"Konkurrenz um die besten Köpfe" Bundestag zofft sich über Fachkräftemangel
27.04.2023, 16:44 Uhr Artikel anhören
Der Gesundheitssektor leidet besonders stark unter fehlenden Fachkräften.
(Foto: picture alliance/dpa)
Der Fachkräftemangel gilt als eine der zentralen Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft. Nun wirbt die Ampel dafür, die Fachkräfteeinwanderung zu erleichtern. Doch nicht alle Abgeordneten sind damit zufrieden. Im Bundestag kommt es zu einer hitzigen Debatte.
Die Ampel-Pläne zur Fachkräfteeinwanderung im Kampf gegen den Arbeitskräftemangel werden weiterhin kontrovers debattiert. Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD warb im Bundestag für einen neuen Gesetzentwurf, der die Einwanderung von Fachkräften erleichtern soll. Deutschland stehe mit Einwanderungsländern "in Konkurrenz um die besten Köpfe". Unionsabgeordnete befürchten hingegen zu niedrige Hürden bei der Migration: "Wir müssen die Sozialsysteme schützen", sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm.
"Wir spüren diesen Fachkräftemangel im Alltag", sagte Faeser. Etwa auf der Suche nach einem Kita-Platz, nach Handwerkern und bei Behandlungen im Krankenhaus. Deutschland brauche Zuwanderung aus anderen Ländern, um diesen Mangel zu decken. "Wer das nicht wahrhaben will, der gefährdet unsere Unternehmen." Noch seien die Hürden für qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland zu hoch: Die Bundesregierung werde diesen "Reformstau von 16 Jahren" CDU-geführter Regierungen beenden.
Ampel möchte "alle Register ziehen"
Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD verwies auf den demografischen Wandel, der den ohnehin bestehenden Mangel an Arbeitskräften in den kommenden Jahren verstärken werde. Heil sagte, die Regierung ziehe zur Attraktivitätssteigerung deswegen auch im Inland "alle Register" - etwa durch die Erhöhung des Mindestlohns. Diese "inländischen Potenziale" wie auch die Digitalisierung seien aber nicht ausreichend. "Wir brauchen kluge Köpfe und helfende Hände", sagte Heil.
Der Gesetzentwurf der Ampel soll es für qualifizierte Kräfte aus dem Ausland einfacher und attraktiver machen, eine Stelle in Deutschland anzunehmen. Die Koalition will unter anderem ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild einführen und die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse erleichtern.
CDU besorgt um Qualitätsstandards
CDU-Mann Throm kritisierte daran, dass für die Anerkennung einer Ausbildung von Einwanderern gemäß dem Ampel-Entwurf künftig die Maßstäbe des Herkunftslands gelten sollen. Insgesamt betreibe die Regierung ein "Downgrading auf das absolute Minimum, das man braucht, um in Deutschland reinzukommen".
Heil erwiderte darauf, der Fachkräftemangel scheine "auch in der Opposition ein Problem zu sein". Die Arroganz, "zu sagen, 'es gibt nur in Deutschland eine gute Ausbildung'", könne sich Deutschland nicht leisten. Wenn ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer finde, müsse es dem Staat egal sein, wie hoch die Arbeitskraft qualifiziert sei, sagte auch FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler. Der deutsche Arbeitsmarkt sei leer. "Wir finden niemanden mehr."
Die AfD-Abgeordnete Gerit Huy bezweifelte hingegen, dass das Gesetz zur Einwanderung von qualifizierten Arbeitskräften führen werde. "Wirkliche Fachkräfte werden in der Minderheit sein", sagte sie. Die Linke verwies darauf, dass der Arbeitskräftemangel besonders im Niedriglohnsektor groß sei. Reformbedarf bestehe also bereits im Inland. "Tarifverträge würden helfen", sagte die Linken-Abgeordnete Susanne Ferschl.
Wirtschaftsverbände beklagen Bürokratie
Aus der Wirtschaft kam dennoch Kritik. Nach Ansicht des Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Jörg Dittrich, pflastert der Gesetzentwurf den Weg eines Einwanderers noch "mit zu vielen Beschwernissen und Schlaglöchern", als dass er von Zuwanderern in der erhofften Größenordnung auch genommen würde. Der ZDH-Chef forderte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland eine Erleichterung des Zuwanderungsrechts: "Damit die neuen Regelungen in den Betrieben greifen, muss das Zuwanderungsrecht entbürokratisiert werden."
Auch der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes, Felix Pakleppa, äußerte Kritik an dem Gesetzentwurf. Zuwanderungswilligen mit Berufserfahrung werde nach wie vor der Zugang zum Arbeitsmarkt versperrt, indem eine formale Qualifikation notwendig bleibt.
Wie akut ist der Fachkräftemangel überhaupt?
Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gab es Ende 2022 mit über 1,9 Millionen offenen Stellen auf dem Arbeitsmarkt so viele wie nie zuvor. Ende 2010 waren es noch knapp 800.000 offene Stellen, die Millionenmarke wurde erstmals 2015 geknackt.
Nach Erhebungen des Statistischen Bundesamtes gibt es im Inland kaum noch Reserven, um fehlende oder demnächst ausscheidende Fachkräfte zu ersetzen. Nach jüngsten Ergebnissen des Mikro-Zensus gehen bereits 87 Prozent der Bevölkerung im Alter zwischen 25 und 59 Jahren einer Erwerbstätigkeit nach. Bei den Männern sind es sogar 92 Prozent, während Frauen zu 83 Prozent einen bezahlten Job haben.
Quelle: ntv.de, loe/AFP/dpa