Überlebt das Deutschlandticket? "Als würde der Brotpreis ohne den Bäcker festgesetzt"
17.09.2025, 18:47 Uhr Artikel anhören
Bus und Straßenbahn in Mühlheim an der Ruhr: Im VRR-Gebiet erfreut sich das Deutschlandticket hoher Nachfrage.
(Foto: picture alliance / Jochen Tack)
Am Donnerstag tagen die Verkehrsminister der Länder mit Vertretern des Bunds, um die Zukunft des Deutschlandtickets zu klären. Dessen Finanzierung läuft zum Jahresende aus. Im Raum steht nun eine Preiserhöhung von derzeit 58 Euro auf bis zu 64 Euro - weil weder Bund noch Länder steigende Kosten der Verkehrsunternehmen kompensieren wollen. Oliver Wittke, Vorstandssprecher von Deutschlands drittgrößtem Verkehrsverbund VRR, erklärt im ntv.de-Interview, warum es endlich ein dauerhaftes Finanzierungsmodell für das Deutschlandticket braucht und woran ein Kompromiss bislang scheitert.
ntv.de: Die Verkehrsminister der Länder verhandeln am Donnerstag erneut über die zukünftige Finanzierung des Deutschlandtickets. Sie haben sich wiederholt als Fan bezeichnet. Warum?
Oliver Wittke: Im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) verkaufen wir Monat für Monat rund 1,7 Millionen Deutschlandtickets. Das entspricht etwa 80 Prozent unseres Umsatzes. Das Deutschlandticket ist ein echter Verkaufsschlager. Und: Das Deutschlandticket hat die mit ihm verbundenen Ziele erfüllt.

(Foto: Jasmin Khatami)
Seit 1. Februar 2024 steht Oliver Wittke an der Spitze des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) - einem der größten Verkehrsverbünde Deutschlands. Der VRR ist zuständig für ein Gebiet mit 7,8 Millionen Einwohnern, darunter Großstädte wie Bochum, Dortmund, Düsseldorf und Essen, ab 1. Januar 2026 aber auch für den ländlich geprägten Niederrhein. VRR-Vorstandssprecher Wittke kennt die politische Arena aus dem Effeff: Für die CDU war der 58-Jährige unter anderem Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, Landesverkehrsminister von Nordrhein-Westfalen, Bundestagsabgeordneter und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium.
Die da wären?
Erstens, mehr Menschen in den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu bringen und zweitens die ÖPNV-Nutzung einfacher und komfortabler zu machen. Die Menschen stehen nun nicht mehr ratlos vor dem Fahrscheinautomaten. Beim VRR haben wir 75 Prozent der Tarife gestrichen, die brauchen wir alle nicht mehr. Drittens kommt auch die Digitalisierung voran: Wer nicht das Deutschlandticket nutzt, kann in Nordrhein-Westfalen mit dem Ticket eezy.NRW in unserer App digital Start- und Endpunkt eintippen und zahlt dann nur die gefahrene Strecke. Günstiger und praktischer geht es nicht und dafür brauchen wir keine Waben nach Alphabet sortiert. Mehr als eine halbe Million Fahrten werden so pro Monat inzwischen unternommen.
Das Deutschlandticket ist auch eine Klimaschutzmaßnahme. Lässt sich quantifizieren, wie viel mehr Nutzer der VRR durch das Deutschlandticket gewonnen hat?
Wir rechnen mit sechs bis acht Prozent mehr Nutzerinnen und Nutzern.
Das klingt jetzt nicht so beeindruckend…
Das stimmt. Auch deswegen braucht es endlich Planungssicherheit beim Deutschlandticket. Eine wesentliche Gruppe, um die wir uns sehr bemühen, sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die täglich zu ihrer Arbeitsstelle hin- und zurückfahren. Ich habe es schon oft gesagt: Die Arbeitgeber sollten den Faktor "Wie kommen meine Leute eigentlich zur Arbeit?" mitberücksichtigen: Das geht im Rahmen von betrieblichem Mobilitätsmanagement, da gibt es viele Möglichkeiten. Das Deutschlandticket Job ist nur eine davon. Es ist aber ja nur nachvollziehbar, wenn Unternehmen kein Interesse haben, sich damit intensiver zu beschäftigen, wenn wir die Finanzierung des Deutschlandtickets gefühlt alle paar Monate neu debattieren. Im VRR-Gebiet führt das dazu, dass wir bei aktuell drei Millionen Beschäftigten im Monat nur rund 140.000 Jobtickets verkaufen. Das ist viel zu wenig. Die anhaltende Unsicherheit schreckt alle ab.
Die Regierungskoalition aus Union und SPD hat sich zur Fortsetzung des Deutschlandtickets verpflichtet. Ist ein Aus überhaupt denkbar?
Nein, für mich ist das nicht vorstellbar. Das Deutschlandticket ist gekommen, um zu bleiben. Mit einem Aus würde die Bundesregierung 14 Millionen Menschen in Deutschland vor den Kopf stoßen und ihnen quasi die Transportgrundlage nehmen. Daraus folgt aber nicht, dass der Preis bei 58 Euro im Monat bleibt.
Warum nicht?
Es kann keine Preisgarantie geben, weil es auch keine Preisgarantie für Strom und Benzin gibt. Das ist nur logisch. Eine moderate Preissteigerung beim Deutschlandticket wäre es demnach auch - mit der Betonung auf moderat. Unsere Kosten steigen. Das gilt für Energie genauso wie für die Personalkosten und die Trassenentgelte, die die Deutsche Bahn für die Nutzung ihrer Schienen verlangt. Wir Verkehrsunternehmen brauchen Planungssicherheit, was Bund und Länder künftig an staatlichen Zuschüssen bereitstellen.
