Fremdenhass nach dem Brexit "Als Brite wären Sie auch nicht mehr nett"
16.09.2016, 17:24 Uhr
Die Kampagne gegen EU-Einwanderer vor dem Brexit-Referendum hat den Fremdenhass befeuert.
(Foto: REUTERS)
In Großbritannien häufen sich die gewalttätigen Übergriffe auf polnische Migranten. Die Journalistin Adriana Chodakowska lebt seit Jahren in London. Im Interview mit ntv.de macht sie die Hetzkampagne des "Leave"-Lagers für den Hass verantwortlich.
ntv.de: Nach dem Mord an dem polnischen Einwanderer Arkadiusz Jozwik in Harlow: Fühlen Sie sich noch sicher als Polin in Großbritannien?
Adriana Chodakowska: Ich persönlich fühle mich sicher, auch wenn meine polnischen Freunde nicht mehr ganz so zuversichtlich sind wie ich. Viele Polen in Großbritannien schauen polnisches Fernsehen - und leider haben die Medien dort viel Panik verbreitet. Fakt ist, dass es einen großen Unterschied zwischen London und kleineren Städten im Vereinigten Königreich gibt. London ist immer noch Multikulti. Das mag woanders nicht so sein.

Adriana Chodakowska lebt und arbeitet seit zwölf Jahren in London. Eine Rückkehr nach Polen ist für sie keine Option.
(Foto: privat)
Hat die "Leave"-Kampagne im Vorfeld des Brexit-Referendums den wachsenden Fremdenhass in Großbritannien mitgeschürt?
Natürlich, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Wenn Sie Brite wären und immer wieder gehört hätten, wie "schlecht diese EU-Migranten sind", die Ihnen den Job wegnehmen und eigentlich nur eine Belastung für die Gesellschaft sind, würden Sie auch nicht mehr nett zu den Polen sein …
Haben Sie Diskriminierung am eigenen Leib oder in Ihrem Umfeld erlebt?
Natürlich sehe ich ab und zu ein nachsichtiges Lächeln, wenn mich im Gespräch mein nicht-britischer Akzent verrät. Aber in London habe ich deswegen nie Diskriminierung erlebt. Bei Freunden von mir, die in Schottland und Nordirland leben, ist das eher ein Thema - aber nicht nur für die Polen dort, sondern für alle EU-Migranten.
Falls die fremdenfeindliche Stimmung im Land zunimmt: Würden Sie eine Rückkehr nach Polen in Betracht ziehen?
Ich glaube nicht, dass es nicht schlimmer wird - und ich hoffe es sehr. Um ehrlich zu sein, ich lebe seit zwölf Jahren in diesem Land und fühle mich hier zuhause. Nach Polen zurückzukehren, käme für mich überhaupt nicht infrage - schon allein deshalb nicht, weil es dort keine berufliche Perspektive für mich gibt. Die Medien werden staatlich gelenkt. Überall gibt es Klüngeleien. Ich verabscheue solche Systeme.

Boris Johnson trommelte vor dem Brexit-Referendum für das "Leave"-Lager. Nun verurteilt er den Hass, der auf die Kampagne folgte.
(Foto: imago/i Images)
Im Zuge des Brexit will die Regierung auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit einschränken. Das würde womöglich auch Sie treffen. Sind Sie auf den Ernstfall vorbereitet?
Mein Problem ist, dass ich noch immer keinen britischen Pass habe. Ich hätte aber auch niemals gedacht, dass ich mal einen brauchen würde. Im Moment versuche ich, eine permanente Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen - auch um sicherzustellen, dass meine Rechte gewahrt bleiben. Die britische Politik ist aktuell unberechenbar und niemand lebt gern in Unsicherheit.
Trotz der breiten Medienberichterstattung über die "Hassverbrechen" auf Polen scheint es keine innenpolitische Debatte zu geben. Lediglich Außenminister Boris Johnson, einer der glühendsten Brexit-Befürworter, verurteilte die Vorfälle. Was halten Sie davon?
Boris Johnson ist eine der schillerndsten Figuren in der britischen Politik - aber wird er überhaupt ernst genommen? Als Bürgermeister von London mag er großartig gewesen sein. Er ist fast so berühmt wie ein Rockstar. Deshalb ist es gut, wenn er Rassismus thematisiert. Aber hat er irgendetwas dagegen unternommen? Bisher kann ich das nicht erkennen.
Premierministerin Theresa May hat die Vorfälle überhaupt nicht angesprochen …
Nach den ersten fremdenfeindlichen Übergriffen im Juni gab es schon eine politische Reaktion. Aber wir können wohl nicht erwarten, dass sich Theresa May jedes Mal bei uns Polen entschuldigt, wenn wieder etwas passiert.
Immerhin: Mittlerweile gibt es eine Reaktion - allerdings aus Warschau. Die Regierung hat zwei polnische Polizisten nach Harlow geschickt, um dort die örtliche Polizei zu unterstützen. Ist das nicht letztlich auch nur ein Symbol der Hilflosigkeit?
Ja, es ist ein Symbol. Gebraucht werden sie ja nicht wirklich, denn es gibt schon jetzt viele Polen bei der britischen Polizei. Außerdem ist unsere polnische Community hier riesig. Was können da zwei Polizisten aus Polen ausrichten? Es ist eine Geste des guten Willens. Die Regierung in Warschau will uns wohl zeigen, dass wir nicht vergessen werden.
Mit Adriana Chodakowska sprach Judith Görs.
Quelle: ntv.de