Politik

"Ich werde nicht für immer bleiben" Cameron wirbt mit seinem Abschied

David Cameron will die Schotten überzeugen, indem er über seinen eigenen Abschied spricht. Es ist nicht die einzige Maßnahme, die zeigt, wie verzweifelt die Regierung in London ist.

Es gibt erfolgreiche und weniger erfolgreiche Politiker. Aber selten passiert es einem demokratisch gewählten Premierminister, dass sich ein Teil des Landes lossagt und einen eigenen Staat gründet. Wenn die Briten am Freitag nach einem Schuldigen für das Zerreißen des Landes suchen, werden sie schnell auf David Cameron stoßen. Der Regierungschef ist nicht der Grund für die mögliche Spaltung, aber er hat viel getan, um die Schotten gegen London aufzubringen.

Eines der großen Themen beim Referendum um die Unabhängigkeit Schottlands ist das Gesundheitssystem. Cameron treibt seit seinem Amtsantritt eine Reform voran, durch die erstens viel Geld eingespart und zweitens ein großer Teil des Systems privatisiert werden soll. Das passt zur marktorientierten Linie der konservativen Tories und ihres liberalen Koalitionspartners. Im sozialdemokratisch geprägten Schottland kommt die Reform dagegen ganz schlecht an. Viele befürchten eine massiv schlechtere Versorgung.

Zwar hat Cameron kurzfristig angekündigt, dem Parlament in Edinburgh mehr Kompetenzen in dem Bereich zu übertragen, aber damit kommt er wohl zu spät. Wenn es um die Gesundheit geht, sei ein Verbleib im Königreich mindestens so riskant wie die Unabhängigkeit, sagen viele Schotten. Die neueste Wendung in der Sache: Die BBC, klarer Gegner der Spaltung, präsentiert einen angeblichen Geheimplan der schottischen Regierung, selbst Kürzungen im Gesundheitsbereich vorzunehmen.

Ein anderes großes Thema ist die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Cameron will selbst eigentlich nicht austreten, aber seine Partei und auch die rechtspopulistische Ukip treiben ihn in diese Richtung. 2017 soll es ein Referendum darüber geben – aus Sicht der meisten Schotten ist das ein Unding. Auch die Einsätze der Royal Army und das Festhalten an Atomwaffen stößt in Schottland auf mehr Kritik als in England.

Beide Seiten in Schottland kritisieren Cameron

Cameron setzte zunächst alles darauf, die Abstimmung sicher zu gewinnen. Er genehmigte das Referendum, als  gerade einmal ein Drittel der Schotten die Unabhängigkeit forderte. Ein deutliches Scheitern des Referendums hätte Cameron gestärkt. Allerdings hatte die Scottish National Party, die kaum ein anderes Thema als die Unabhängigkeit kennt, kurz zuvor die absolute Mehrheit im Regionalparlament erreicht. London schien das nicht ernst zu nehmen.

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David Cameron ist bei keiner der beiden Kampagnen in Schottland beliebt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Anstatt den Schotten Angebote zu machen und Reformen einzuleiten, ignorierte Cameron die Sache zunächst. Erst wenige Wochen vor dem entscheidenden Termin wurde er aktiv und sprach eine unverhohlene Drohung aus: Ein unabhängiges Schottland hätte keinen Einfluss auf die Währungspolitik. Das britische Pfund bliebe Londons Sache. Die Kampagne für den Zusammenhalt Großbritanniens spricht seitdem von unkalkulierbaren Risiken. Die Gegenkampagne glaubt nicht an die Drohung, weil sie auch für London Nachteile hätte. Cameron muss sich seitdem den Vorwurf anhören, Angstmacherei zu betreiben.

Einen echten Zugang zur Kampagne gegen die Unabhängigkeit hat Cameron nie gefunden. Angeführt wird sie von einem Labour-Politiker, der über seinen Premier kaum ein gutes Wort verliert. Zeitweise überboten sich "Yes"- und "No"-Kampagne gegenseitig mit ihrer Kritik an der aktuellen Regierung.

"Hätte längst mehr Rechte geben können"

Umso merkwürdiger wirkt  das Bündnis, das Cameron dann zusammenzimmerte: Er als Vertreter der Tories und sein liberal-demokratischer Koalitionspartner Nick Clegg treten nun gemeinsam mit dem Labour-Vorsitzenden Ed Miliband auf. Zuletzt unterzeichneten sie einen "Schwur" und ließen sich damit auf einer schottischen Zeitung abdrucken. Die Parteichefs versprechen zum Beispiel, dass das schottische Parlament wesentlich mehr Rechte bekommt und diese Rechte so tief verankert werden, dass sie nie zurückgenommen werden können. Dass alle Westminster-Parteien vertreten sind, soll garantieren, dass die Zusagen auch nach einem möglichen Regierungswechsel eingehalten werden. Doch wie immer bei diesen Versprechen kommt von der "Yes"-Kampagne nur Hohn. "Wenn sie uns mehr Rechte geben wollten, hätten sie das längst tun können", heißt es immer wieder. Cameron ist einfach zu spät dran mit seiner Balz.

Zu den Drohungen und den Versprechungen kommt immer wieder der Appell, gut über die Sache nachzudenken. "Wenn Sie das Vereinigte Königreich verlassen, ist das für immer", sagt Cameron immer wieder. Das klingt so, als halte er die ganze Sache immer noch für eine Laune von ein paar Nationalisten. Die fühlen sich davon verschaukelt und nicht ernst genommen – was ihren Zorn auf die Regierung nur noch steigert.

Wie verzweifelt und unbeliebt Cameron ist, wurde vor allem in seiner Rede in Aberdeen ersichtlich, drei Tage vor dem Referendum: "Wenn Sie mich nicht mögen – ich werde nicht für immer hier sein", sagte er. Das eigentlich wohlwollende Publikum konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Aber Recht hat Cameron. Selbst, wenn das Königreich doch zusammenbleibt, ist nicht klar, ob sich der Premier auf seinem Platz halten kann.

Quelle: ntv.de

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