
Abzeichen der "Legion der mexikanischen Krieger".
(Foto: Fernando Llanos /www.matria.mx)
Im Sommer 1942 erklärt Mexiko Nazi-Deutschland den Krieg. Doch sogleich greift eine Befürchtung um sich: Was, wenn die Nazis uns nun angreifen? Die Antwort ist die Gründung einer 100.000 Mann starken Cowboy-Truppe zur Landesverteidigung.
Ein Wehrmachtsoldat mit Hakenkreuz am Ärmel springt einem mexikanischen Cowboy an den Hals, greift ihm an die Kehle, will ihn mit einem Bajonett erstechen. Das Pferd bäumt sich auf, im letzten Moment gelingt es dem Mann mit dem Schnurrbart und riesigem Sombrero, seinen Revolver zu ziehen und dem deutschen Angreifer in die Brust zu schießen. Der Schuss geht glatt durch den Soldaten hindurch, Rettung in letzter Sekunde.
So ungefähr stellt sich der mexikanische Filmemacher Fernando Llanos die Bedrohung durch die Nazis vor - er hat sie in einer Zeichnung festgehalten. Ein heldenhafter Reiter, der sich des bösen Nazis so erwehrt, wie man es in Mittelamerika gewohnt war: mit dem Revolver und zu Pferde. Die Vorstellung hatte während des Zweiten Weltkriegs reale Folgen: 100.000 Reiter schlossen sich ab 1942 tatsächlich zusammen, um das Land gegen eine Nazi-Invasion zu verteidigen. Denn mit dem wachsenden Erfolg der Nazis in Europa breitete sich eine Befürchtung in Mittelamerika aus. Was, wenn die Nazis tatsächlich Mexiko angreifen?
Dieser Gedanke beunruhigte spätestens ab Mitte 1942 viele Bürger des Landes. Am 22. Mai des Jahres hatte das größte spanischsprachige Land dem Dritten Reich den Krieg erklärt und sich damit ein halbes Jahr nach den USA in die Phalanx der Westalliierten eingereiht, wie es nach und nach alle lateinamerikanischen Staaten taten. Auch wenn es unwahrscheinlich schien, dass eine deutsche Invasionsarmee Mexiko erreichen würde - das Land wollte vorbereitet sein. Immerhin war man bereits Opfer der Nazi-Streitmacht geworden: Im Mai 1942 hatten deutsche U-Boote zwei mexikanische Öltanker versenkt.
100.000 Charros in einer "Legion"
Bereits nach Kriegsbeginn sprach ein der Vorsitzende der nationalen Reitervereinigung, Antolín Jiménez, beim mexikanischen Präsidenten Manuel Ávila Camacho vor, um ihm eine Idee vorzutragen. Er wollte eine Reiterarmee aus Charros, den mexikanische Cowboys, aufbauen, um im Falle einer Invasion das Land gegen die Nazis zu verteidigen. Sein Vorbild waren dabei offenbar russische, griechische und jugoslawische Partisanen, wie aus Zeitungsnotizen hervorging, die Jiménenz sammelte. Der Präsident war einverstanden.
100.000 Mann sollte das Reiterheer stark sein, das auf 250 verschieden Orten im Land verteilt wurde. Sein Name: "Legion der mexikanischen Krieger". Der mexikanische Filmemacher Fernando Llanos erzählt ihre Geschichte in seiner Dokumentation "Matria", die er zurzeit auf Filmfestivals in Spanien präsentiert. Dafür fertigte er auch die oben beschriebene Zeichnung an. Llanos war durch Dutzende Zeitungsausschnitte über das Leben des Gründers der Reitertruppe auf das Thema aufmerksam geworden. Antolín Jiménez war sein Großvater.
Dieser hatte mit dem Volkshelden Pancho Villa während der mexikanischen Revolutionskriege gekämpft und dabei offenbar gute Erfahrungen mit dem Kampf zu Pferde gesammelt. Später stieg er zum Vorsitzenden der nationalen Reiterorganisation der Charros auf. Und als solcher kam ihm schon mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs die Idee, mit einer Art Kavallerie das Land im Falle eines Falles zu verteidigen. "Ich nehme an, seine Kriegserfahrung, die Kenntnis von Anti-Nazi-Partisanen und die Liebe für sein Land ließen ihn diese Einheit erfinden ließen", sagt Regisseur Llanos über seinen Großvater.
Freund und Feind gleichzeitig
Seit den 30er Jahren hatte sich Mexiko immer wieder gegen die Nazis positioniert. So fanden linke Schriftsteller und Autoren wie etwa Anna Seghers und Egon Erwin Kisch eine neue Heimat in dem Land, man verteidigte die spanische Republik und protestierte als einziges Land weltweit gegen den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Aber es gab auch die andere Seite. Mexikanisches Öl wurde nach Deutschland, Italien und Japan verschifft.
Die Regierung brauchte das Geld: Die USA und Großbritannien hatten das Land nach der Verstaatlichung der Förderung mit einem Boykott belegt, wie der Journalist Juan Alberto Cedillo in seinem Buch "Los Nazis en Mexico" schreibt. Da die Deutschen im Gegensatz zu den USA, Großbritannien und Frankreich nie militärisch in dem mittelamerikanischen Land interveniert hatten, genossen sie ein vergleichsweise hohes Ansehen. Präsident Camacho, der dem Aufbau der Reiterpartisanen zustimmte, war allerdings selbst Naziopfer. 1942 gab es einen Putschversuch gegen ihn, an dem Gestapo-Agenten beteiligt waren.
Glücklicherweise mussten sich die stolzen mexikanischen Cowboys nie deutschen Panzern entgegenstellen. Das Reiterheer bestand nur neun Monate, bis Anfang 1943, als sich die deutsche Niederlage bereits abzeichnete. Mexiko war trotzdem aktiver Kriegsteilnehmer. 1945 schickte die Regierung ein Schwadron Kampfflugzeuge in den Pazifik, um dort gegen die Japaner zu kämpfen.
Quelle: ntv.de