Retter geben Hoffnung auf Zahl der deutschen Opfer steigt
25.01.2012, 18:41 Uhr
Schettino behauptet, ein Reederei-Manager habe das riskante Manöver von ihm verlangt.
(Foto: dpa)
Die hohe Zahl der deutschen Vermissten hat es schon befürchten lassen: Die Behörden melden die Todesopfer zwei und drei aus Deutschland. Nun bekannt gewordene Telefonate belegen derweil: Kapitän Schettino ist nicht, wie er zunächst behauptete, zufällig in einem Rettungsboot gelandet, als viele Passagiere noch um ihr Leben kämpfen.
Nach dem Schiffsunglück vor Italien sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes mittlerweile insgesamt drei deutsche Todesopfer identifiziert. Die Zahl der vermissten Deutschen liege nun bei neun, sagte eine AA-Sprecherin. Zur genauen Herkunft der Opfer machte sie keine Angaben. Unter den drei Toten sei auch das bereits von den italienischen Behörden gemeldete deutsche Opfer.
Die Rettungskräfte haben die Hoffnung, weitere Überlebende zu finden, indessen aufgegeben. "Jemanden lebend zu finden, wäre ein Wunder", sagte der Leiter des Krisenstabes, Franco Gabrielli. Obwohl das Schiff teilweise voll Wasser gelaufen ist, setzten die Rettungskräfte ihre Suche nach Überlebenden dennoch fort. Nach einer Unterbrechung wegen schlechten Wetters hatten sich Marine-Taucher einen noch größeren Zugang zu dem dritten Deck des havarierten Schiffes freigesprengt. Noch immer werden mehr als 20 Menschen vermisst.
Schettino wohl nicht zufällig im Rettungsboot
Unterdessen sorgte der schwer beschuldigte und unter Hausarrest stehende Kapitän des Unglücksschiffes, Francesco Schettino, für neue Schlagzeilen. Abgehörte Telefonate des 52-Jährigen nach der Havarie am 13. Januar mit Freunden scheinen Schettino zu belasten und seinen Aussagen im Verhör zu widersprechen. "Als ich gesehen habe, dass sich das Schiff neigte, habe ich mich heruntergestürzt", zitierte ihn die Turiner "La Stampa". Damit verrate sich Schettino, schreibt das Blatt, weil er bei seiner offiziellen Vernehmung ausgesagt hatte, er sei zufälligerweise von dem Schiff in ein Rettungsboot gefallen.
Laut "La Repubblica" sagte Schettino am Telefon auch, die Verbeugung genannte nähere Route an die Insel Giglio heran habe ein "Manager" nachdrücklich von ihm verlangt. Unklar ist, um wen es sich handelt. Schettino hatte die Reederei Costa Crociere bereits vorher beschuldigt, ein riskantes Heranfahren aus Werbezwecken gefordert zu haben.
Der Chef der Reederei, Pier Luigi Foschi, musste sich indessen bei einer Anhörung vor dem italienischen Senat verantworten. Dabei warf er Schettino vor, das Unternehmen über das Ausmaß des Unglücks getäuscht zu haben.
Reederei-Boss vor Senat
Foschi verlas eine Erklärung, in der er detailliert die Telefonkontakte von Schettino zum Leiter der Krisenabteilung der Reederei, Roberto Ferrarini, in der Unglücksnacht aufzählte. Erstmals rief der Kapitän demnach um 21.57 Uhr an - zehn Minuten nachdem das Schiff vor der Insel Giglio einen Felsen gerammt hatte.
"Schettino sagte, dass er an Bord ein großes Problem habe", erklärte Foschi vor den Senatoren in Rom. "Er sagte Ferrarini, dass er einen Felsen gerammt habe und der Strom ausgefallen sei. Der Kapitän sagte, dass nur eine der wasserdichten Kammern überflutet sei." Bei einem zweiten Anruf um 22.06 Uhr habe der Kapitän dann berichtet, dass in einen zweiten Raum Wasser eingedrungen sei, "dass die Stabilität des Schiffes aber nicht gefährdet sei". Schettino war demnach "sehr ruhig und sagte, dass die Lage unter Kontrolle sei."
Um 22.33 Uhr rief der Kapitän nach Darstellung der Reederei erneut in der Krisenabteilung an, um Ferrarini zu sagen, dass sich die "Costa Concordia" mehr und mehr neige. Zwei Minuten später habe er ihn dann darüber informiert, dass das Schiff geräumt werde. Diese Information habe den Leiter der Krisenabteilung "völlig überrascht", sagte Reederei-Chef Foschi. In den vorangegangen Telefonaten sei bei ihm nicht der Eindruck entstanden, dass die Lage so schlimm sei.
Sammelklage in Arbeit
Verrottende organische und sonstige Abfälle an Bord des 290 Meter langen Schiffes stellen derweil eine Gesundheitsgefährdung für die Taucher dar, sagte der Krisenstabsleiter. Mögliche Infektionen seien ein Problem, "das noch gelöst werden muss". Dagegen habe ein Plan für den späteren Abtransport des Schiffsriesen derzeit "keine Priorität". Erst müsse die Suche abgeschlossen und das Öl an Bord abgepumpt sein.
Auf Giglio laufen die Vorarbeiten für das Abpumpen des Öls aus der "Costa Concordia" auf Hochtouren. Die Bergung des giftigen Schweröls aus den Tanks kann voraussichtlich nicht vor Samstag beginnen. Danach dürfte es rund vier Wochen dauern, bis die etwa 2300 Tonnen Treibstoff, überwiegend Schweröl, aus den 17 Tanks entsorgt sind. Mit dem Beginn der Aktion soll rund um die Uhr gepumpt werden.
"Das Wetter ist immer ein unvorhersehbarer Faktor, aber Samstag ist realistisch", sagte Martiijn Schuttevaer, Sprecher der mit dem Abpumpen beauftragten niederländischen Bergungsfirma Smit. In diesen Tagen würden die 17 Tanks der "Costa Concordia" genau inspiziert und markiert, um dann mit dem Bohren von Löchern im Schiff und dem Abpumpen des Schweröls beginnen zu können, erläuterte Schuttevaer.
Die italienische Verbraucherschutzorganisation Codacons wollte zusammen mit zwei amerikanischen Anwaltsbüros in Miami eine Sammelklage gegen die Reederei Costa Crociere und den Mutterkonzern Carnival einreichen. Von dem Gericht in den USA erwarte man eine Entschädigung von mindestens 125.000 Euro pro Passagier, in schweren Fällen sogar mehr als eine Million, teilte der Verband mit. Dieses juristische Vorgehen schließe eine spätere derartige Aktion auch in Italien nicht aus. Codacons hatte in den vergangenen Tagen italienische und ausländische Kläger geworben.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP