen wie "So, make the friendship bracelets, take the moment and taste it" (übersetzt "Mach die Freundschaftsarmbänder, nimm dir einen Moment und koste ihn aus") in ihrem Song "You're On Your Own, Kid". Millionen Freundschaftsarmbänder werden auf der "Eras"-Tour geknüpft und getauscht. Swifties, die sich sonst nur über Social Media kennen, fühlen sich dadurch auf der ganzen Welt verbunden. "Eine deutlichere Symbolik gibt es nicht", meint auch Glasenapp. Auch die Zahl 13, als Swifts Glückszahl, ist überall.

Swifts Songtexte und Alben könnte man als moderne "Heilige Texte" sehen. Sie werden von ihren Fans analysiert, interpretiert und in der Gemeinschaft geteilt. Während bei Bibelstunden die Jesus zugeschriebenen Texte erörtert werden, wird bei den Swifties gemeinsam nach "Easter Eggs" gesucht: Versteckte Symbole und Bedeutungen, die einem entweder Hinweise auf Taylors Privatleben geben sollen oder aber für das eigene Leben. Swift selbst bestätigt die Vermutungen und Interpretationen selten - dafür tun es die Fans umso öfter.

Safe-Space im Taylorverse

"Ich bin seit 15 Jahren Fan und es ist vielleicht die Religion, die ich nie hatte", schwärmt ein Swiftie im Gespräch mit ntv.de. Aber sie "würde ihr nie blind folgen" und findet es wichtig, den eigenen Werten treu zu bleiben. Diesen werde Swift gerade nicht ganz gerecht. Viele Fans der Sängerin wünschen sich, sie würde ihren kommerziellen Erfolg mit einer klaren politischen Haltung verbinden.

Doch schon jetzt haben Swift und ihre Fans eine kulturelle Bewegung geschaffen, die weit über die Musik hinausgeht, und eine Gemeinschaft geformt, die in ihrer Intensität und Struktur Ähnlichkeiten zur traditionellen Religion aufweist. Die wohl wichtigsten Parallelen sind ein gemeinsames Wertesystem und Gefühle von Zugehörigkeit und Gemeinschaft.

Zwei Fans vor dem Stadium zeigen ihre Liebe zu Swift und der Community mit einem Herzen.

Zwei Fans vor dem Stadium zeigen ihre Liebe zu Swift und der Community mit einem Herzen.

(Foto: picture alliance / Photoshot)

Auch Fans beschreiben es immer wieder als "Safe-Space". Die Kulturwissenschaftlerin Svenja Reiner beschreibt das Gruppenbewusstsein der Fans als emotional, machtvoll und empowernd. Es sei eine Nähe und Zugehörigkeit, die unabhängig geografischer Grenzen besteht. Man könnte dies sicher um Klasse oder ethnische Zugehörigkeit ergänzen.

So wie die Kirche, laut Papst Franziskus, für "Gemeinschaft" steht und einen Wertekodex hat, haben ihn auch die Swifties. Sie heißen jeden willkommen, erklärt Glasenapp. "Das Taylorverse steht für Buntheit, Toleranz und Inklusion. Das ist es, was es so wahnsinnig sympathisch macht, insbesondere in einer Zeit, in der Akteure wie Putin, Trump oder die AfD so aggressiv auf Spaltung setzen."

Quelle: ntv.de

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