Wettlauf gegen die Zeit Berlusconi kämpft um die Kandidatur
22.11.2017, 07:41 Uhr
Nur er könne die Populisten besiegen - sagt Berlusconi, nach dem eine moderne Form des Populismus benannt wurde.
(Foto: imago/Insidefoto)
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entscheidet am Mittwoch über Silvio Berlusconi. Vier Mal war der heute 81-Jährige Italiens Regierungschef. Eine fünfte Amtszeit könnten ihm die Richter vermasseln - egal, wie ihr Urteil lautet.
Silvio Berlusconi scheut keine Mühen, wenn es um seinen Einfluss auf die Politik in Italien geht. Und so zieht der Cavaliere mit allen juristischen Mitteln gegen ein Amtsverbot zu Felde, das ihn bis Ende 2019 daran hindert, öffentliche Ämter zu belegen. Selbst als Spitzenkandidat bei den nächsten Parlamentswahlen, die im März oder spätestens im Mai anstehen, darf er nicht antreten.
Am heutigen Mittwoch findet vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die erste Anhörung zu diesem Fall statt. Berlusconi hat aufgeboten, was ihm sein noch immer üppiges Bankkonto gestattet: Die besten Rechtsanwälte hat er engagiert, darunter zwei aus der Londoner Kanzlei Doughty Street Chambers.
An diese hatte sich Berlusconi gewandt, weil sie gerade auf dem Gebiet der Menschrechte ein besonders hohes Renommee genießt. Dass dann auch Amal Alamudin, die Ehefrau des Hollywood-Schauspielers George Clooney, in dieser Kanzlei arbeitet, ist ein erfreulicher Nebeneffekt, der zwar keinerlei Auswirkung auf das Urteil haben wird, aber für ein wenig mehr mediale Aufmerksamkeit sorgt - und die hat Berlusconi noch nie gemieden.
Den Schadenersatz würde Berlusconi spenden
Berlusconi, mittlerweile 81 Jahre alt, gibt sich siegesgewiss und wird nicht müde zu wiederholen, dass es nicht nur um ihn gehe; das Schicksal Italiens stehe auf dem Spiel, wenn nicht sogar das der ganzen EU. Er sei doch der Einzige, der die Populisten in die Knie zwingen könne. Was er doch auch unlängst bei den Regionalwahlen in Sizilien bewiesen habe. Er und sein Mitte-rechts-Lager (wobei Berlusconi selber die Bezeichnung "moderates Lager" bevorzugt) seien die Einzigen, die der Fünf-Sterne-Bewegung den Garaus machen können.
Dass zu seinem Lager auch die fremdenfeindliche Lega Nord und die chauvinistischen Rechten der Fratelli d'Italia gehören, ist ein Kollateralschaden, den er gerne in Kauf nimmt, soweit er es ihm ermöglicht, wieder auf höchster Ebene in der Politik mitzumischen. Zwei Hürden muss Berlusconi dafür überwinden: die Wahl gewinnen und vorher das Amtsverbot kippen lassen.
Grundlage für den Ämterausschluss ist ein seit November 2012 geltendes Antikorruptionsgesetz, die sogenannte "Lex Severino", benannt nach der damaligen Justizministerin Paola Severino. Dieses sieht vor, dass Personen, die rechtskräftig zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt wurden, bei Wahlen nicht kandidieren dürfen. Berlusconi war damals schon zu vier Jahren Haft wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden, ein Urteil, das dann vom Kassationsgericht, Italiens höchster juristischer Instanz, im Mai 2013 bestätigt wurde.
Da das Gesetz aber verabschiedet wurde, als die Straftat längst begangen und das Urteil bereits gesprochen war, handelt es sich für Berlusconis Anwälte um einen klaren Verstoß gegen den international anerkannten Rechtsgrundsatz, dass Gesetze nicht rückwirkend gelten dürfen. Das müsse ja auch in Italien bekannt sein, hob Andrea Saccucci, einer der Verteidiger aus der Londoner Kanzlei, unlängst in einem Interview hervor. Schließlich sei das Land deswegen schon einmal vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden. Warum sollten die Richter die Causa Berlusconi anders bewerten? Die Chancen stünden 50 zu 50, meint Saccucci.
Das Problem für Berlusconi ist nur, dass ihm die Zeit davonläuft. Die meisten Experten halten es für eher unwahrscheinlich, dass die Richter das Urteil rechtzeitig vor den italienischen Parlamentswahlen verkünden werden. Normalerweise nimmt sich der EGMR sechs bis zwölf Monate Zeit hierfür.
Der Cavaliere gibt sich trotzdem optimistisch und tut sein Bestes, um die Straßburger Richter nicht zu irritieren oder gar zu provozieren. Deshalb wird er auch nicht nach Straßburg fliegen, um der Sitzung beizuwohnen. Er dürfte ja ohnehin keinen Mucks von sich geben.
Im Vorfeld hat er schon wissen lassen, dass er sich im Fall eines für ihn negativen Urteils in Straßburg damit abfinden werde. Sollte er jedoch recht bekommen, werde er den vom italienischen Staat geforderten Schadenersatz, der sich auf eine halbe Million Euro beläuft, dem Altersheim überweisen, bei dem er Sozialstunden abgeleistet hat, um eine Haft zu vermeiden.
Quelle: ntv.de