Bund und Länder schießen hälftig bis Ende 2025 jährlich drei Milliarden Euro zu, um Einnahmeverluste durch das Deutschlandticket zu kompensieren. Entweder steigt der Zuschuss oder der Ticketpreis?
Das muss man etwas übergeordneter betrachten: Wir setzen natürlich voraus, dass alle Beteiligten ihren Beitrag leisten müssen, wenn wir so eine tolle Sache wie das Deutschlandticket dauerhaft erhalten wollen. Wenn man sagen würde, ein Drittel übernehmen die Fahrgäste, ein Drittel übernehmen diejenigen, die es bestellt haben, und ein Drittel übernehmen diejenigen, die es ausführen, wäre das ganz in Ordnung. Ja, dann würde der Ticketpreis steigen, da kommen wir nicht drumherum. Aber Bund und Länder müssen einen Weg finden, der der Kostenentwicklung Rechnung trägt, der dynamisch ist und der nicht weiter das Gefühl vermittelt, dass es auf dem Rücken der Fahrgäste ausgetragen wird.
Gerüchtehalber steht eine Preiserhöhung auf 62 bis 64 Euro im Raum. Ab welchem Ticketpreis werden mehr Nutzer abgeschreckt als hinzugewonnen?
Verglichen mit dem Tarifsystem vor dem Deutschlandticket ist sicherlich noch Luft nach oben. Ich glaube, dass wir die Zahl der potenziellen Nutzerinnen und Nutzer noch längst nicht ausgereizt haben. Aber wenn der Bund mithilfe des Deutschlandtickets Klimaziele erreichen will, können die steigenden Kosten im ÖPNV nicht allein auf die Fahrgäste abgewälzt werden.
Der Bund will auch die Mehrkosten hälftig mit den Ländern teilen, Bayern will nicht einen Cent mehr geben. Wähnen sich die Länder am längeren Hebel, weil die Fortführung des Deutschlandtickets im Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgelegt ist?
Wie gesagt: Klimaschutz ist Bundesangelegenheit. Außerdem hat sich der Bund im sogenannten Koch/Steinbrück-Papier von 2007 verpflichtet, sich weiter dynamisiert an der Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs zu beteiligen. Das sind die sogenannten Regionalisierungsmittel. Öffentlicher Personennahverkehr ist daher mitnichten nur Sache von Ländern und Kommunen.
Und wie wird dieser gordische Knoten nun zerschlagen?
Bei der Zuweisung der Regionalisierungsmittel gibt es einen festen Automatismus bis ins Jahr 2031. Das schafft Planungssicherheit. Ähnlich könnte man es beim Deutschlandticket machen, mit einem Sockelbetrag, der sich anhand eines Preisindexes oder der Inflation erhöht. Aber wenn der Betrag festgelegt wird, verhandeln die Minister unter Ausschluss der Leistungserbringer. Das ist, als würde der Brotpreis ohne den Bäcker festgesetzt.
Bleibt die Frage offen, warum sich die Länder stärker beteiligen sollten, wenn der Bund sich schon auf eine Fortsetzung festgelegt hat?
Da gibt es auch einen Konflikt zwischen Union und SPD, die den Koalitionsvertrag unterschiedlich ausdeuten. Für die Sozialdemokraten steht im Vertrag, dass bis 2029 der Nutzerpreis gleichbleiben soll. Die Union liest den Passus so, dass der Anteil der Ticketkosten an den Gesamtkosten stabil bleiben soll.
CDU-Bundesverkehrsminister Schnieder kann doch SPD-Bundesfinanzminister Klingbeil daran erinnern, dass er nur die Schatulle etwas öffnen muss, wenn der SPD die Preisstabilität so wichtig ist.
Das würde der Bundesfinanzminister vielleicht auch tun, wenn die Länder ebenfalls mehr zahlen. Aber das hat Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter ausgeschlossen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Wenn wir über die Kosten sprechen, kommen wir auch an der Vielzahl unterschiedlicher Verkehrsverbünde nicht vorbei.
Auch wir müssen einen Beitrag leisten. Unterschiedliche Spurbreiten bei den Schienenfahrzeugen, verschiedene Oberleitungsspannungen, jeder kauft seinen eigenen Bus: Das sind ineffiziente Strukturen.
Was heißt das für die Zukunft der zahlreichen Verkehrsverbünde in Deutschland?
Eine der vornehmsten Aufgaben eines Verkehrsverbundes, nämlich die Tarifgestaltung, wird durch das Deutschlandticket überflüssig. Wenn die Nutzerrate im ÖPNV von derzeit 80 Prozent auf 90 oder 95 Prozent steigt, brauche ich auch keine unterschiedlichen Tarife mehr zwischen Köln und Düsseldorf.
Setzt das Deutschlandticket die richtigen Anreize, damit die ÖPNV-Anbieter ihr Angebot verbessern?
Ja. Mehr Effizienz und mehr Kundinnen und Kunden finanzieren auch mehr Leistungen. Die Qualität des Angebots ist in den letzten Jahren gestiegen, nicht nur im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr. Es gibt etwa mehr Verbindungen in den Tagesrandzeiten, zumindest in den Ballungsräumen. Zugleich ist Quantität nicht gleich Qualität: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir mit einem etwas dünneren Takt mehr Pünktlichkeit erzielen. Zuverlässigkeit ist ein hohes Gut. Pünktlich ans Ziel zu kommen, ist den Leuten wichtiger, als die Frage, ob die S-Bahn alle 15 oder alle 20 Minuten kommt.
Mit Oliver Wittke sprach Sebastian Huld
Quelle: ntv.de