Flüchtlingstalk in der ARD "Abschiebungen könnten den Kommunen helfen"
07.11.2023, 04:28 Uhr Artikel anhören
Landrat Jens-Marco Scherf von den Grünen spricht sich für Abschiebungen aus, um die Kommunen zu entlasten.
(Foto: WDR/Oliver Ziebe)
Wie können die Kommunen bei der Unterbringung von Flüchtlingen entlastet werden? Mit dieser Frage hat sich die Ministerpräsidentenkonferenz gemeinsam mit Bundeskanzler Scholz befasst. In der ARD-Talkshow "Hart aber fair" haben sich die Gäste am Montagabend ebenfalls dem Thema gewidmet.
Kurz vor Mitternacht am Montagabend, als die Sendung "Hart aber fair" im Ersten beginnt, läuft die Ministerpräsidentenkonferenz noch. Dort wollen sich die Teilnehmer auf eine Lösung der Flüchtlingskrise in den Kommunen einigen. Als die ARD-Talkshow endet, ist die Konferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz noch in vollem Gange. Immerhin hat es bereits am Abend ein Ergebnis gegeben. Mit einem aus etwa hundert Einzelpunkten bestehenden Maßnahmenpaket wollen Bund und Länder mehr Tempo bei der Planung und Genehmigung von Maßnahmen wie der Einrichtung von Kitas und Schulen machen. Dazu sollen bürokratische und rechtliche Hürden abgebaut werden.
Eigentlich wollten sich die Ministerpräsidenten auch über die Lösung der Flüchtlingskrise in den Kommunen einigen. Doch zu diesem Punkt gibt es keine Entschlüsse. Die soll eine neue Kommission finden. In der ARD-Talkshow "Hart aber fair" haben sich am Montagabend zu später Stunde die Gäste ebenfalls über das Flüchtlingsthema unterhalten. Die Probleme sind klar, Lösungen scheinen jedoch schwierig zu finden.
Dabei gibt der parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, zu: "Wir diskutieren diese Themen schon seit Wochen." Die Unionsfraktion habe im vergangenen Monat einen "sehr umfassenden Migrationsantrag" im Bundestag eingebracht. Der habe aber leider keine Mehrheit gefunden, sagt Frei. Der Politiker ist realistisch: "Das, was bisher auf dem Tisch liegt, wird nicht dazu führen, dass die Zahl der Migranten in Deutschland spürbar zurückgeht und damit auch die Probleme für die Städte und Gemeinden reduziert werden können."
Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese ist zu diesem Zeitpunkt noch optimistisch, "dass es heute Abend eine gemeinsame und tragfähige und vor allem auch pragmatische Lösung zwischen dem Bund und den Ländern geben wird." Er sei guter Dinge, dass viele Maßnahmen beschlossen würden. Die Bundesregierung habe schon vorgearbeitet und mit mehreren Ländern über Rückführungsabkommen verhandelt, so Wiese im Verlauf der Sendung.
"Der Handlungsdruck ist enorm groß"
Jens-Marco Scherf spürt die aktuelle Migrationskrise. Der Grünen-Politiker ist Landrat des Kreises Miltenberg in Nordbayern, nahe der Grenze zu Hessen. "Der Handlungsdruck ist enorm groß", sagt Scherf bei "Hart aber fair": "Wir brauchen jetzt eine Einigung und ein ganzes Maßnahmenbündel." Geld allein werde den Kommunen nicht helfen. Nötig seien schnellere Maßnahmen. "Wir reden über Obdachlosigkeit, die Integration gelingt uns nicht mehr. Und wir verlieren die Akzeptanz in der Bevölkerung", sagt Scherf.
Im Landkreis Miltenberg gibt es laut Scherf zurzeit eine Unterkunft für geflüchtete Menschen. Dabei handele es sich um eine ehemalige Schule, in der 60 Menschen leben – in drei Klassenzimmern. Diese Unterkunft müsse in den nächsten Wochen deaktiviert werden, eine zweite Flüchtlingsunterkunft sei in Planung. Wenn die nicht mehr ausreiche, müssten Geflüchtete in Turnhallen untergebracht werden. "Aber was mache ich in drei Monaten?", fragt Scherf.
Und dann zählt Scherf auf: "Ich brauche mehr Kitaplätze, ich brauche mehr Lehrer, ich brauche mehr Klassenräume, ich brauche mehr Mitarbeiter im Sozialamt, im Ausländeramt, im Jobcenter. Ich brauche mehr Ehrenamtliche, ich brauche mehr Wohnungen, ich brauche von allem mehr. Und ich brauche viel mehr Zeit, damit wir die Menschen gut integrieren können. Die müssen Sprache lernen, die müssen lernen, wie die Gesellschaft funktioniert, wir müssen sie beruflich integrieren, und momentan sind wir die Menschen in den vergangenen Monaten nur noch am Unterbringen. Und ich sage: Irgendwann werden wir die Konsequenzen bekommen, teilweise spüren wir sie schon."
Scherf: Bargeldauszahlungen ein Riesenaufwand
Die meisten Lösungen, die die beiden Bundespolitiker anbieten, werden Scherf nicht helfen – bis auf eine. Der Kommunalpolitiker spricht sich für Abschiebungen von Geflüchteten ohne Bleiberecht aus: "Abschiebungen könnten den Kommunen helfen", sagt er. Frei setzt sich zudem dafür ein, dass Asylanträge künftig in Drittstaaten geprüft werden, und er fordert einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen. Frei weiß, dass dieses Vorhaben lange dauern wird. Deswegen verlangt er vorübergehend den Schutz der europäischen Binnengrenzen.
Zudem fordert Frei, dass Geflüchtete in Zukunft Lebensmittel mit einer Chipkarte statt mit Bargeld bezahlen müssen. Das will Bayern demnächst einführen. Frei: "Entscheidend ist die Frage, dass Geld nicht abgehoben werden kann, das in die Herkunftsländer transferiert werden kann oder schlimmer noch an Schlepper zurück überwiesen werden kann."
Kommunalpolitiker Scherf kann dieser Regelung einiges abgewinnen. Bargeldauszahlungen seien ein Riesenaufwand und ein Sicherheitsrisiko, sagt Scherf. Eine Chipkartenlösung müsse jedoch "sehr unbürokratisch und sehr einfach sein". Hört man Scherf zu, müsste es eine Lösung in den nächsten Tagen geben. Wie lange die geplante Kommission tatsächlich dafür Zeit bekommt, ist zumindest in der Nacht noch unklar.
Quelle: ntv.de