Wer hat für den Brexit gestimmt? Alt, bildungsfern, EU-Gegner
24.06.2016, 11:29 Uhr
EU-Gegner in London
(Foto: REUTERS)
Rechtspopulismus hat Erfolgsrezepte, die auch in Großbritannien funktioniert haben. Die Zielgruppe ist dabei entscheidend und dabei war die "Leave"-Kampagne erfolgreich. Andere Gruppen waren entschlossen gegen den Brexit.
Die Briten haben bei ihrem historischen Brexit-Referendum entschieden, die EU zu verlassen und stürzen die Union damit in die vermutlich größte Krise in der Geschichte ihres Bestehens. International reagieren die Finanzmärkte mit Panik, Analysten erwarten für das Königreich drastische wirtschaftliche Folgen. Damit leben müssen auch jene, die für ein Verbleiben in der EU gestimmt haben.
Schottlands Nationalisten haben bereits angekündigt, ein neues Referendum zur Unabhängigkeit starten zu wollen, um dann als eigenständiger Staat wieder der EU beitreten zu können. Das verwundert kaum, haben doch über 62 Prozent der Menschen dort für ein Verbleiben in der Union gestimmt. Etwas knapper, aber ebenfalls eindeutig fällt das Ergebnis in Nordirland aus: Mehr als 55 Prozent stimmen hier gegen den Brexit.
Auch in London waren die Menschen mehrheitlich für den Verbleib in der EU. Nur 40 Prozent stimmten in der Hauptstadt für den Brexit. Ohnehin lässt sich erkennen, dass die Bewohner von Großstädten eher für die EU votierten: Belfast, Liverpool und Manchester sind Inseln der Zustimmung, umgeben von EU-kritischer Provinz. Besonders deutlich ist das in Wales, das insgesamt mit 53 Prozent für den Brexit stimmte. In der größten Stadt Cardiff lehnten den Ausstieg 60 Prozent ab.
"Guardian"- vs. "Sun"-Leser
Auf der anderen Seite stehen Regionen, die sich mit ähnlicher Deutlichkeit für den Brexit aussprechen, allen voran die Regionen Westmidlands, Nordost- und Nordwestengland. Die Midlands sind gewissermaßen die Heimstätte des Euroskeptizismus. Die rechtspopulistische Ukip-Partei von Nigel Farage konnte hier bei den Europawahlen 2014 die besten Ergebnisse landesweit erzielen. Insofern ist das Ergebnis in dieser Region keine große Überraschung: Fast 60 Prozent stimmten für den Brexit.
In Nordwest- und Nordostengland konnte die Brexit-Kampagne ihre treueste Zielgruppe am erfolgreichsten ansprechen. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Yougov zufolge konnte das Lager vor allem bei den sozial und wirtschaftlich schwächer Gestellten punkten. In den beiden Regionen würde sich rund ein Drittel der Bevölkerung laut des letzten Zensus in die niedrigste oder zweitniedrigste Ebene des Lebensunterhaltes einstufen. Die "Leave"-Kampagne hatte in den beiden Regionen also auch ein Heimspiel. 58 Prozent in Nordostengland votierten für den Austritt, in Nordwestengland waren es fast 54 Prozent.
Ohnehin konnten die EU-Gegner vor allem bei Menschen punkten, die von sich selbst sagen würden, zu den untersten sozialen Schichten zu gehören. In Großbritannien kennt man die Bezeichnungen "DE-Class". Dazu gehören gering oder gar nicht ausgebildete Arbeiter, Geringverdiener, Rentner und Personen, die auf Unterstützung des Staates angewiesen sind. 63 Prozent dieser Gruppe wollten laut Yougov für den Brexit stimmen. Dass es einen deutlichen Zusammenhang zwischen Bildung und der Zustimmung zum Brexit gibt, zeigt eine andere Kategorie: 68 Prozent der Personen, deren höchster Abschluss der GCSE ist, wollen die EU nicht mehr. Der GCSE entspricht in etwa dem deutschen Realschulabschluss. Höher ist die Zustimmung nur noch bei den Lesern der "Sun" und den Wählern der Ukip selbst. Leser des "Guardian" hingegen sind zu 91 Prozent Brexit-Gegner.
Wer muss am längsten mit den Folgen leben?
Personen mit Hochschulabschluss (70 Prozent) oder Abitur (58 Prozent) sind sehr viel eher auf der Seite der EU-Befürworter. Auch die Parteizugehörigkeit spielt freilich eine Rolle: Grüne und Liberale lehnen zu rund 80 Prozent den Brexit ab, Labour-Wähler zu 75 Prozent. Anhänger der Konservativen wollen mehrheitlich (56 Prozent) den Ausstieg.
Und noch eine weitere Umfrage zeigt deutlich, wo die Gräben beim Brexit verlaufen - beim Alter. In der Gruppe der Generation 65 plus wollten 58 Prozent für den Brexit stimmen, bei den 50- bis 64-Jährigen sind es nur noch 49 Prozent. Bei den jungen Menschen nimmt die Zustimmung zum Austritt aus der EU rapide ab. 18- bis 24-Jährige wollten nur zu 24 Prozent für den Austritt stimmen, 25- bis 49-Jährige zu 39 Prozent, hat Yougov herausgefunden.
An den Finanzmärkten zeichnet sich derzeit ein Erdbeben ab. Die langfristigen Folgen für das Vereinigte Königreich sind kaum abzuschätzen, jedoch erwarten Analysten drastische Folgen für die britische Wirtschaft. Vor diesem Hintergrund scheint es paradox, dass gerade die jungen Menschen statistisch am längsten mit den Folgen einer Entscheidung leben müssen, die vor allem von einer Generation beeinflusst wurde, deren verbleibende Lebenserwartung weitaus geringer ist.
Quelle: ntv.de