Alle Theorien zu Todesflug PS752 Technikproblem oder Raketenbeschuss?
11.01.2020, 00:02 Uhr
An Bord der Unglücksmaschine waren 176 Menschen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Experten und Politiker rätseln nach dem Absturz einer ukrainischen Boeing bei Teheran über die Ursache. Die iranischen Behörden sprechen von technischen Problemen, westliche Regierungen von einem Raketenabschuss. Die Wahrheit soll eine langwierige Untersuchung ans Licht fördern.
Flug PS752 geht am vergangenen Mittwoch kurz nach dem Start in Teheran in einem Feuerball auf. Angeführt von den USA melden mehrere westliche Länder Hinweise auf einen Raketenbeschuss - der beschuldigte Iran bestreitet das und führt einen technischen Defekt als Ursache an. Wir haben alle bisherigen Erkenntnisse zu Todesflug PS752 zusammengetragen.
Wann hob Flug PS752 in Teheran ab?
Die knapp vier Jahre alte Boeing 737-800 startete am Mittwochmorgen um 6.13 Uhr Ortszeit mit 176 Menschen an Bord vom Teheraner Iman-Khomeini-Flughafen in Richtung Kiew. Anschließend erhielt der Pilot die Freigabe, auf 26.000 Fuß (7925 Meter) zu steigen, um Funkkontakt mit der Flugsicherung in Mehrabad aufzunehmen. Fünf Minuten nach dem Abheben hatte der zweistrahlige Jet eine Höhe von knapp 8000 Fuß (2440 Meter) erreicht, als er nach einer Rechtskehre an Höhe verlor und vom Radar verschwand.
Einen Notruf der Besatzung gab es nicht. Augenzeugen am Boden und in der Luft meldeten anschließend, dass der Jet brennend in einen Park des Teheraner Vororts Sabaschar gestürzt ist.
Was sagt der Iran?
Die iranischen Flugsicherheitsbehörde CAO behauptet, dass die Maschine ein "technisches Problem" gehabt habe. Die Spuren an der Aufschlagstelle deuteten an, dass das Flugzeug zunächst Richtung Westen aus dem Airport-Luftraum ausflog, "aber nach einem technischen Problem nach rechts schwenkte und eine Flugspur hatte, die eine Rückkehr zum Flughafen anzeigte", steht im ersten Unfallbericht. Kurz nach dem Absturz sprach der Iran auch von einem Triebwerkproblem. Eine Boeing 737-800 lässt sich allerdings auch mit einem Triebwerk in der Luft halten. Laut iranischen Medien will das Land am Samstag mitteilen, was die Absturzursache war.
Welche Alternativ-Szenarien gibt es?
Für Unfallforscher Jan-Arwed Richter vom Flugsicherheitsbüro Jacdec war schon wenige Stunden nach dem Absturz durch Ansicht der Bilder klar: "Es sieht so aus, als wären Projektile durch die Außenhaut und die Tragfläche geschleudert worden - was immer das heißen mag."
Später tauchten Videos auf, die einen Blitz am Nachthimmel zeigten. In Verbindung mit Berechnungen des Flugwegs nährten sie den Verdacht, dass eine Rakete mit im Spiel war. Nach Kanada und Großbritannien gehen mittlerweile auch die USA davon aus, dass eine iranische Luftabwehrstellung die Passagiermaschine aus Versehen abgeschossen hat. US-Außenminister Mike Pompeo betonte aber, man müsse die Untersuchung abwarten.
Wie soll der Abschuss erfolgt sein?
Flugabwehrraketen explodieren meist in direkter Nähe ihres Ziels und richten mit einem Splitterregen aus Kleinst-Projektilen maximalen Schaden an. Die Regierung in Kiew hatte nicht ausgeschlossen, dass die Boeing von einer Rakete des russischen Typs "Tor" getroffen worden sein könnte. Der Verteidigungsexperte Franz Klinzewitsch im russischen Föderationsrat wies das zurück.
Wie soll die Absturzursache unabhängig geklärt werden?
Die iranische Luftfahrtbehörde CAO beruft sich bei ihrer Untersuchung auf Annex 13 des Chicagoer Abkommens der internationalen Zivilluftfahrtbehörde ICAO, dem der Iran 1950 beigetreten ist. Als Land, in dem der Absturz passierte, leitet es die Untersuchung. Es hat signalisiert, dass es auch Behörden aus der Ukraine, den USA, Schweden und Kanada beteiligen will. In der Regel erhalten bei solchen Untersuchungen Teams aus Ländern, in denen das Unglücksflugzeug gebaut und registriert wurde sowie aus Ländern, aus denen viele der Opfer kommen, Zugang zur Absturzstelle.
US-Finanzminister Steven Mnuchin versicherte mit Blick auf bestehende US-Sanktionen, die eine Beteiligung von ausländischen Experten erschweren könnten, dass sein Ministerium für jeden, der die Untersuchung unterstützen könnte, Ausnahmeregelungen erlassen werde. Die ICAO bestätigte den Erhalt des vorläufigen CAO-Ermittlungsberichts und warnte vor Spekulationen. Sie weist darauf hin, dass ein Abschlussbericht spätestens zwölf Monate nach dem Unglück vorliegen muss. Die Behörde nimmt normalerweise nicht an den Untersuchungen teil, kann aber als Beobachter hinzugezogen werden. Zugleich begann die langwierige Untersuchung der Flugschreiber der Boeing durch iranische und ukrainische Experten.
Gab es bereits irrtümliche Abschüsse von Verkehrsjets?
Ja. In Zeiten extremer Spannung und höchster militärischer Bereitschaft gab es immer wieder Abschüsse von Verkehrsflugzeugen. Der jüngste Fall stammt aus dem Jahr 2014: Damals wurde der malaysische Flug MH17 von eine Flugabwehrrakete über der Ostukraine getroffen. Auch der Iran war schon betroffen: Im Jahr 1988 schoss das US-Kriegsschiff "Vincennes" versehentlich einen iranischen Airbus ab.
Wie erkennen Radargeräte, ob es sich um Freund oder Feind handelt?
Militärflugzeuge haben ein sogenanntes IFF-System an Bord, das für die Erkennung von Freund oder Feind bestimmte automatische Signale sendet. Zivile Klein- und Großflugzeuge senden zur Identifizierung ebenfalls automatische Transponder-Codes, die ihnen von der Luftaufsicht zugeordnet werden. In der Theorie sind damit eigentlich Zweifel ausgeschlossen. In der Praxis ist es aber - gerade bei älteren Raketensystemen - nicht ausgeschlossen, dass ein ziviles Flugziel irrtümlich ins Fadenkreuz gerät.
Quelle: ntv.de, chr/dpa