Erstmals vom RKI untersucht Warum Migranten seltener geimpft sind
03.02.2022, 16:50 Uhr
"Eine einfache Differenzierung 'Migrationshintergrund ja/nein' reicht nicht, man muss dahinter schauen", erklärt RKI-Forscherin Wulkotte.
(Foto: picture alliance/dpa)
Zum ersten Mal hat das RKI Daten dazu erhoben, wie die Impfbereitschaft bei Menschen mit Migrationsgeschichte ist. Es zeigt sich, dass die Impfquote bei dieser Gruppe tatsächlich niedriger ist. Für die Bundesregierung und ihr verpasstes Impfziel ist das vielleicht sogar eine gute Nachricht.
Menschen mit Migrationsgeschichte haben eine leicht geringere Impfquote als der Rest der Bevölkerung. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Untersuchung des Robert-Koch-Instituts (RKI) im Rahmen der "COVIMO-Studie". Erstmals wurde dort die Impfbereitschaft von jeweils 1000 Menschen mit und ohne Migrationshintergrund verglichen und mit Fragen auf Deutsch, Arabisch, Türkisch, Russisch, Polnisch und Englisch untersucht. Eine der Erkenntnisse: Der RKI-Erhebung zufolge liegt die Impfquote bei der Gruppe mit Migrationsgeschichte um acht Prozentpunkte niedriger.
Auf den ersten Blick scheinen sich damit bisherige Annahmen zu bestätigen. Ganz so einfach ist das allerdings nicht. Denn die Daten zeigen auch: Es ist nicht die Migrationsgeschichte, die für den niedrigeren Wert verantwortlich ist. "Eine einfache Differenzierung 'Migrationshintergrund ja/nein' reicht nicht, man muss dahinter schauen", erklärt RKI-Forscherin Elisa Wulkotte, die an der Erhebung beteiligt war, in einem Online-Pressegespräch des Mediendienstes Integration. Dafür sei der Begriff "Mensch mit Migrationsgeschichte" zu vielfältig.
In Deutschland leben Menschen, die als sogenannte Gastarbeiter gekommen sind und seit 60 Jahren hier ihre Heimat haben. Sie kennen das Gesundheitssystem, weil ihre Kinder alle Vorsorgeuntersuchungen durchlaufen haben. Genauso können Menschen mit Migrationshintergrund aber auch Personen sein, die vor kurzer Zeit aus einem Kriegsgebiet fliehen mussten, in dem es keinen funktionierenden Staat und kein Gesundheitssystem gab.
Was ist das Problem?
Die Daten des RKI deuten sehr deutlich darauf, welche Faktoren die Impfbereitschaft wirklich beeinflussen. Wer der Impfung und dem deutschen Gesundheitssystem vertraut, holt sich auch wahrscheinlicher die Spritze ab. Außerdem entscheiden auch soziale Faktoren, etwa Einkommen und Bildung. "Je älter die Person ist, desto eher ist sie geimpft", erklärt RKI-Forscherin Wulkotte. In der Gruppe von 18 bis 29 Jahren mache es für die Impfquote keinen Unterschied, ob es einen Migrationshintergrund gibt oder nicht.
Die RKI-Erhebung zeigt aber auch, dass diejenigen, die im Gesundheitswesen diskriminiert wurden, sich seltener impfen ließen. Etwa die Hälfte der Menschen mit Migrationsgeschichte, die solche Erfahrungen gemacht haben, hätten als Grund ihre Herkunft, ihren Namen, ihren Akzent oder ihr Aussehen angegeben. "Uns allen ist klar, dass Diskriminierung ein gesamtgesellschaftliches Problem ist", sagt RKI-Forscherin Wulkotte. Das kann auch Mosjkan Ehrari aus der Praxis bestätigen. Sie arbeitet bei Handbook Germany. Dort wird Menschen geholfen, die erst jüngst nach Deutschland gekommen sind. Viele berichteten, dass sie aufgrund ihrer Sprachkenntnisse beim Arzt oder einer Hotline abgewimmelt würden. Gerade, wenn sich jemand wegen einer Impfreaktion meldet, kann das problematisch werden.
Ähnliche Ergebnisse sieht auch Doris Schaeffer in ihrer Forschung. Nicht der Migrationshintergrund entscheide, ob sich jemand impfen lässt, sondern die Lebensumstände. Die Gesundheitswissenschaftlerin untersuchte an der Universität Bielefeld die Gesundheitskompetenzen von Menschen mit Migrationsgeschichte. Ihre Studie zeigt, dass die Fähigkeit von Menschen mit Migrationshintergrund, mit Gesundheitsinformationen umzugehen, mindestens genauso gut ist wie im Rest der Bevölkerung - wenn nicht sogar besser. Schaeffers Erklärung für die dennoch niedrigere Impfquote: "Schlicht und einfach: Weil sie die Informationen seltener erreichen."
Denn beim Thema Kommunikation treten die Probleme der deutschen Impfkampagne zutage. Es gebe zu wenig zielgruppenorientierte Informationen, sagt Schaffer. Erst vergangene Woche stellte Kanzler Olaf Scholz eine neue Plakatkampagne vor. Das Motto "Impfen hilft!" stößt in der Expertenrunde auf wenig Begeisterung: "Mit solchen allgemeinen Aufrufen erreicht man gar nichts", sagt beispielsweise Ehrari. Und auch Schaeffer ist sicher: "Wir brauchen keine allgemeinen Kampagnen." Vielmehr müsse man kreativer vorgehen - auch, um Falschinformationen entgegenzuwirken. "Selbst Menschen, die Deutsch als Muttersprache sprechen, haben große Probleme, Informationen zu verstehen, die zur Verfügung gestellt wurden", sagt Kay Bultman, der Leiter der Bremer Impfkampagne.
Vorbild Bremen
Dafür, wie man es besser macht, ist Bremen das beste Beispiel. Der Stadtstaat ist bundesweiter Spitzenreiter bei den Impfquoten. Dort wurde das getan, was die Experten seit Langem bundesweit fordern: eine zielgruppenorientierte Kampagne. Den Bremer Erfolg erklärt Impfkampagnen-Leiter Bultmann mit verschiedenen "kleinen Bausteinen". Beispielsweise wurden Impfzentren in Bezirken errichtet, die "sonst nie erreicht" würden. Bei Abendveranstaltungen hätten sie Quartiersmanager und Menschen aus Glaubensgemeinschaften über Falschinformationen aufgeklärt. Gesundheitsfachkräfte, die über die Impfung informiert haben, seien "nicht irgendwelche Boten" gewesen, sondern mehrsprachig und ausgebildet. Und wer beispielsweise eine Impfeinladung für seine Kinder hat, darf mit dem öffentlichen Nahverkehr kostenlos ins Impfzentrum fahren.
Für die Bundesregierung sind die RKI-Ergebnisse zur Impfbereitschaft von Menschen mit Migrationshintergrund trotz allem vielleicht sogar eine gute Nachricht. Denn das selbst gesetzte Ziel, dass bis Ende Januar mehr als 80 Prozent der Bevölkerung erstimmunisiert sein sollen, wurde krachend verpasst. Die noch fehlenden Prozentpunkte könnten aber bei diesen bisher als Problemgruppe wahrgenommenen Menschen durchaus erreicht werden. Denn unter den Ungeimpften ist in dieser Gruppe die Impfbereitschaft deutlich höher. Auch darin ist das Ergebnis der RKI-Erhebung eindeutig.
Quelle: ntv.de