Panorama

Epidemiologe im Interview "Über Lockerungen zu sprechen, ist verfrüht"

Für Lockerungen ist es zu früh - der Peak der Welle kommt erst noch, sagte Epidemiologe Ulrichs bei ntv.

Für Lockerungen ist es zu früh - der Peak der Welle kommt erst noch, sagte Epidemiologe Ulrichs bei ntv.

(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)

Noch ist der Peak der Omikron-Welle nach Ansicht von Epidemiologe Ulrichs nicht erreicht. Über Lockerungen, so wie nun von FDP vorgeschlagen, könne man ab Mitte Februar reden. Bis dahin kommt es darauf an, den Fokus nun auf die Krankenhaus-Belegung zu richten.

ntv: Die Dunkelziffer der Infektionen scheint immer größer zu werden. Was wissen wir über die aktuellen Zahlen?

Timo Ulrichs: In einigen Bundesländern sind die Zahlen so hoch, dass man auch mit den Antigenen-Schnelltests an Grenzen stößt. Deswegen bekommen wir aus vielen Ecken Deutschlands zu niedrige Zahlen. In anderen Gegenden ist es noch so, dass wir es vergleichen können mit der Situation von vor einigen Wochen, als wir ganz regulär getestet und gemessen haben. Wir müssen uns darauf einstellen, dass das jetzt immer ungenauer wird. Doch das ist gar nicht so schlimm, weil wir davon ausgehen, dass die Neuinfiziertenraten sehr, sehr hoch sein werden und noch weiter steigen werden, bis wir den Peak erreichen. Wichtiger ist die Kombination der Infiziertenrate mit der Hospitalisierungsrate. Und da sehen wir dann ein wahres Bild: Wie die Omikron-Welle auf unser Gesundheitswesen durchschlägt.

Wann bekommen wir denn die Pandemie beherrscht, welche Zahlen und Werte sind da wichtig?

Natürlich sollten wir die Neuinfiziertenzahlen weiterhin im Blick behalten, das ist der Frühparameter für Veränderungen. Aber natürlich sind alle die Informationen wichtig, die uns Auskunft geben über die Belastung unseres Gesundheitswesens. Vor allem die Hospitalisierungsrate, die zwar immer etwas nachhängt, aber ein Parameter ist für die Belastung der Krankenhäuser. Wichtig ist auch die Belegung der Intensivbetten mit Covid-19-Patienten.

Die Häufigkeit von Arztbesuchen wird mittlerweile vom RKI als Faktor hinzugezogen. Aktuelle Daten zu Patienten aus den Normalstationen haben wir aber immer noch nicht. Wie problematisch ist das?

Ein Meldesystem zur Krankenhaus-Belegung wäre sinnvoll, sagt Epidemiologe Ulrichs bei ntv.

Ein Meldesystem zur Krankenhaus-Belegung wäre sinnvoll, sagt Epidemiologe Ulrichs bei ntv.

(Foto: ntv)

Ein Meldesystem, das zeigt, wie viele Covid-19-Patienten neu aufgenommen wurden, ist natürlich wichtig. Es ist so, dass zunächst die Neuinfiziertenzahlen steigen und etwa zwei bis drei Wochen später auch die Zahlen der Krankenhauseinweisungen und noch einmal später die Belegung der Intensivstationen. Es wäre natürlich gut, könnten wir auf tagesaktuelle Werte zurückgreifen. Das ist in vielen Fällen leider nicht der Fall. Das ist misslich, aber immerhin kann man mit den gemeldeten Zahlen die Situation einigermaßen abschätzen.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagt, wenn die Krankenhäuser der Omikron-Variante gut standhalten, dann können wir bald über Öffnungen sprechen. Würden Sie dem zustimmen?

Bald ist relativ. Noch haben wir einen Anstieg der Infektionszahlen. Und wir können noch immer nicht abschätzen, was noch auf uns zukommt. Wir können nur ziemlich sicher sagen, es ist noch nicht das Ende. Was wir jetzt sehen, ist der Beginn. Mehr Menschen müssen ins Krankenhaus und es ist unklar - vor allem mit dem Ausfall von Krankenhauspersonal durch Quarantäne oder Isolation -, wie das Ganze zu handhaben ist. Eine Stellschraube wäre zu versuchen, die Ausbreitung der Omikron-Variante noch etwas abzubremsen, durch die Maßnahmen, die gerade eingesetzt sind und möglicherweise durch ihre Verschärfung. Jetzt über Lockerungen zu sprechen, ist verfrüht. Wir sind noch nicht über den Peak hinaus. Ab Mitte Februar können wir in der Tat über Lockerungen sprechen, wenn wir auf der abnehmenden Seite der Omikron-Welle sein werden.

Haben wir mit dem Booster auch langfristig einen Schutz?

Ja. Erst nach der dritten Impfung haben wir einen vollständigen Immunschutz. Und der wirkt auch gut gegen die Omikron-Variante - auf jeden Fall gegen die klinischen Verläufe und zum Teil auch gegen die Infektionen und damit die Weitergabe. Vollständig Geimpfte, im Sinne von dreimaliger Impfung, tragen aktiv dazu bei, dass wir die Welle in den Griff bekommen. Deswegen ist das Boostern jetzt sehr wichtig und natürlich vor allem bei den ganz alten Menschen, deren letzte Impfung jetzt auch schon etwas her ist. Man könnte, um es noch sicherer zu machen, bei ihnen sogar eine vierte Impfung in Erwägung ziehen.

Die Covid-Pille Paxlovid wurde zugelassen. Welche Rolle wird das spielen?

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Das ist ein Medikament, um schwere Verläufe abzumildern. Das ist eine sehr, sehr gute Nachricht. Allerdings ist es kein Gamechanger. Es bleibt dabei, dass solche Medikamente gegen virale Infektionen immer nur ein bisschen helfen, anders als Antibiotika, die bakterielle Infektionen tatsächlich abstellen können. Es ist ein zusätzliches Instrument, aber es ist kein Ersatz für eine Impfung, mit der man das Immunsystem so gut aufstellt, dass die Viren gar nicht in die Lage kommen und sich in den Körperzellen vervielfältigen zu können.

Mit Timo Ulrichs sprach Vivian Bahlmann

Quelle: ntv.de

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