Wer zahlt für die Ost-Angleichung? Beim Rentengipfel wurde etwas vergessen
25.11.2016, 16:03 Uhr
Ihr Konzept sei "das umfassendste Programm gegen Altersarmut, das jemals vorgelegt wurde", sagte Andrea Nahles.
(Foto: imago/IPON)
Ein zentraler Punkt bei der Frage der Angleichung der Ost-Renten ist noch ungeklärt. Nachdem die Koalition bereits eine Einigung verkündet hatte, wäre allein das peinlich genug. Doch den Beteiligten war offenbar gar nicht klar, dass sie noch Gesprächsbedarf haben.
Nur wenige Stunden nach der Einigung der Koalition zur Angleichung der Ost- und Westrenten ist es zu Verwirrung um die Finanzierung des Beschlusses gekommen. Die offene Frage ist: Wer zahlt? Wird die Anhebung der ostdeutschen Renten von der Staatskasse oder von der Rentenversicherung getragen, also vom Steuerzahler oder von den Rentenversicherten?
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles schien erst bei ihrer Pressekonferenz am Vormittag zu erfahren, dass es hier einen Dissens mit der Union gibt. Ein Journalist sprach sie darauf an, dass Unionfraktionschef Volker Kauder am Morgen gesagt hatte, die Angleichung der Ost-Renten werde aus der Rentenversicherung finanziert. Nahles zeigte sich darauf überrascht. Die Anpassung solle aus Steuermitteln bezahlt werden. Das sei gestern Abend klar gewesen, da könne man "auf der SPD-Seite" jeden fragen.
Ein Sprecher von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble stützte hingegen Kauders Version: "Unser Verständnis ist es, dass die Finanzierung aus dem System der Rentenversicherung erfolgt." Alle drei, Nahles, Kauder und Schäuble, hatten an dem Renten-Gipfel teilgenommen.
Bis zum Mittag, als die Regierungspressekonferenz stattfand, hatten sich die Ministerien noch immer nicht auf eine gemeinsame Linie verständigt. Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer sagte, der Punkt müsse noch geklärt werden. "Die Bundesregierung arbeitet kooperativ zusammen und Missverständnisse werden ausgeräumt", sagte sie.
Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet unter Berufung auf Koalitionskreise, Nahles habe beim Treffen am Donnerstagabend im Kanzleramt erklärt, das Vorhaben werde aus Steuern bezahlt. Niemand in der Runde habe widersprochen, auch Schäuble nicht.
In drei Punkten gab es eine Einigung:
- Klar ist, dass die Ost-Renten in sieben Schritten von 2018 bis 2025 an das West-Niveau angeglichen werden. Nahles hatte die Anpassung eigentlich wesentlich schneller vorgesehen – in zwei Schritten bis 2020. "Die geplante Anpassung der Rentenwerte ist kurzfristig relativ teuer", erläuterte der Rentenexperte Johannes Geyer vom DIW im Interview mit n-tv.de. "Deshalb hat sich die Koalition entschieden, das in mehreren Stufen zu vollziehen."
- Auch bei der Erwerbsminderungsrente soll es Verbesserungen geben. Dies betrifft Arbeitnehmer, die wegen Krankheit nicht mehr voll arbeiten können. Für sie sollen die so genannten Zurechnungszeiten bis 2024 so ausgeweitet werden, dass ein Rentenanspruch entsteht, als hätte der Betroffene bis zum 65. Lebensjahr gearbeitet. Bislang ist das 62. Lebensjahr der Maßstab. Geyer sagte dazu, dies sei ein Fortschritt, werde aber nicht ausreichen.
- Die betriebliche Altersvorsorge in kleinen Betrieben und für Geringverdiener will die Koalition künftig stärker fördern. Wenn Arbeitgeber zwischen 240 und 480 Euro pro Jahr in eine betriebliche Altersvorsorge zahlen, sollen sie über eine steuerliche Förderung einen Zuschuss von 30 Prozent erhalten. Die Grenze dafür soll bei einem Bruttoverdienst von 2000 Euro liegen. Um die Riesterrente attraktiver zu machen, soll die Grundzulage von 154 Euro auf 165 Euro erhöht werden. Für zusätzlichen betrieblichen oder privaten Zusatzvorsorge soll ein Freibetrag von rund 200 Euro eingeführt werden.
Unabhängig von der Einigung in der Koalition hat die Sozialministerin weitere Pläne, denen die Union nicht zustimmt:
- Nahles will das Rentenniveau bis 2045 gesetzlich bei mindestens 46 Prozent festschreiben. Durch eine gesetzliche Begrenzung sollen die Beiträge bis 2030 nicht über 22 Prozent und bis 2045 nicht über 25 Prozent steigen. Nahles strebt aber einen Beitragssatz von maximal 24 Prozent an.
- Zudem schlägt Nahles eine "gesetzliche Solidarrente" vor. Das Projekt ist als Alternative zur "Lebensleistungsrente" gedacht, die in der Union diskutiert wird. Nahles' zufolge soll jeder eine Solidarrente bekommen, der 35 Jahre in die Rentenkassen eingezahlt hat. Diese Rente solle zehn Prozent über dem liegen, was regional in der Grundsicherung im Alter gezahlt werde. Eine Bedürftigkeitsprüfung solle es nicht geben. Dieser Punkt ist Nahles wichtig: Diese Solidarrente solle eine "eigenständige Leistung außerhalb des Rentenrechts" sein, damit die Betroffenen nicht zum Sozialamt gehen müssen.
- Schließlich will die SPD-Politikerin Selbstständige, die nicht über berufsständische Versorgungswerke abgesichert sind, in die gesetzliche Rente einbeziehen. Eine Einbeziehung von Beamten sieht ihr Plan nicht vor. "Grundsätzlich kann ich mich der Idee gegenüber öffnen." Aber sie wolle vorschlagen, was machbar und realistisch ist. "Daher fehlt das in meinem Konzept."
Nahles betonte, die gesetzliche Rente sei stabiler, als das in der Öffentlichkeit wahrgenommen werde. Rentenexperte Geyer gab ihr darin ausdrücklich Recht. "Es gibt das Problem von Altersarmut, aber es betrifft bestimmte Gruppen und nicht die Mehrheit der Bevölkerung", sagte er. "Diesen Gruppen muss man sich widmen. Aber für die Mehrheit ist die umlagefinanzierte Rente stabil und wird auch in der Zukunft eine stabile Säule bleiben."
Ihr Konzept sei "das umfassendste Programm gegen Altersarmut, das jemals vorgelegt wurde", sagte Nahles. Was die Punkte angeht, die von der Union abgelehnt werden, gab sie sich kämpferisch. Auf die Frage, ob sie einen Rentenwahlkampf führen wolle, antwortete die Ministerin, es sei "unrealistisch zu glauben, dass wir in den nächsten Monaten nicht über Rente reden".
Auch hier gibt es offenkundig einen Meinungsunterschied zur Union, die das Thema aus dem Wahlkampf heraushalten will. Unionsfraktionschef Kauder sagte, nach der Einigung in der Koalition gebe es "keine große Möglichkeit, einen Renten-Wahlkampf zu führen". Die Entscheidungen gäben Antworten auf aktuelle Herausforderungen. "Ich sehe kein großes Kampf-Potenzial bei der Rente."
Quelle: ntv.de, hvo/AFP/rts