20 Jahre "Kleinanzeigen" "Was letzte Preis?" und die Revolution der Konsumkultur


Ein Foto hochladen, den Artikel beschreiben und hoffen, dass jemand genau das braucht und nett ist - das ist die Kleinanzeigen-Erfahrung.
(Foto: picture alliance / dpa-tmn)
Im Februar 2025 erscheint auf "Kleinanzeigen" die drei-milliardste Anzeige - ein Windbreaker aus Neubrandenburg. Was 2005 als Kijiji startete, ist heute ein kulturelles Phänomen mit eigener Sprache und eigenen Gesetzen.
Die Geschichte beginnt 2005, als eBay mit 16.000 Anzeigen das Portal Kijiji in Deutschland launcht. Der Name stammt aus der Sprache der Suaheli und bedeutet "Dorf" oder "Zeltstadt" - für die Verantwortlichen damals ein passender Begriff für das, was da entstehen sollte. Nach einem Relaunch 2009 wird aus Kijiji "eBay Kleinanzeigen", bis 2021 der Verkauf an die Adevinta-Gruppe erfolgt und das Portal 2023 schließlich zum heutigen "Kleinanzeigen" wird.
Die Wurzeln des digitalen Gebrauchtwarenhandels reichen weit zurück. In den 90er Jahren entsteht in Kalifornien, im Silicon Valley, in einer Garage eBay und wird zum Weltkonzern. Besonders in Deutschland löst eBay ab etwa 2005 einen regelrechten Hype aus: "Plötzlich haben unheimlich viele, vor allem junge Leute, auch mit dem Aufkommen des Smartphones, das Ganze dann als Kultur begriffen", sagt Siegfried Behrendt vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung. "Diese Auktionen, dieses 3-2-1 meins hat den Hype mit befeuert und das Ganze in den Mainstream gebracht."
Bereits im März 2007 avanciert die Plattform zum reichweitenstärksten Online-Kleinanzeigenmarkt in Deutschland. Heute nutzt fast die Hälfte der Bevölkerung die Plattform regelmäßig, täglich werden über 20.000 Suchanfragen gestellt. Der entscheidende Unterschied zu früheren Formen des Gebrauchtwarenhandels liegt laut Behrendt in der Reichweite: "Der große Unterschied ist, dass es über Online-Plattformen möglich geworden ist, einen Quantensprung zu vollziehen, was das Matching von Angebot und Nachfrage anbetrifft. Das ist aus diesen nachbarschaftlichen, bezirklichen, kiezbezogenen Praktiken heraus in einen großen Markt gebracht worden."
Bunt wie das Leben
Was "Kleinanzeigen" besonders macht, sind die skurrilen Inserate, die regelmäßig für Schlagzeilen sorgen. Zu den bekanntesten zählen der Verkauf des legendären Beck's-Bierschiffs "Alexander von Humboldt", die humorvolle Anzeige einer "Dreckskarre" (VW Touran) sowie das Angebot eines echten T-Rex-Skeletts. Erst 2024 stand eine Kirche in NRW für 349.000 Euro zum Verkauf - inklusive umfunktioniertem Kirchenschiff als Wohnbereich.
Hinzu kommt eine völlig neue Internetsprache. "Was letzte Preis?", "Tchuligom" oder "noch da?" sind zu geflügelten Worten geworden. Hinter den skurrilen Anzeigen verbirgt sich aber ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel. "Der Konsument hat eine neue Rolle mitbekommen, indem er selbst zum Verkäufer wird", erklärt Behrendt. Dieser Wandel vom reinen Konsumenten zum "Prosumer" - einem Begriff, den der Futurologe Alvin Toffler bereits in den 1970er Jahren prägte und der eine Mischung aus Producer und Consumer beschreibt - zeigt sich hier besonders deutlich.
Junge Menschen zwischen 16 und 29 Jahren nutzen die Plattform am aktivsten 60 Prozent dieser Altersgruppe haben bereits gebrauchte Waren über die Plattform gekauft oder verkauft. Bei eBay gab es geringe soziodemographische Unterschiede - letztendlich alle Schichten", bestätigt Behrendt.
Komplexe Handelskreisläufe
Der Handel mit gebrauchten Waren ist dabei keineswegs auf einkommensschwache Schichten beschränkt und auch nicht auf den Weg "Einkommensstarke kaufen Einkommensschwachen die Sachen ab". "Es gibt zum Beispiel eine Gruppe im hochpreisigen Segment, die beispielsweise Laptops kauft, und dann den Anspruch hat, immer das Neueste zu haben. Die verkaufen genau diesen Laptop dann nach zwei Jahren wieder und nutzen den Ertrag für den neuen Laptop", erklärt Behrendt. Gleichzeitig ermöglicht dies anderen mit geringen Einkommen, "genau diese Laptops zu kaufen, die ja durchaus länger als zwei Jahre halten, aber nicht den Anspruch haben, immer das Neueste zu haben."
Dass solche Handelskreisläufe möglich sind, liegt am enormen ungenutzten Potenzial in deutschen Haushalten. Die Dimensionen sind beachtlich: "eBay hat abschätzen lassen, wie viel pro Haushalt diese nicht genutzten Gegenstände erbringen würden und festgestellt, dass das pro Haushalt ungefähr 1300 Euro sind. Hochgerechnet auf alle Haushalte sind das etwa 52 Milliarden Euro in Deutschland", so Behrendt. Diese sogenannten "Dachboden-Studien" zeigen: Über 60 Prozent der CDs werden nie genutzt, ebenso wie etwa die Hälfte aller Bücher und weit über die Hälfte der Kleidung.
Nachhaltigkeit: Versprechen oder Augenwischerei?
Re-Commerce wird von seinen Betreibern auch gerne als ökologische Erfolgsgeschichte gefeiert. Laut Berechnungen können beim Kauf von Second-Hand-Produkten 60 bis 80 Prozent der CO2-Äquivalente eingespart werden. Doch Behrendt ist skeptisch: "Sharing alleine nutzt der Umwelt wenig. Die Effekte sind da, sie sind positiv, aber wenig ausgeprägt." Das Problem: "Es gibt Gruppen, die deutlich zur Umweltentlastung führen. Es gibt andere Gruppen, wo Sharing den Konsumraum erweitert und zu einer Beschleunigung des Konsumrades führt."
Der entscheidende Punkt liegt in der Voraussetzung: Die Produkte haben nur dann ein ökologisches Potenzial, "sofern sie den Neukauf ersetzen", so Behrendt. "Es geht darum, über Gebrauchsgegenstände die Umwelt zu entlasten, und sie einzubetten in einen nachhaltigen Lebensstil. Sharing alleine reicht nicht aus, um das volle Potenzial zu erschließen."
Quelle: ntv.de